Ist es rassistisch, wenn viele Leute und Medien Mesut Özil ins Zentrum ihrer Kritik am Ausscheiden der Nationalelf stellen? Wahrscheinlich ja. Ist es sinnvoll, darüber jetzt eine breite Diskussion zu führen? Nein, das ist es nicht. Diese nützt nur dem DFB; sie ermöglicht diesem eine Ablenkung vom eigenen Versagen. Sinnvoller wäre eine Debatte, die das deutsche Bezirzen von Autokraten endlich ins Zentrum rückt.
Um es kurz zu machen: Ja, es trägt rassistische Züge, was in den letzten Wochen ablief. Mesut Özil und Ilkay Gündogan haben äußerst unverhältnismäßige Reaktionen abbekommen; Gündogan in Leverkusen und Özil während und nach der Spiele in Russland. Dass und wie Özil nach der Pleite gegen Südkorea als Symbolbild herhalten musste, war nicht in Ordnung. Thomas Müller, Toni Kroos, Joshua Kimmich – sie alle wären aufgrund ihrer Vorstellungen mindestens genauso gut dafür geeignet gewesen. Mein Kollege Moritz lag demzufolge mit seiner Feststellung, dass sich der allgemeine Frust “sogar in offenem Rassismus gegenüber Mesut Özil” entlade, richtig.
Der DFB stiehlt sich davon
Ich halte es trotzdem für falsch, das jetzt zum Ausgangspunkt längerer Debatten zu machen und vor allem so zu tun, als käme das alles überraschend. Dass viele deutsche Fußballfans rassistisch-chauvinistische Weltbilder haben, ist doch nichts Neues. Es wird an jedem Spieltag bundesweit tausendfach unter Beweis gestellt. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich finde es richtig, Rassismus als solchen zu benennen und diejenigen anzuprangern, die ihn rausblöken. Allerdings wird jetzt leider zunehmend relativiert, dass es Özil und Gündogan waren, die vor all den aktuellen Ereignissen mit einem rassistischen, antisemitischen Autokraten zu Wahlkampfzwecken posiert haben.
Einem Politiker Wahlkampfhilfe zu geben, der ungezügelt antisemitische Aussagen tätigt, Angriffskriege auf kurdische Regionen befiehlt, ausländische Reporter als Geiseln nimmt und die Presse- und Justizfreiheit in seinem Land innerhalb weniger Jahre abgeschafft hat, ist nicht nur unverantwortlich, sondern moralisch das Letzte. Özil und Gündogan haben damit nicht nur viele ihrer Landsleute, die unter Erdogans Maßnahmen leiden, verhöhnt, sondern auch gezeigt, dass ihnen demokratische Werte vollkommen egal sind. Natürlich setzen türkische Behörden Fußballer unter Druck, damit sie bei der Propaganda mitmachen. Sollten aber Familienangehörige in der Türkei bedroht werden, verfügen Özil und Gündogan über so viel Geld, dass sie diese leicht hätten herausholen können. Sie posierten trotzdem grinsend mit Erdogan, im Gegensatz zu Emre Can, der beim PR-Termin mit Erdogan nicht dabei war.
Gegen Rassismus, aber auch für Demokratie
Der DFB hat sich, wie mein Kollege bereits schrieb, unterirdisch verhalten. Allerdings auf mehr Ebenen, als zuvor aufgezählt wurden. Schon das Treffen mit Frank-Walter Steinmeier im Anschluss an die Dummheit der beiden Spieler war ein jämmerlicher PR-Flop. In Gündogans Namen wurde lediglich ein schwurbeliger Text veröffentlicht, Özil schweigt bis heute. Nachdem Gündogan dann in Leverkusen ausgepfiffen wurde, versuchte der DFB bereits, das Narrativ auf die Rassismusebene zu verschieben. Deswegen kommen ihm Einwürfe wie der gestrige sehr zupass. Denn gegen Rassismus zu sein, ist billig und kostet nichts. Außer vielleicht in sächsischen Landstrichen das eigene Leben. Von tatsächlicher antirassistischer Arbeit und Haltung ist der DFB weit entfernt. Alle (PR-)Kampagnen waren bisher kaum mehr als Lippenbekenntnisse. So ist es diesmal auch.
Gegen Rassismus sind übrigens auch türkische Staatsvertreter in Deutschland. Vor einigen Wochen sagte ein Mitarbeiter des Konsulats bei einer Diskussion in der Keupstraße, dass es wichtig sei, gegen Rassismus vorzugehen, gerade türkische Bürger seien davon betroffen. Ich will das nicht bestreiten, aber es wäre schön, wenn nicht nur gegen Rassismus, sondern auch für Demokratie Flagge gezeigt würde. Und damit sind wir beim Hauptproblem angelangt.
Das Kuscheln mit Autokraten ist dem DFB zu wichtig
Nur allzu gern gerieren sich Verbandsvertreter des Fußballs als friedensstiftende und altruistische Lichtbringer, wenn sie mit autokratischen Regimen Kooperationen eingehen. Der DFB bildet da keine Ausnahme. Die mit Pauken und Trompeten verkündete Kooperation mit China (einem Land, das muslimische Uiguren in Umerziehungslager steckt, bis 2020 ein landesweites Erziehungs- und Bewertungsprogramm all seiner Bürger einführen will und die größte Diktatur der Welt ist) ist da nur ein Beispiel. Auch damit, Turnieren in autokratischen Staaten beizuwohnen, hat man nie ein Problem. Und auch über die Fotos von Özil und Gündogan wäre geschwiegen worden, wenn sie nicht medial ein solches Feuer entfacht hätten, an dem die beiden Spieler selber schuld waren.
Im bis heute besten Kommentar in den Sportmedien brachte es kicker-Redakteur Frank Lußem vor einigen Wochen auf den Punkt: “Es geht nicht darum, dass Gündogan und Özil sich zur Türkei als Heimat ihrer Ahnen bekennen und zwei Herzen in ihrer Brust schlagen, wie der Bundestrainer beschwichtigend argumentierte. Es geht darum, dass sie einen Autokraten, einen Anti-Demokraten und Politiker unterstützen, der unter anderem ihrer Heimat – Deutschland – Nazimethoden unterstellte, der auch Landsleute ohne Anklage, ohne Begründung und Prozess ins Gefängnis schickte. Das müssen die beiden gewusst haben. Wenn nicht, sollte der DFB – der sich gegen Rassismus und für Integration und Respekt engagiert – bei seinen prominentesten Vertretern demnächst ein paar Nachhilfestunden abhalten. Wenn sie es dann nicht kapieren, sollten sie selbst die Konsequenzen ziehen.”
Rassismus-Debatte: Das Ablenken von eigenen Verfehlungen
Das Kuscheln mit und Bezirzen von Autokraten auf der ganzen Welt gehört jedoch leider zu einer Eigenschaft, die Özil und Gündogan mit dem Verband, für den sie spielen, teilen. Dass der DFB rassistische Zustände gegenüber den beiden beklagt, ist nicht falsch. Für ihn ist die Übernahme dieses Narrativs aber lediglich eine willkommene Ablenkung von seinen eigenen Verfehlungen, damit er sich selbst nicht für ganz andere Dinge rechtfertigen muss – was allerdings dringend nötig wäre.