Pierre Littbarski wird 60 Jahre jung. Eigentlich unfassbar, denn der „Litti“, wie er im Prinzip von ganz Deutschland genannt wird, gilt ja eigentlich als der Urtypus des Frechdachses … und diese werden bekannt selten richtig erwachsen. Aber die Uhr tickt nun einmal auch für diese Spezies genauso schnell oder langsam wie für alle anderen, es fällt vielleicht bei ihnen bloß nicht so auf.
Rückblende in den Sommer 1978: Der 1. FC Köln ist auf dem Gipfel angekommen. Das Double, bestehend aus Meisterschaft und Pokal innerhalb einer Saison, wurde soeben zum dritten Mal überhaupt erst von einer deutschen Mannschaft eingetütet. Mit Heinz Flohe, Bernd Cullmann, Harald Konopka, Dieter Müller und Herbert „Zimbo“ Zimmermann sollen gleich fünf Kölner mithelfen, den Weltmeistertitel bei der Fußball-WM in Argentinien zu verteidigen.
Am Geißbockheim wurden indessen einige Neulinge begrüßt, allesamt junge Nobodys, unter anderem hießen diese Spieler Stephan Engels, Bernd Schuster und ein kleiner, säbelbeiniger Berliner namens Pierre Littbarski. Letztgenannter war einen Tag nach dem Pokalfinale 1978 erst 18 Jahre alt geworden und hatte sich bei einem A-Jugendturnier einen Platz in das Notizbuch von FC-Manager Karl-Heinz Thielen gesichert.
Littis Wechsel zum kommenden europäischen Topclub
Mit Hennes Weisweiler hatte der FC seinerzeit wohl einen der anerkanntesten Trainer weltweit und der FC war nun endgültig in der Riege der europäischen Topvereine angekommen. Bis zum Double hatte man zwar mehrfach international durch Erreichen diverser Halbfinals im UEFA-Cup auf sich aufmerksam gemacht, der ganz große Wurf war jedoch noch nicht gelungen. Auch nationale Titel fehlten in diesem Jahrzehnt bis zum Pokalsieg 1977.
Nun war aber das Double dazugekommen, wirtschaftlich stellte man mittlerweile mit dem neuen Stadion im Rücken wieder eine Macht dar, hatte gar mit Roger van Gool als erster Verein einen Millionentransfer realisiert. Zum nächsten großen Deal, den 2,5 Millionen Einkauf von Tony Woodcock, sollte allerdings noch ein Jahr vergehen. Doch allen rund um den Grüngürtel war klar, dass nun die große Epoche des 1. FC Köln folgen würde. Ob da ein Jungspund wie Littbarski sich überhaupt durchsetzen kann?
„Iss et ne Stürmer? Wenn ja, dann nemme mer dä.“
Doch Hennes Weisweiler stand auf junge Talente und als Thielen ihm das Talent von Hertha Zehlendorf schmackhaft machen wollte, fragte der Trainer nur: „Iss et ne Stürmer? Wenn ja, dann nemme mer dä.“ Also schlug Thielen zu und Litti konnte nach Köln kommen, seine Ausbildung zum Finanzbeamten schmiss er hin. Im Nachhinein sicher die richtige Entscheidung.
Littis erstes Jahr in der FC- Schicksalssaison
In Köln angekommen dribbelte sich der kleine Fummler, der ein wenig an den legendären Brasilianer Garincha erinnerte, sehr schnell in die Herzen der Fans und vor allem in das des Trainers. Weisweiler förderte das junge Talent, setzte ihn sogar bereits im ersten Europapokal-Spiel im Europapokal der Landesmeister (heute Champions League) gegen das isländische Team von IA Akranes ein. Und Litti dankte es ihm beim 4:1-Erfolg gleich mit dem ersten Tor der Kölner Europapokal-Saison.
Einen Stammplatz hatte er in der Startruppe aber noch nicht. Für Littbarski lief die erste Saison mit 21 Pflichtspieleinsätzen über drei Wettbewerbe in denen er sechsmal traf, insgesamt dennoch nicht schlecht. Doch insgesamt wurde der sechste Platz und damit das Verpassen der Europapokalplätze als Katastrophe angesehen. Schließlich wähnte man sich auf einen ganz anderen Weg, aber nach dem unglücklichen Ausscheiden gegen Nottingham Forest im Halbfinale des Landesmeister-Cups ging es steil bergab.
Zusätzlich unterstrichen wurde dieser Gesamteindruck durch die unsägliche Entscheidung Weisweilers, die Stars Heinz Flohe und Herbert Neumann nach einem schlechten Spiel beim HSV zu suspendieren. Dies gipfelte sogar in den Verkauf der Seele des Kölner Spiels, denn Flohe wechselte in Folge des Streits mit Weisweiler zum Liga-Konkurrenten 1860 München. Nicht wenige FC-Fans sehen heute darin noch eine richtungsweisende Fehlentscheidung. Double-Kapitän Flohe hätte die jungen Spieler wie Littbarski, Schuster und Engels noch zwei bis drei Jahre führen und mit formen sollen, um dann abzutreten.
Der steile Aufstieg des Jungstars
Doch fortan war Litti gesetzt und absolvierte ab sofort, sofern nicht verletzt, alle Spiele der Saison in den nun folgenden Jahren. 1980 erreichte Litti mit dem FC bereits erstmalig das DFB-Pokalfinale, musste jedoch den Pott trotz Führung den Düsseldorfern überlassen. Hennes Weisweiler war da übrigens schon nicht mehr dabei, er hatte Köln zwischenzeitlich verlassen, mit Karl-Heinz Heddergott übernahm jedoch ein Trainer, der in jeglicher Hinsicht nicht zum Profifußball passte. Nach dessen kurzer Amtszeit übernahm mit Rinus Michels erneut ein Welttrainer.
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