Die Vorzeichen waren klar: Der 1. FC Köln wollte mit einem Heimsieg gegen den Hamburger SV nicht nur den Aufstieg de facto besiegeln, sondern auch seinen Status als beste Mannschaft der Liga untermauern und seinen ärgsten Konkurrenten distanzieren. Die “Geißböcke” konnte für diese Aufgabe personell aus dem Vollen schöpfen: Alle waren fit und einsatzbereit.
Der HSV, der ohne die offensiven Leistungsträger Aaron Hunt, Lewis Holtby, Pierre-Michel Lasogga und Hee-chan Hwang anreiste, musste den schwachen Eindruck der vergangenen Wochen ausräumen und die Verfolger im Aufstiegsrennen auf Distanz halten. Unterschiedliche Voraussetzungen also für das Topspiel der 2. Bundesliga.
Die zwei Gesichter des 1. FC Köln
In der ersten Halbzeit zog das Team von Markus Anfang seinen Stil durch. Es erspielte sich einige Torchancen und erzwang viele Standardsituationen. Aus einer solchen resultierte dann in der auch das 1:0. Einen Eckball von Johannes Geis verlängerte Marco Höger per Kopf an den zweiten Pfosten, wo Dominick Drexler einschob. Die Führung war zu diesem Zeitpunkt verdient. Offensiv setzte der effzeh die Norddeutschen früh unter Druck, erzeugte viel Unsicherheit und hielt den Gegner überwiegend vom eigenen Tor fern.
Doch schon kurz danach schalteten die Spieler in den Verwaltungsmodus. Die “Geißböcke” ließen den Gegner stärker kommen, vor allem die linke Seite der Gäste mit Bakery Jatta und Douglas Santos beschäftigte die Defensive sehr. Schmerzlich war dann der Ausfall von Flügelspieler Christian Clemens zum Ende der ersten Hälfte. Mit der Einwechslung von Marcel Risse wurde die rechte Abwehrseite nicht stabiler – im Gegenteil.
Zu passiv gegen harmlose Hamburger
Denn in der zweiten Halbzeit agierte das Team aus Köln nicht mehr. Es verschanzte sich am eigenen Strafraum und reanimierte so den Gegner, dessen Spielaufbau nahezu ungestört blieb. Insbesondere Douglas Santos, Bakery Jatta und Orel Mangala brachten die Defensive immer wieder in Bedrängnis. Zwingende Chancen gab es zwar nur wenige, die passive Einstellung in der zweiten Halbzeit förderte die Fehleranfälligkeit jedoch erheblich und führte dazu, dass offensiv nichts produktives mehr zustande kam.
Die Einwechslung von Lasse Sobiech, der für Top-Torjäger Simon Terodde in die Partie kam, brachte ebenfalls keine Stabilität, sondern nur noch weniger Entlastung. Der Ausgleich war folgerichtig und verdient – der eingewechselte Wintzheimer schob im Anschluss an den x-ten Eckball der Hamburger zum 1:1 ein. Bei längerer Restspielzeit wäre ein 1:2 wahrscheinlich gewesen, zu sehr schienen die Kölner kräftemäßig auf dem Zahnfleisch zu kriechen. Letztlich blieb es bei einem Remis, mit dem beide aus tabellarischen Gründen leben können – dessen Lesart und Bewertung sich jedoch stark von der des Anderen unterscheidet.
Schon wieder ein Einbruch mit bekannten Mustern
Die Reaktionen auf Seiten der Hamburger sind schnell zusammengefasst: Man war mit dem Punkt zufrieden, überzeugt von der Leistungssteigerung in der zweiten Halbzeit und zog Selbstvertrauen aus dem Spiel. Das gründet vor allem auf dem Umstand, dass das Team verletzungsgebeutelt ohne alle namhaften Offensivakteure anreiste und den Tabellenführer an den Rand einer Niederlage brachte.
Bei diesem ist die Stimmung überwiegend frustriert, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Markus Anfang attackierte nach dem Spiel in einem Interview den Schiedsrichter, weil dieser dem effzeh einen Elfmeter nach Foul an Anthony Modeste verweigerte und zuvor schon Gideon Jung nicht mit Gelb-Rot vom Platz schickte. Dominick Drexler äußerte sich wiederum selbstkritisch, weil die Mannschaft in der zweiten Hälfte zu inaktiv gewesen sei.
Rafael Czichos war hingegen frustriert, weil einige Fans nach dem Spiel pfiffen. “Ich habe gedacht, wir sind Fünfter und sieben Punkte hinter dem Dritten oder Zweiten” polterte der Innenverteidiger in Richtung der Fans, obwohl sich das auf wenige beschränkte und die Südkurve der Mannschaft nach dem Spiel sogar (leicht) applaudierte.
Die altbekannten Schwächen aufgezeigt
Am nächsten an der Stimmung im Umfeld dürfte Dominick Drexler gelegen haben. Denn die Symptome des Duisburg-Spiels wiederholten sich, sie waren bereits mehrfach in dieser Saison erkennbar: Die Mannschaft hat vor allem im Zentrum gravierende Schnelligkeitsdefizite, massive Probleme im defensiven Umschaltspiel und ist nicht in der Lage, den Gegner am eigenen Strafraum vor Timo Horn abprallen zu lassen. Lediglich Jorge Meré zeigt regelmäßig ein hohes Niveau.
Zu löchrig sind die Reihen von Mittelfeld und Abwehr, zu behäbig das Zweikampfverhalten, zu fehleranfällig ist das Aufbauspiel, wenn der Gegner frühzeitig attackiert. Vor allem schafft das Team es aber nie, den Hebel in die richtige Richtung umzulegen. Abgesehen von eher glücklichen Comebacks wie gegen Sandhausen brach der effzeh in der zweiten Halbzeit meistens ein.
Anfangs In-Game-Coaching wirft erneut Fragen auf
Hinzu kommt, dass Markus Anfangs In-Game-Coaching diese problematischen Tendenzen während des Spiels beförderte. Nicht nur die Marschrichtung zur zweiten Halbzeit, die Hamburger kommen zu lassen, trug zum Leistungseinbruch bei, sondern auch die Einwechslung von Lasse Sobiech. Wie zuvor in Duisburg war der Abwehrhüne kein Stabilisator, sondern trug nur noch mehr zum löchrigen Einigeln bei. Auch Marcel Risse ist offenkundig nicht mehr in der Lage, körperlich auf Profiniveau zu agieren. Das 1:1 stand sinnbildlich für die Einwechslungen von Risse und Sobiech, die mit ihren Einlagen wohl in jeder Zweitligaausgabe von “Shaqtin’ a fool” erscheinen würden.
Weshalb Anfang ausgerechnet die beiden einwechselte, bleibt unverständlich. Mit Vincent Koziello und Louis Schaub blieben zwei Spieler außen vor, die für dringend benötigte Entlastung und technische Stärke gestanden hätten. Stattdessen durften wieder einmal Marco Höger und Johannes Geis im Zentrum beweisen, dass sie mindestens für das offensive Spielsystem des Trainers im Grunde zu langsam sind.
Die nächsten Wochen werden für Markus Anfang spannend – auch, da er im Vereinsumfeld wesentlich umstrittener ist als im Verein selbst. Er sollte sich nicht auf Kritik am Schiedsrichter beschränken, wenn er über Spiele spricht wie das gestrige, sondern in erster Linie auf die eigene Leistung. Und die war, wieder einmal gegen einen starken Klub der 2. Bundesliga, unterm Strich dürftig.