Hinter uns liegt eine hektische und anstrengende Woche. Die Coronavirus-Pandemie bestimmt nach wie vor die Nachrichtenlage und das wird sie bis auf Weiteres auch weiterhin tun. In den vergangenen Tagen bekam die Situation aber einen neuen Drive, weil die ersten Lockerungen nach dem Lockdown im März zumindest wieder ein bisschen den Eindruck erwecken, dass wir zurück auf dem Weg in die Normalität sind. Die ersten Geschäfte dürfen wieder öffnen, einige Bundesländer schicken ihre Schüler:innen wieder in die Schulen und einige Unternehmen bereiten intern Konzepte vor, um die wirtschaftliche Tätigkeit wieder aufzunehmen. Die oberste Maxime allen Handelns in der derzeitigen Pandemie muss zwingend darauf liegen, Menschenleben zu schützen und mir scheint immer noch nicht ganz klar, inwieweit die Bundesregierung dieses Ziel weiterhin verfolgen möchte. Denn während in den ersten Wochen der Pandemie das Ziel #flattenthecurve angestrebt wurde, muss auch für Phase zwei ein konkretes Ziel her, an dem sich die Bevölkerung orientieren kann – mit oder ohne Öffnungen.
Uns alle eint der Wunsch, so schnell wie möglich zur Vor-Corona-Normalität zurückzukehren, aber ohne Impfstoff oder wirksame Medikamente wird dies noch einige Zeit dauern – und das kann man sagen, ohne Expert:in in Virologie, Epidemiologie oder Medizin zu sein. In diese Woche der ersten Lockerungen jedenfalls fielen auch deutliche Warnungen von führenden Sachverständigen auf dem Gebiet, dass eine zweite Infektionswelle drohe. „Plötzlich würde man sich wundern, dass das Virus doch überall gleichzeitig startet. Es ist natürlich eine ganz andere Wucht, die so eine Infektionswelle dann hätte”, sagte beispielsweise Christian Drosten vergangene Woche in seinem Podcast. Und um das gleich mal vorwegzunehmen: Es ist dieser Christian, dessen Worte in der Öffentlichkeit aktuell am meisten Gewicht haben sollten.
Ein Meisterstück in Kommunikation
Denn parallel zur Erforschung des Virus versucht sich in Frankfurt ein weiterer Christian daran, sein Produkt so schnell wie möglich wieder herzustellen zu können. Sein Nachname ist Seifert, als Chef steht er der Deutschen Fußball-Liga vor. Die DFL produziert in Deutschland das Kulturgut Bundesliga, das mittlerweile seit mehr als einem Monat wegen der Coronavirus-Pandemie ruht. Die Gunst der Stunde nutzte der deutsche Fußball aber, um inmitten der Diskussionen über mögliche Lockerungen und eine Rückkehr ins normale Leben mit einer Kampagne dafür zu lobbyieren, dass bald wieder Geisterspiele stattfinden können. Seiferts Ziel: Das Überleben der Bundesliga sichern. Das ist erstmal ein legitimes Anliegen, denn alle Wirtschaftsbereiche und -Unternehmen müssen sich Gedanken machen, wie es irgendwann einmal weitergehen soll. An der Bundesliga hängen Tausende Arbeitsplätze, die Zukunft der Vereine steht auf dem Spiel.
Dass die Bundesliga aber in einem lobbyistischen Meisterstück und mit Hilfe von Medien und Politik den Gedanken platzierte, dass es Mitte Mai schon mit Fußball weitergehen könnte – das war zu heftig, zu forsch und könnte vor allem auch gefährlich werden. Der Fußball hat lange behauptet, er wolle keine Sonderbehandlung, nun bekommt er sie offenbar doch.
Die Medien, ein medizinisches Konzept – und viele Fragen
Als Steigbügelhalter erwiesen sich Sky und der Springer-Verlag, die natürlich ein Interesse haben, schnellstmöglich wieder über Fußball berichten zu können. Dementsprechend verstörte es auch nur auf den ersten Blick, dass der Pay-TV-Sender am Tag nach der Erklärung mit einer ganzseitigen Seite in Deutschlands größtem Boulevardblatt die eigene Freude zum Ausdruck brachte. Die Erklärung selbst fand in einem TV-Format statt, in dem sich neben Seifert auch die Ministerpräsidenten Armin Laschet aus NRW und Markus Söder aus Bayern zuversichtlich zeigten, dass es bald weitergehen könne mit der Lieblingsbeschäftigung der Deutschen. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn reihte sich in ein und ließ mit seinen Worten die Hoffnung wachsen, dass bald wieder der Ball rollen könnte. Die engen Bande zwischen Politik, Medien und Fußball, sie wurden zuletzt deutlicher denn je. Denn wie anders ist es zu erklären, dass Laschet als Ministerpräsident eines Landes mit mehreren großen Vereinen (Dortmund, Schalke, Gladbach, Köln) und Söder als Regent im Freistaat Bayern (und mit der Nummer von Karl-Heinz Rummenigge auf Kurzwahl) die ersten waren, die ein solches Szenario für möglich erklärten?
