“Ein Dilemma, auch Zwickmühle, bezeichnet eine Situation, die zwei Möglichkeiten der Entscheidung bietet, die beide zu einem unerwünschten Resultat führen.” Das sagt Wikipedia ganz lapidar zu einem sehr alten Problem. Man muss irgendwas tun, weiß aber genau, dass am Ende nicht alle glücklich sind.
Nach den Auseinandersetzungen zwischen Fans und Polizei im Rahmen des Auswärtsspiel in Karlsruhe, wurde es unruhig in der Kölner Fanszene. Viele Betroffene veröffentlichten ihre Sicht der Dinge über diverse Kanäle und erhoben dabei teilweise schwere Vorwürfe gegenüber der Polizei. Darunter auch viele Fans, die offenbar einfach nur mit hineingezogen wurden in eine Situation, für die sie nichts konnten (effzeh.com berichtete)
Von “Sippenhaft” und “Schikane” oder gar einer “gezielten Attacke” der Polizei auf die Kölner Anhänger war die Rede. Auf der anderen Seite natürlich die Ordnungshüter, die ihre Vorgehensweise rechtfertigten und ihrerseits auf zahlreiche Verfehlungen der Fans verwiesen. Der Verein reagierte auf all das Wirr-Warr, indem er eine genaue Aufarbeitung der Vorfälle ankündigte. Eine vernünftige Taktik, um zu vermeiden, dass man hektisch eine Position beziehen muss.
Geweckte Hoffnungen
Aber dieses Vorgehen weckte natürlich auch Hoffnungen – vor allem bei den Fans, die zu Unrecht mehrere Stunden auf halber Strecke festsaßen, weil die Polizei die Personalien von ein paar Fans aufnehmen wollte, die offenbar im Abteil geraucht hatten und damit der Eskalation den Weg ebnete. Oder bei den Fans, die beim Einsteigen in die Busse grundlos eine Ladung Pfefferspray abbekommen haben. Oder bei denen, die in einem dieser Busse kurzerhand in ein Polizeirevier verfrachtet wurden anstatt zum Stadion. Weil offenbar einige Fahrgäste eine Sachbeschädigung begangen hatten.
Diese Fans hatten zurecht die Hoffnung, dass ihr Verein, für den sie regelmäßig viele Hunderte von Kilometern fahren, um ihn zu unterstützen, jetzt im Gegenzug auch sie unterstützt. Und dass der Verein damit auch klipp und klar sagt: Wir schützen unsere Fans! Dass heißt nicht, dass man diejenigen schützt, die sich tatsächlich daneben benommen haben. Niemand hat etwas dagegen einzuwenden, wenn der, dem Strafe gebührt, sie auch bekommt. Aber das soll dann bitte auch für die Polizei gelten. So in etwa dürfte die Erwartungshaltung gewesen sein, die fanseitig der Stellungnahme des Vereins entgegengebracht wurde.
Der 1. FC Köln hat sich mittlerweile mit einer umfangreichen Erklärung und einer dazu gehörigen Chronologie der Ereignisse geäußert. Es wurden Gespräche mit der Polizei in Karlsruhe, Koblenz und Köln geführt. Zuletzt auch mit der Bundespolizei, die verantwortlich für die “Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit” (BFE) ist, die heftig in der Kritik stand. Es wurden Schilderungen von Fans eingeholt und auch Videoaufzeichnungen gesichtet. Aus dieser Basis zog der Verein ein Fazit.
Kritik an der Polizei
Und zunächst einmal gibt es Kritik an der Polizei: “Die Polizei hat im Laufe des Tages mehrfach mit zum Teil unglücklichen und nicht nachvollziehbaren Einsatzkonzepten zu einer aufgeheizten Lage beigetragen.” Es dürfe auch nicht sein, dass “gewöhnliche Fans” Angst vor der Polizei haben müssen, wie es in Karlsruhe der Fall gewesen ist: “Einen solchen Eindruck zu vermeiden muss nicht nur im Sinne der Vereine sein, sondern auch im Interesse der Polizei.” Gleich im nächsten Absatz wird die Polizei allerdings auch gelobt und der Verdacht ausgeräumt, dass die Ordnungshüter es auf die Kölner Fans “abgesehen” gehabt hätten. Vielmehr habe die Polizei mindestens zwei mal Kölner Anhänger entscheidend vor Übergriffen von Karlsruher Fans geschützt.
Dann folgt die nächste Klarstellung: “Die Ereignisse von Karlsruhe lassen es jedoch leider auch nicht zu, dass sich der 1. FC Köln vorbehaltlos und kollektiv vor die gesamte aktive Fanszene stellen kann.” Es gebe keine Zweifel daran, dass sich einige wenige Kölner “erheblicher Straftaten” schuldig gemacht haben. Die “bei weitem überwiegende Mehrheit der rund 3.500 nach Karlsruhe gereisten Kölner Fans” habe sich jedoch vorbildlich verhalten.
Es wird also zusammen gefasst, was bis dahin schon alle wussten: Es gab Fans, die Fehler gemacht haben. Es gab Polizisten, die Fehler gemacht haben und deshalb gab es eben eine Eskalation. Soweit ist die Stellungnahme zwar nicht wirklich erhellend, aber eben auch nicht problematisch. Was dann folgt, ist für viele Betroffene jedoch nicht nachvollziehbar.
