Es gibt gewiss Dinge, die Frauenfußball und Männerfußball unterscheiden. Die spielerische Qualität ist das im Jahr 2019 allerdings kaum noch. Während es vor einigen Jahren tatsächlich noch deutliche Qualitätsunterschiede im sportlichen Bereich gab, hat sich das Niveau auf dem Platz mittlerweile sichtbar angeglichen. Technisch sind die Unterschiede mittlerweile überschaubar – dass die Schusshärte bei mancher Spielerin nicht unbedingt der eines Roberto Carlos entspricht, mag zwar nach wie vor oft zutreffen. Ein fußballerisches Qualitätsmerkmal waren Gewaltlösungen allerdings auch noch nie.
Nein, die Unterschiede zwischen Männer- und Frauenfußball finden sich kaum noch auf dem Platz. Abgesehen davon, dass die Fußballerinnen mit weniger Theatralik auszukommen scheinen. Abseits des grünen Rasens sind die Unterschiede spätestens mit der gerade zu Ende gegangenen Weltmeisterschaft jedoch deutlich sichtbar geworden. Denn der Frauenfußball kann jetzt schon vieles, was den Männern bisher partout nicht gelingen möchte.
Bei Frauen normal, bei Männern unmöglich?
Dass es homosexuelle Spielerinnen gibt, ist in der femininen Fußballwelt zum Beispiel nicht nur kein Skandal. Es ist nicht einmal eine Überraschung. Es ist mittlerweile eine Normalität. Damit steht der Frauenfußball zwar im Vergleich zu manch anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht alleine da, im Vergleich zum Zirkus des Testosteron-Fußballs allerdings schon. Bis heute hat sich kein aktiver Spieler der großen Männerligen offen zu seiner Homosexualität bekannt. Und das kann rein statistisch schon gewiss nicht daran liegen, dass es keine schwulen Spieler geben würde.
Doch nicht nur in Sachen Toleranz gegenüber Homosexuellen lassen die männlichen Profis, ob Superstar oder Zweitligakicker, ihre enormen Möglichkeiten ungenutzt. Dabei könnten gerade die größten Stars mit ihren enormen Reichweiten unzählige, meist junge und männliche Fans erreichen – und prägen. Wenn es darum geht, T-Shirts zu verkaufen, Schuhe zu bewerben oder plumpe Selbstbeweihräucherung zu betreiben, weil man gerade eine vollkommen belanglose Dokumentation über, na klar, sich selbst hat drehen lassen, glänzen die männlichen Superstars jedoch mit Kampagnen, vermeintlich kreativen Ideen und viel Energie für ihre kapitalistischen Anliegen. Faulheit ist also gewiss nicht der Grund für das geringe gesellschaftliche Engagement. Wenn es darum geht, sich als der geilste Typ von allen zu präsentieren, scheuen viele Fußballstars schließlich weder Kosten noch Mühen.
Doch wenn es um gesellschaftliches oder sogar politisches Engagement geht, um klare Worte, die vielleicht nicht allen gefallen, herrscht bei den Kerlen peinliches Schweigen.
Rapinoe liefert ab – sportlich und sozial
Anders sieht das im Frauenfußball aus. Mit Megan Rapinoe hat sich die absolute Star-Spielerin der diesjährigen Weltmeisterschaft nicht gescheut, auf Konfrontationskurs zum heimischen Präsidenten zu gehen. Ob sie im Falle des Titelgewinns und der danach in den USA obligatorischen Einladung zum Besuch im Weißen Haus bei US-Präsident Donald Trump vorbeischauen würde, wurde die Stürmerin unlängst gefragt. „I won’t go to the fucking White House“, lautete ihre Antwort. Das war kein Blabla, keine Diplomatie, kein PR-Gedruckse, um es allen Recht zu machen, sondern eine klare Ansage auf eine klare Frage.
Dass man sich damit nicht nur Freund*innen macht, ist klar. Auch in den USA blieb die Aussage nicht ungehört. Der Präsident reagierte, wie üblich, via Twitter auf die Worte der Außenstürmerin. Sie solle erst einmal den Titel holen, bevor sie den Mund aufmache, ließ der 45. Präsident der Vereinigten Staaten wissen. Und Rapinoe? Hat nicht nur den Titel geholt, sondern sich auch gleich noch die Auszeichnungen als Torschützenkönigin und Spielerin des Turniers gesichert. Mehr Titel geht also kaum.
