Es gibt Gründe für das schnelle BVB-Nachholspiel. Und es gibt welche dagegen. Das Problem an der Entscheidung ist allerdings ein anderes.
Es war ein einschneidender Dienstag in der Geschichte des deutschen Fußballs. Als in Dortmund drei Sprengsätze detonierten, wurde erstmals eine deutsche Fußballmannschaft Opfer eines Anschlags. Am Ende hatte die Mannschaft von Borussia Dortmund, so viel scheint sicher, wohl großes Glück im Unglück. Dass Marc Bartra mittelschwere Armverletzungen davon getragen hat, ist schlimm. Dass der spanische Innenverteidiger in Diensten der Borussia aber angesichts der Wucht der Detonationen der einzige Verletzte blieb, zeigt, wie viel Glück die Dortmunder gehabt haben dürften. Extremsituationen – wer sie erlebt hat, der weiß das – können aber nicht nur physische, sondern auch psychische Wunden verursachen. Unsere Psyche ist so konzipiert, dass wir nach solchen Erlebnisse Zeit brauchen, um überhaupt zu realisieren, was mit uns passiert ist. Bis dahin funktionieren wir einfach nur.
„Es war mir im ersten Moment nicht bewusst. Erst als ich gestern nach Hause kam und meine Frau und mein Sohn vor der Türe standen, da habe ich realisiert, wie viel Glück wir hatten“, sagte ein sichtlich gezeichneter Nuri Sahin am Mittwoch nach der Niederlage gegen die AS Monaco.
23,5 Stunden Zeit für den BVB
Wenn wir Angst haben, erweitern sich unsere Bronchien, damit wir mehr Luft bekommen. Unser Blut verdickt sich, damit wir bei einer Verletzung nicht allzu schnell verbluten. Unsere Muskeln werden mehr durchblutet, damit wir besser kämpfen können. Eine Vielzahl automatisierter Prozesse läuft also dann in unserem Körper ab. Erst wenn die Gefahr gebannt ist, oder wir uns an sie gewöhnt haben, regelt unser Gehirn diese Prozesse wieder ab. Mental läuft das bei uns nahezu identisch ab, nur eben etwas langsamer. Erst wenn unser Körper wieder im Normalmodus ist, beginnen wir so richtig zu verstehen, was gerade eigentlich passiert ist.
Foto: PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images
Bei den Spielern von Borussia Dortmund dürfte das frühestens am Dienstagabend in der sicheren, eigenen Wohnung, am nächsten Morgen oder noch gar nicht passiert sein. Können diese Menschen also nicht einmal 24 Stunden später mit einem ähnlichen Bus wie am Vorabend schon wieder zum Stadion fahren und in einem der wichtigsten Spiele der Saison ihre Leistung bringen?
Kann man schon wieder Leistung bringen?
Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten, wie es nach diesem Einstieg scheinen mag. Während der eine – wie eben aufgezeigt – für die Realisierung der Geschehnisse länger braucht, beginnt bei dem anderen schon am nächsten Morgen die Verdrängungsphase. Das ist unsere älteste und effektivste Waffe, um mit schlimmen Erfahrungen umzugehen. Auch wenn der Begriff oft negativ behaftet wahrgenommen wird, ist Verdrängung grundsätzlich etwas Gutes.
So kann es für den einen sehr willkommene Ablenkung sein, am nächsten Tag wieder auf dem Platz zu stehen – mancher kann sich vielleicht sogar voll auf die sportliche Aufgabe konzentrieren. Für den anderen ist es aber vielleicht eine Aufgabe, die er maximal mit Routine, nicht aber mit Hingabe erledigen kann. Und für den nächsten ist es vielleicht sogar eine echte Qual.
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