Minderheit vor Mehrheit
Über drei Absätze widmet sich der Verein denjenigen, die gerade eben noch als Minderheit deklariert wurden. Also den Anhängern, die zum Beispiel durch Flaschenwürfe oder Übergriffe auf Beamte sich einerseits strafbar gemacht und andererseits zur Eskalation beigetragen haben: “Wir wollen diese Personen nicht in unseren Reihen haben, wir wollen von ihnen nicht angefeuert werden – und wir erwarten, dass die aktive Fanszene sich ebenso eindeutig von solchen Personen distanziert.” Und weiter: “Wer meint, es gehöre zur Idee einer bunten Fanszene oder einer lebendigen Kurve, die Auseinandersetzung mit Polizeibeamten zu suchen, der unterliegt einem gewaltigen Irrtum.” Da kann man an sich auch nichts gegen einwenden, es ist ja inhaltlich richtig. Einige Fans dürften an dieser Stelle allerdings den Zusatz vermissen, dass es eben auch nicht zur “Idee” der Polizeiarbeit gehört, die Auseinandersetzung mit Fußballfans zu suchen.
Auch auf die Demonstration der aktiven Fanszene vom Montag, bei der rund 1500 Kölner Anhänger gegen überzogene und willkürliche Polizeieinsätze eintraten und geschlossen zum Stadion marschierten, ging der Verein ein: “In diesem Zusammenhang distanziert sich der FC von pauschalen und beleidigenden Sprechchören und Bannern gegen die Polizei aus der Kölner Fanszene vom Montag.”
Bei der Kundgebung hatte es vereinzelt Beleidigungen gegen die Polizei (effzeh.com berichtete) gegeben. Es erscheint an dieser Stelle doch reichlich unsensibel, es dabei als Kommentar zu belassen. Natürlich muss sich der Verein von derartigen Aktionen distanzieren, das ist auch für jeden nachvollziehbar. Doch spätestens an dieser Stelle dürften sich die ersten Fans im Stich gelassen fühlen. Es geht wieder nur um die Ausnahmen, die Mist bauen, statt um das Anliegen der Mehrheit.
Das ewige Dilemma
Warum der Verein so vergeht, wird immer diffuser zu verstehen, wenn man sich die beigelegte Chronologie der Ereignisse anschaut. Dort heißt es in Bezug auf den Pfefferspray- und Schlagstock-Einsatz beim Besteigen der Busse in Karlsruhe nämlich: “Dafür haben wir als Verein unabhängig von den Umständen keinerlei Verständnis.” Und betreffend der Eskalation auf der Rückfahrt: “In einigen Fällen wandten offenbar auch Polizisten überzogen Gewalt an. Mindestens ein Übergriff eines Polizisten gegen einen bereits fixierten Kölner Fan ist dokumentiert.” Die Kritik an der Polizei ist also durchaus vorhanden, wenn auch wohl dosiert und “versteckt” in der Chronologie.
Die spontane Enttäuschung, die viele Fans bei dieser Stellungnahme empfinden, ist dennoch nachvollziehbar. Allerdings sollte man sich auch ein wenig Zeit nehmen, über die Situation des Vereins nachzudenken.
Der FC möchte solche Vorfälle natürlich vermeiden, sie bringen immer Diskussionen und “schlechte Presse” mit sich. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht er die “Mitarbeit” der Fans. Aber eben auch die der Polizei. Der Verein steht also zwischen den beiden Konfliktparteien und beide erwarten, dass er sich positioniert. An einer offenen Auseinandersetzung mit der Polizei kann der Verein nicht interessiert sein. Seine Fans zu “enttäuschen” ist aber auch keine Option. Da ist es wieder, dieses ewige Dilemma.
Man muss sich in diesem Konflikt immer vor Augen halten, dass die Rolle des Vereins die schwierigste ist. Während sowohl die Polizei, als auch die Fans klare Standpunkte beziehen können, muss der Verein es irgendwie allen recht machen.
Fehlende Antworten
Das Problem ist nur, dass das diesmal nicht geklappt hat. Denn diejenigen Fans, die von Polizeibeamten beleidigt und verhöhnt oder gar körperlich angegangen wurden, die werden mit Sätzen wie diesen nicht glücklich sein: “Dass Polizeibeamte von Anhängern des 1. FC Köln bespuckt und beleidigt werden, ist nichts, woran wir uns gewöhnen wollen.” Und das nicht, weil sie das anders sehen, als der Verein. Sondern weil es sie dort zurücklässt, wo sie schon vor drei Wochen waren. Mit offenen Fragen und vor allem ohne das Gefühl und die Gewissheit, dass das Fehlverhalten auf Seiten der Polizei genauso vehement verurteilt und bestraft wird, wie das der Fans.
Es mag alles inhaltlich richtig sein, was der Verein zu den “Störern” zu sagen hat. Und niemand wird sagen, diese seien unschuldig. Doch darum geht es eben nicht. Es geht um andere Fragen: Warum müssen viele für das Fehlverhalten weniger die Konsequenzen ausbaden? Wieso sorgte erst die Anwesenheit der Berliner Polizeieinheit für eine massive Eskalation? Weshalb war die Kommunikation der Polizei dermaßen mangelhaft? Wie wird gegen Polizisten vorgegangen, die gegen Gesetze verstoßen haben? Welche Konsequenzen werden daraus gezogen?
Diese Fragen lässt der Verein weitestgehend unbeantwortet. Konsequenzen werden nur für diejenigen angekündigt, die sich nachweislich strafbar gemacht haben. Gemeint sind damit die Fans. Dass der Verein die Polizei beziehungsweise die Beamten, die sich ebenfalls Verfehlungen geleistet haben, nicht derartig sanktionieren kann, liegt auf der Hand. Aber glaubhaft versichern, dass man alles in der Macht liegende tut, damit auch dort Gerechtigkeit waltet, wäre sicherlich kein Angriff auf die Polizei gewesen. Es wäre einfach nur fair gewesen.
Denn dann würden sich diejenigen, die ohne eigenes Verschulden hineingezogen wurden, jetzt nicht mehr ganz so fühlen, als hätten sie in der Verlängerung verloren.