US-Stars vs. Trump
Dass sie nun die große Bühne der Siegesparade durch New York City genutzt hat, erneut nicht nur mit fußballerischen Taten, sondern auch mit Worten zu überzeugen, ist deshalb zwar keineswegs überraschend – dadurch aber auch nicht weniger bemerkenswert. „Wir müssen besser werden. Wir müssen mehr lieben, weniger hassen. Wir müssen mehr zuhören und weniger reden. Wir müssen wissen, dass es die Verantwortung eines jeden ist und dass es auch unsere Verantwortung ist, die Welt zu einem besseren Ort zu machen“, sprach Rapinoe, die bereits seit Jahren auch aus Solidarität mit den Opfern der Politik von Donald Trump die Nationalhymne nicht mehr mitsingt.
In diesem Protest steht Rapinoe in den USA übrigens nicht allein. Vor allem afroamerikanische Sportstars haben in den vergangen Jahren immer wieder klare Kante gezeigt – Basketball-Superstar LeBron James gehört zu den deutlichsten Kritikern des amerikanischen Präsidenten. „Du Penner … ins Weiße Haus zu gehen war eine große Ehre, bis Du aufgetaucht bist“, ließ der Basketball-Superstar den US-Präsidenten via Twitter einst wissen. Auch Angehörige der weißen Mehrheitsgesellschaft verzichten mittlerweile gerne auf den Besuch beim rechtspopulistischen Trump. Er wolle „seinen Werten treu bleiben“ erklärte zum Beispiel Braden Holtby nach dem Titelgewinn der Washington Capitals in der amerikanischen Eishockeyliga NHL und werde deshalb auf den Besuch im Weißen Haus verzichten.
Das große Schweigen
In Deutschland regiert zwar nicht Trump – es finden sich jedoch genug Entwicklungen in der Gesellschaft, die man als einflussreicher Sportler durchaus kritisieren könnte. Mit der „AfD“ feiert eine rechtspopulistische Partei Wahlerfolge – nicht nur im Osten. Und ohne latenten Rassismus kommt die deutsche Gesellschaft ebenfalls nicht aus. Probieren Sie mal, mit einem muslimisch klingenden Namen eine Mietwohnung zu bekommen. Oder einen Job.
Ob neue Rechte oder soziale Ungleichheit, ob Klimaschutz oder Gleichberechtigung der Geschlechter – die allermeisten Fußballprofis schweigen. Sie schweigen in Deutschland, sie schweigen in Spanien, England, Italien und Frankreich. Nicht einmal im angeblich weltoffenen und toleranten Köln steht ein Mitglied der Männermannschaft beim Christopher-Street-Day, bei dem der 1. FC Köln lobenswerterweise teilnimmt, mit auf dem Vereinswagen, um sich gegen die Diskriminierung von Homosexuellen einzusetzen. Vom Frauenteam waren natürlich Spielerinnen dabei.
“Es gibt keinen Erfolg ohne Frauen!”
Würde man an geschlechtsspezifische Eigenschaften glauben, man würde den männlichen Superstars zurufen wollen: Man up, ihr Lappen! Doch daran, dass Männer härter, stärker und die besseren Fußballer sind, nur weil sie einen Penis zwischen den Beinen haben, glauben 2019 eigentlich nur noch Idioten – oder Religiöse. Es braucht aber ohnehin keine veralteten Männlichkeitskonzepte, um den Herrschaften ihr mangelndes Engagement um die Ohren zu hauen. Feigheit kann schließlich jedes Geschlecht an den Tag legen.
„Ja, wir machen Sport. Ja, wir spielen Fußball. Ja, wir sind weibliche Athletinnen. Aber wir sind noch viel mehr als das“ sagt Megan Rapinoe und hält jeden weiteren Shitstorm, den sie nach jeder politischen oder kritischen Äußerung abbekommt, tapfer aus. „Es gibt keinen Erfolg ohne Frauen“, wusste schon Kurt Tucholsky, der ohnehin sehr viel wusste. Er hatte Recht. Und so braucht es vielleicht auch im Fußballkosmos eine kluge, mutige Frau, die den verlorenen Männlein den Weg zeigt. Wenn sie ihr denn zuhören würden.