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Meinung

Prinz oder Pressefreiheit?

Niemals würden wir eine auch nur halbwegs politische Kolumne über den Beef zwischen Lukas Podolski und Jan Böhmermann schreiben, um SEO-mäßig endlich mal richtig abzusahnen.

Auf einen Tee mit Böhmi: Lukas Podolski | Foto: OZAN KOSE/AFP/Getty Images

Dass sich zwei derart wichtige Persönlichkeiten der deutschen Gesellschaft zu den Inhalten einer TV-Show äußern, ist überaus ungewöhnlich. Aber jetzt wirklich so passiert. Als sich in den letzten Tagen Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte, rieb man sich noch kurz die Augen, dachte kurz „Aha“ und lebte sein Leben weiter. Doch jetzt dürfte wirklich jedem – ob Turkey oder Storch – klar geworden sein: Die Lage ist Ernst.

So lautet das kurze Statement, das direkt zweisprachig an die Welt übermittelt wurde. Und ja, zugegeben: Im ersten Moment will man entgegnen, dass ein Böhmer Boomerang, der nicht irgendwann mal zurückkommt, doch ein schlechter wäre. Aber noch während man darüber nachdenkt, dass die Boomerang-Frage gar nicht so einfach ist, wie sie scheint, und darüber, dass die Antwort darauf, ob es gut oder schlecht ist, wenn das Fluggerät zu einem zurückfindet, ja schon auch davon abhängt, ob man ihn fängt, oder in die Fresse bekommt, realisiert man, welche Tragweite das Ganze plötzlich hat. Es ist alles fast so schlimm wie Bandwurmsätze. Wie konnte das nur passieren?

Dabei hatte Böhmermann vor zehn Jahren doch nur ein paar harmlose Witzchen gerissen. Alles fing so lustig und fröhlich an. Lukas, Jan Rainer und das Mikrofon. Eine schöne Zeit, eine tolle geistige Verbindung zweier Menschen und überhaupt, wer möchte denn bitteschön nicht bei der aller-jugendlichsten Sendeanstalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks „Lukas’ Tagebuch“ einsprechen? Schließlich war Weltmeisterschaft und „Alternative“ noch ein akzeptabler Musikgeschmack. Wir hatten uns alle so richtig lieb. Sogar unsere Fahne.


Poldi fand es wohl nicht witzig: Lukas’ Tagebuch von Jan Böhmermann | Quelle: Youtube/Einslive

Gut, Poldi hat Böhmermann damals trotzdem verklagt, weil er sich durch die Comedy in einem schlechten Licht dargestellt sah und heute wird die Fahne von skurrilen Personen als modisches Accessoire in Talkshows, oder – bodenständiger – Montagabends in Dresden auf die Straße getragen. Aber viel entscheidender: Nun tobt der Sturm, das Boot ist voll, es kommt die Flut. Piep, piep, piep, niemand hat sich lieb.

Doch nicht nur, dass Böhmermann nun vermutlich noch mehr Rotze in seine Dönersauce bekommt als ohnehin schon, weil er mit einer zitierten Schmähkritik, die übrigens keine Schmähkritik gewesen wäre, wenn sie nicht die Grenzen des guten Geschmacks übertreten hätte, probiert hat, dem türkischen Präsidenten zu erklären, was wirklich ein Grund gewesen wäre, den Botschafter Anwalt anzurufen. Nein, jetzt hat auch noch die Lichtgestalt der Domstadt den Daumen über dem – vermutlich nun bald nicht mehr in Köln wohnenden – Moderator gesenkt. Es sind schreckliche Zeiten für den dünnen ZDFNeo-Mann, der kurz nach Podolskis Tweet seine Teilnahme an der Grimme-Preis-Verleihung am heutigen Abend abgesagt hat. “Ich fühle mich erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe”, so Böhmermann.

Prinz Poldi – den wir übrigens überaus schätzen und hiermit auch geschlossen schwören möchten, dass weder wir noch jemals irgendjemand in unserer Anwesenheit einen Witz über ihn gemacht hat (und über Präsident Erdogan sowieso nicht), sieht eben alles, was in seinen Landen passiert. Gerade offenbar besonders gern, wenn sein ehemaliger komödiantischer Albtraum von der Staatsanwaltschaft wegen Beleidigung auf die Fresse bekommt zu bekommen scheint.

Das macht es für uns doch nur noch schlimmer! Neben Menschenrechtsverletzungen, Flüchtlingskrisen, Rassismus, Kriegen, Terrorismus und Montagsabends-Spielen in der Bundesliga müssen wir jetzt noch ein viel größeres Problem lösen. Jetzt heißt es: Poldi oder Böhmi? Das sind die Momente im Leben, da möchte man eigentlich eine alte Drogensucht haben, um nun völlig verzweifelt wieder mit dem Dreck anfangen zu können. Um diese über einen hereinbrechende Unruhe angesichts dieser größten aller Fragen zu töten. Das nervöse Zittern in der Seele. Die Stimme im Kopf, die auf uns einhämmert: Prinz oder Pressefreiheit?


Um Podolski geht es nicht mehr: Das macht Jan Böhmermann heutzutage | Video: Neo Magazin Royale

Aber Moment, was hat das alles überhaupt mit Fußball zu tun, dieses verunglückte Humor-Tag-Team aus Bad-Joke-Böhmermann, Prinz Poldi und Erdo-wo, Erdo-wie, Erdo-wann? Welche Position wird der Satiriker in Zukunft wohl spielen, wenn linker und rechter Flügel schon vergeben sind? Und darf man das überhaupt – als Sportjournalist darüber schreiben? Ratlosigkeit.

Gerne gestehen wir deshalb reumütig ein: Vermutlich ist das Thema dem Fußball so nah wie der Halbmond derzeit dem Adler. Politik hat im Stadion nichts verloren. Ganz unsere Meinung. Deshalb würden wir – wie oben ja schon versprochen – hier auch nie etwas Politisches schreiben und dabei darauf hinweisen wollen, dass Satire von ihrem Wesen her eben nicht auf persönlichen Stolz abzielt. Und niemals würden wir den Leser am Ende noch wissen lassen, dass wir bei Lukas’ Tagebuch auch mal gelacht haben. Würden wir wirklich nie machen, seien Sie ganz unbesorgt.

Dass wir diese schwierigen Fragen des Lebens einfach mal neunzig Minuten vergessen können, ist doch schließlich das Schöne am Fußball. Alles ist ganz einfach: Pillen schwarz, effzeh weiß.

Wie Schach – nur ohne Würfel.

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