Mit der Trennung von Heldt wollte der Vorstand vielleicht auch einem gewissen medialen Grundrauschen entgegenwirken, in dem es darum ging, der Geschäftsführung eine gute Bilanz anzudichten. Denn eins muss man den beiden Geschäftsführern lassen: Ihre Drähte zu gewissen Medien in der Domstadt sind kurz, so lässt sich der ein oder andere Spin proaktiv kommunizieren. Denn wie sonst sollte es möglich sein, dass Alexander Wehrle nach wie vor so einen guten Ruf besitzt?
Mit diesem Wissen im Hinterkopf ist es einfacher, die Geschehnisse der letzten Tage besser einzuordnen. Nach der Pressekonferenz zur Heldt-Trennung am Montag, bei der der Vorstand des FC sicherlich keinen guten Eindruck machte, überboten sich Express, KStA und Bild in einem Wettbewerb um das Interview oder den Take, um die Deutungshoheit über die Geschehnisse zu behalten. Heldt, der auf eine Entscheidung über seine Zukunft noch am Sonntag gedrängt hatte, gab die Trennung dann nach außen. Beratermogul Volker Struth und Ex-Trainer Friedhelm Funkel übertrafen sich mit teils haarsträubenden Aussagen, ein Mitglied des FC-Beirats trat zurück, das Bohei war groß.
Sie alle waren mit dem Vorgehen des Vorstands nichts zufrieden, Heldt selbst zeigte sich bockig und trat nach, der Vorstand wehrte sich gegen Vorwürfe – so zumindest die Kurzfassung. Doch eigentlich geht es um etwas ganz anderes: Es geht um die Zukunft des 1. FC Köln und die Frage, wer seine Pfründe verliert. Denn natürlich ist es einerseits legitim und begründet, den Vorstand zu kritisieren, weil er zu wenig geleistet hat. Andererseits wird es dem FC nicht weiterhelfen, wenn Personen wie Struth mehr Einfluss bekommen.
Doch wer könnte langfristig ein möglicher Heldt-Nachfolger werden – und wer würde einen solchen überhaupt aussuchen?
Der FC-Vorstand hat solche Fragen offenbar komplett an das Kompetenzteam Sport mit Jörg Jakobs und Erich Rutemöller ausgelagert, weswegen es keine Überraschung ist, dass Jakobs bis auf Weiteres das Amt vorerst zusammen mit Thomas Kessler übernimmt. Für beide stehen große Aufgaben an: Der FC wird Transfererlöse brauchen, um überhaupt aktiv werden zu können, Spieler wie Ellyes Skhiri, Sebastiaan Bornauw und Ismail Jakobs müssen verkauft, Jugend- und Perspektivspieler sinnvoll eingebunden werden. Jakobs wollte zwischendurch auch als Vizepräsident kandidieren, mittlerweile hat er also einen anderen Posten bekommen.
Der 1. FC Köln präsentiert sich völlig dysfunktional
Wehrle und Heldt waren trotz schlechter Arbeit und diversen Notlagen lange Zeit in einer guten Position: Sie konnten einen zaudernden und zögernden Vorstand vor sich hertreiben, weil dieser schlichtweg die nötige Konsequenz vermissen ließ. Wolf und Co. schienen eher besorgt, dass Wehrle und Heldt gehen könnten – dies wäre nämlich damit verbunden, dass sie selbst Verantwortung übernehmen. Doch davor scheuten sie sich lange Zeit ganz eindeutig, die Trennung vom Sportgeschäftsführer immerhin zeigt, dass sie doch aktiv werden können – Störgeräusche inklusive. Stellt man sich diesen Text wie einen Rundgang durchs Geißbockheim vor, bei dem man zwischenzeitlich mal einen Blick die Büros des Vorstands und der Geschäftsführung wirft, findet das Kopfschütteln eigentlich kein Ende. Im Sommer 2021 präsentiert sich der 1. FC Köln führungs-, konzept- und planlos – und leider völlig dysfunktional.
