Während sich die öffentliche Debatte nach dem letzten Bundesliga-Spieltag auf die seit Jahren wiederkehrenden Beleidigungen gegen Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp fokussiert hat, schwelt eine gesellschaftlich ungleich bedeutendere Diskussion im Hintergrund weiter: Wie umgehen mit Rassismus (im Fußballstadion)? Das ist die Frage in diesen Tagen. Nicht, ob es nun clever von einer Gladbacher Ultra-Gruppe war, ein uraltes, geschmackloses Anti-Hopp-Plakat erneut aus der Mottenkiste zu holen. Hopps Hautfarbe interessiert schließlich niemanden – den Fans geht es um seine Rolle als Geldgeber, sonst nichts. Das ist seit Jahrzehnten vulgäre Normalität im Fußball. Rassismus hingegen darf nie und nirgendwo normal sein oder zu irgendetwas dazugehören.
Die Realität sieht jedoch leider anders aus: In den letzten Wochen ist es in Münster und Gelsenkirchen zu rassistischen Beleidigungen von Gegenspielern durch Zuschaer gekommen. Zunächst traf es Würzburg-Profi Leroy Kwadwo beim Drittligaspiel der Kickers in Münster, wenig später wurde Hertha-Spieler Jordan Torunarigha Opfer rassistischer Attacken auf Schalke. Aufsehen erregte zudem ein heftiger Vorfall aus Portugal: Porto-Stürmer Moussa Marega wurde nach einem Tor von großen Teilen der Zuschauer mit Affenlauten verhöhnt. Mitspieler redeten auf den Betroffenen ein – Marega wollte den Platz verlassen.
Rassismus auch im Fußball ein Problem
Es waren Szenen, die im Jahr 2020 nur schwerlich zu verdauen sind. Leider könnte es wohl auch in Deutschland so weit kommen. Dass die Bundesrepublik gesamtgesellschaftlich ein deutliches Rassismus- und Rechtsextremismus-Problem hat, lässt sich ohnehin angesichts NSU, Lübke-Mord und Hanau nicht wegreden – und der Fußball ist ein Teil dieser Gesellschaft.
Doch wie sollte der Fußball-Zirkus mit derartigen Vorfällen umgehen? Die Causa Clemens Tönnies (der Schalker Aufsichtsratschef hatte sich in einer Rede rassistisch geäußert) zeigt jedenfalls eindrucksvoll, wie es nicht geht. Die starke Reaktion der Zuschauer in Münster ist auf der anderen Seite ein gutes Zeichen. Dennoch tut sich der deutsche Fußball nach wie vor schwer mit klarer Kante – das zeigt auch eine Befragung von Vice.
Ähnlich wie effzeh.com vom 1. FC Köln Auskunft erbeten hat, wollte Vice gleich von allen 18 Bundesligisten wissen, was sie tun würden, wenn ein Spieler nach rassistischen Beleidigungen das Spielfeld verlässt. Eindeutige Antworten gab es für die Kollegen dabei lediglich von Bayer Leverkusen, Borussia Dortmund und der TSG Hoffenheim. „Dann gehen wir alle mit“, stellte Leverkusen-Trainer Peter Bosz auf die Frage unlängst klar. Der Club verwies nun auf dieses Statement.
Selke: “Man sollte aufhören zu spielen”
Auch Bundesliga-Spieler melden sich mittlerweile zu Wort. „Man sollte aufhören zu spielen, bis der Täter das Stadion verlassen hat”, erklärte Werder-Profi Davie Selke in Sport Bild. „Wenn einer von uns rassistisch beleidigt wird, gehen wir alle vom Platz“, schloss sich Leverkusens Nadiem Amiri an.
Angesichts dieser klaren Position wollte effzeh.com auch vom 1. FC Köln wissen, wie der Verein sich in einem solchen Fall verhalten und ob er Spieler in ihrer Entscheidung, den Platz bei rassistischen Beleidigungen zu verlassen, unterstützen würde. Während Vice laut ihrer Berichterstattung länger auf eine Antwort aus dem Geißbockheim warten musste, beantworteten die „Geißböcke“ am Mittwochnachmittag unsere Anfrage. Der 1. FC Köln habe „eine klare Haltung gegen Rassismus, die in der FC-Charta niedergeschrieben ist.“ Desweiteren verbiete die Stadionordnung die Verbreitung „rassistischer, fremdenfeindlicher oder rechtsradikaler Parolen“, heißt es im Statement.
“Der 1. FC Köln steht zu seinen Spielern”
Bezüglich konkreter Maßnahmen erklärt der Club zudem: „Es gibt für den Fall rassistischer Beleidigungen aus dem Publikum Vorgaben der UEFA, in denen geregelt ist, wie der gastgebende Verein sich zu verhalten hat. Jeder einzelne Fall sei anders und müsse „situativ gelöst“ werden, erklärten die Kölner außerdem hinsichtlich der Frage, ob man einen Spieler unterstützen würde, der den Platz nach einer rassistischen Beleidigung verlässt. Grundsätzlich gelte: „Der 1. FC Köln steht zu seinen Spielern und unterstützt sie in jeder Situation.“
Klare Haltung gegen Rassismus notwendig
Mit einer solch allgemein formulierten Antwort sind die Kölner nicht allein in der Bundesliga: Augsburg, Freiburg, Wolfsburg und Leipzig äußerten sich gegenüber Vice ähnlich. Borussia Mönchengladbach, Bayern München, Union Berlin und der SC Paderborn bisher noch gar nicht, berichtet das Magazin.
Dass eine klare Haltung und spürbare Konsequenzen in Sachen Rassismus derzeit überaus notwendig (aber auch möglich) sind, zeigt derweil ein anderer Vorgang: Prof. Dr. Chatrath, der Leiter des Studiengangs für Sport- und Eventmanagement an der University of Applied Sciences Europe und stellvertretender Leiter der wissenschaftlichen Kommission des Landessportbund Berlin, kommentierte für Novo Argumente die rassistischen Ausfälle gegenüber Hertha-Spieler Jordan Torunarigha. Chatrath befand, dass Profi-Spieler diese Beleidigungen aushalten müssten. Sowohl der Spieler als auch sein Club und viele Leser*innen kritisierten den Artikel – völlig zurecht. „Selten sowas Dummes gelesen“ – fasste Torunarigha trefflich das Werk zusammen.
Doch das war noch nicht alles: Auch der Landessportbund Berlin reagierte und zog Chatrath mittlerweile von seiner Position kurzerhand ab. Zuvor hatte der Autor bereits Konsequenzen an der University of Applied Sciences Europe zu spüren bekommen. „Wir haben Herrn Chatrath mit sofortiger Wirkung von allen Lehrtätigkeiten entbunden“, erklärte Prof. Dr. Wolfang Merkle. Ob Chatrath rassistisches Gedankengut hat, ist offen. Aber er hat mit seinem Artikel Rassismus legitimiert – und das wurde gesellschaftlich klar und eindeutig sanktioniert. So konsequent sollte es überall zugehen. Ganz egal, ob es sich um die eigentlichen Rassisten oder um ihre Steigbügelhalter handelt.