Denn unterdessen war man beim deutschen Fußball nicht ganz untätig gewesen, gar ein eigenes medizinisches Konzept wurde entwickelt, auf dessen Basis dann doch Geisterspiele durchgeführt werden könnten, sobald die Politik ihr Go gibt. Das Problem: Dieses Konzept entlarvt sich alleine dadurch selbst, dass Fälle von positiv getesteten Spielern nicht an die Medien weitergegeben werden sollen. Das ist verantwortungslos und schäbig. Zynisch könnte man jetzt behaupten, dass bei einer Wiederaufnahme dann eben die Wadenverhärtungen, Magen-Darm-Probleme und grippalen Infekte zunehmen, hinter denen sich bei Bundesligaspielern häufiger schwierigere Verletzungen oder Krankheiten verstecken – wegen der trivialen Gründe wird aber meistens nicht näher nachgefragt.
Alles durchboxen des Geldes wegen
Das Personal rund um die Spiele zu reduzieren, ist sinnvoll und richtig – das Sicherheitskonzept beantwortet aber die entscheidende Frage nicht, wie es möglich sein soll, eine Infektion in einer Kontaktsportart wie Fußball zu verhindern. Denn dass Spieler sich auf dem Feld nahekommen und dort die Hygienebestimmungen nicht einhalten können, verstehen selbst fußballferne Menschen. DFB-Chefmediziner Tim Meyer sprach gar davon, “einen Ausgleich zwischen maximaler Sicherheit und einem vertretbaren Risiko” herzustellen. Ein vertretbares Risiko in einer Zeit, in der man nicht genug über ein Virus weiß, es kaum behandeln kann und der Kollaps des Gesundheitssystems noch immer nicht ausgeschlossen ist – damit zeigt der Fußball, was er wirklich von Solidarität hält. Das Robert Koch-Institut und das Bundesinnenministerium hatten in der Folge auch gleich Zweifel angemeldet, was die Durchführbarkeit von Geisterspielen betrifft.
Im Laufe der Woche verkündete Christian Seifert dann auf einer Pressekonferenz, dass immerhin eine Einigung mit den TV-Rechteinhabern erzielt wurde: Die Überweisung der letzten Tranche Fernsehgelder findet statt, das Geld kann an die Vereine weitergegeben werden. Und der höchste Boss im deutschen Fußball ging auch auf das nächste Reizthema ein: Die Tests. Durch seine Worte ist eins klar geworden, in diesen Zeiten zählt in Deutschland einzig und allein, ob ein Wirtschaftszweig genug Geld hat, um Testkapazitäten zu kaufen. Die Bundesliga kann das leisten, obwohl die Tests in systemrelevanten Berufen natürlich viel mehr gebraucht werden. Es ist beschämend.
Andere Länder sind wesentlich zurückhaltender
Der Höhepunkt waren dann die Äußerungen einiger Fußballfunktionäre, dass eine Wiederaufnahme der Bundesliga den “Menschen” in diesen “schwierigen Zeiten” ja immerhin einiges zurückgeben könnte. Endlich in der allgemeinen Panik am Samstagnachmittag Wolfsburg gegen Augsburg gucken – ich kann mir nichts Besseres vorstellen. Die gegenteilige Wirkung, dass eine Wiederaufnahme der Bundesliga fatale Auswirkungen auf die Bevölkerung haben könnte, wurde geflissentlich ignoriert. Wenn Menschen sehen, dass in der Bundesliga wieder gespielt wird, sind sie weniger bereit, sich weiterhin in den eigenen vier Wänden aufzuhalten, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Denn wenn die Bundesliga wieder spielt, darf man auch wieder mit anderen Leuten in den Park oder in eine Wohnung.
Das Vorpreschen deutscher Politiker, gut koordiniert mit führenden Verantwortungsträgern im Fußball, wird dann umso befremdlicher, wenn man in andere Länder schaut. In den großen Fußballnationen England, Frankreich, Italien und Spanien kann derzeit auch kein Spielbetrieb stattfinden, die Länder kämpfen alle mit den Auswirkungen der Pandemie, die Bevölkerung leidet unter den Einschränkungen. Dem Fußball fehlt auch dort das Fernsehgeld, Vereine stehen vor schwierigen finanziellen Herausforderungen. Ein derart frühes Zeitfenster, im Mai wieder zu spielen, findet sich nirgendwo. Überall ist unklar, wann und wie es weitergeht. „Wo das Gesundheitssystem schwächer ist und die Sterberate höher, da sind die Rufe nach Fußball leiser. Wo Spieler sich kritischer äußern, haben die Ligen weniger Lobby. Und wo die Klubs finanziell bessergestellt sind, sind die Fragen nach der Moral noch lauter zu hören als hierzulande”, schreibt der Spiegel dazu in einem Text.
In Deutschland hingegen ist der Boden schon bereitet, am nächsten Donnerstag versammeln sich die Ministerpräsident:innen der Länder mit der Bundesregierung, dann könnte auch der Daumen für die Corona-Geisterspiele gehoben werden. Der Fußball will und muss weitermachen, ob er es darf, entscheidet die Politik. „Für uns bleibt einzig und allein entscheidend, was die Politik sagt”, beteuerte Christian Seifert mantraartig. Der Fußball ist nicht machtlos in der ganzen Angelegenheit, aber die endgültige Entscheidung trifft er nicht. Deutschlands unmittelbare Zukunft wird von Virolog:innen, Mediziner:innen und Politiker:innen entschieden. Durch die gezielte Kampagne, ein Interview hier, ein Interview dort, hat es die DFL aber geschafft, dass die Diskussion geöffnet wird. Eine mögliche Wiederaufnahme des Spielbetriebs kann aber nur auf dem Rücken der Gesellschaft stattfinden. Fußball ist als Idee schon cool, aber er macht mich gerade sehr wütend.