Der Klassenerhalt auf den letzten Drücker scheint den Niedergang des Vereins nur kurzfristig zu verhindern. Blickt man auf die Entwicklungen der beiden Absteiger Schalke und Werder Bremen, überrascht es eigentlich nicht, dass beide in der kommenden Saison in der 2. Bundesliga antreten müssen. Beide eint, dass sie ihre Legitimation in erster Linie aus Erfolgen in der Vergangenheit ziehen – etwas, das beim FC auch nicht gänzlich unbekannt ist. Mit dem Einzig in die Europa League 2017 hatten die Kölner eigentlich eine ideale Ausgangsposition, um sich nachhaltig in der Bundesliga zu etablieren. Vier Jahre, einen Abstieg und einen Klassenerhalt in letzter Minute später muss man konstatieren: Diesen Vorsprung hat der Verein nicht genutzt.
Seit geraumer Zeit nur noch im Krisenzustand
Dabei half es auch nicht, den sportlichen Misserfolg durch kommunikative Kampagnen und sündhaft teure Vertragsverlängerungen positiv zu besetzen, weil man ja eigentlich nur noch stärker zurückkehren würde – das eigene Scheitern zum Erfolg umzudichten ist eine bis dato ziemlich einmalige Herangehensweise. Der „Betriebsunfall“ (Zitat Toni Schumacher) sollte mit viel Geld repariert werden, darunter leiden die „Geißböcke“ heute noch. Seit dem Wiederaufstieg 2019 befand sich der FC eigentlich fortdauernd im Krisenzustand, Personalbewegungen im sportlichen Bereich waren die Folge.
Das alles hätten Gründe für eine Generalüberholung sein können, nicht aber in Köln. Hier dachte man sich offenbar: Das Stadion ist immer voll, der Verein hat über 100.000 Mitglieder und eine eigene Dokumentarserie, verkauft jede Menge Fanartikel – eigentlich läuft doch alles gut beim FC. Diese etwas eigenwilligen Bewertungskriterien können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eigentlich seit Jahren bergab geht. Der Mangel an Kritikfähigkeit ist am Geißbockheim daher wohl das größte Übel, mit dem sich alle – von Entscheidern über Medien, Umfeld, Fans und Mitgliedern – auseinandersetzen müssen. Entscheidungen im operativen Geschäft, die positive oder negative Folgen haben können, werden allerdings immer noch von Verantwortlichen am Geißbockheim getroffen.
Das ist auch noch aus einem anderen Grund wichtig: In der nahen Zukunft, nicht unwesentlich durch die Corona-Pandemie angetrieben, steht der 1. FC Köln vor Richtungsentscheidungen, die die Geschicke des Klubs bestimmen werden. Möchte der Verein weiterhin ein mitgliedergeführter, demokratischer Traditionsverein mit einem gewissen sportlichen Anspruch bleiben? Oder wird der FC den gleichen Weg nehmen wie zum Beispiel der 1. FC Kaiserslautern? Welche Rolle soll externes Geld dabei spielen, welchen Raum bekommt der Spin eines Volker Struth? Kritiker der Satzung bringen häufig das Argument, es bräuchte nur ein wenig mehr Geld und schon sei der FC sportlich erfolgreich – das greift allerdings viel zu kurz. Das Mehr an Geld, das der FC durch einen Anteilsverkauf erlösen könnte, würden Geschäftsführer wie Alexander Wehrle oder Horst Heldt in Windeseile verbrennen.
Aus dem Schneider ist der FC noch lange nicht
Deswegen ist es wichtig, dass die Mitglieder des Vereins sich auf der Mitgliederversammlung Gehör verschaffen und diese Fehlentwicklungen ansprechen. Zwar wird es auf einer digitalen Veranstaltung nicht einfach, aber es wird wichtig bleiben, nach wie vor Druck auf den amtierenden Vorstand auszuüben, der sich zwei Jahre lang in lähmender Trägheit durch die Amtszeit lavierte. Aus dem Schneider ist der FC trotz des Klassenerhalts noch lange nicht.