Lange hatte es gedauert, allzu lange für seinen Geschmack. Anthony Modeste hatten sich Chancen geboten, Gelegenheiten, die er normalerweise nicht verstreichen lässt. Er hatte nichts unversucht gelassen, per Kopf und mit dem Fuß, der Ball wollte einfach nicht ins Stuttgarter Tor – jedenfalls nicht auf reguläre Weise. Nach drei Minuten war ein Handspiel von Florian Kainz Anlass für die Aberkennung seines Tores, nach zehn Minuten hatte er bei Louis Schaubs Tor knapp im Abseits gestanden. Aber nun, in der 89. Minute eines nach der Pause von den Kölnern überlegen geführten Spiels, hatte Kingsley Schindler geflankt, Modeste sich mit einem schnellen Schritt von seinen Bewachern, Baumgartl und Mavropanos, befreit und in unnachahmlicher Weise eingeköpft zum 1:0-Sieg des 1. FC Köln gegen den VfB Stuttgart.
“Ich denke, in dieser Aktion war mein Papa für mich da.”
Das Stadion hatte unter dem Jubel der 15 000 Zuschauer gebebt, seine Mannschaft ihn beinahe erdrückt. Sein Blick ging nach oben, wo seine Gedanken zu sein schienen, bei Guy Modeste, seinem Vater, dessen Todestag sich just an diesem Tage zum dritten Male jährte. Er wäre stolz gewesen auf seinen Sohn, der allen Widerständen, allem Verletzungspech zum Trotz und auch angesichts seines schon fortgeschrittenen Alters es noch einmal allen beweisen kann. Seinen früheren Trainern, seinen Kritikern und auch seinen Fans. Dass er ein außergewöhnlicher Spieler ist, ein Torjäger par excellence, ein emotionaler und vielleicht auch ein außergewöhnlicher Mensch. Die Tränen im Gedenken an seinen Vater hielt er nach dem Schlusspfiff auch angesichts seines Tors zum 1:0 nicht zurück : “Ich denke, in dieser Aktion war mein Papa für mich da,” sollte er hinterher sagen. Und irgendwie sah er dabei glücklich aus.
Ein hartes Stück Arbeit für überlegene Kölner
Die Geschichte des Spiels ist schnell erzählt. Nach einer drangvollen Anfangsviertelstunde mit zwei aberkannten Toren taten sich die Kölner im weiteren Verlauf der ersten Hälfte trotz optischer Überlegenheit gegen zäh verteidigende Stuttgarter zunehmend schwer. Die Schwaben wiederum spielten ihre Konter bis zum Strafraum des Gegners mit technisch gepflegtem Fußball sauber aus, ließen aber im Sechzehner jegliche Torgefährlichkeit vermissen. Nach der Halbzeit und besonders nach der Einwechslung von Mark Uth, Jan Thielmann und Jannes Horn mehrten sich die Kölner Chancen durch Modeste und Uth, bis zum finalen Happy End für den FC.
Bei aller Euphorie merkte man Steffen Baumgarts Team schon an, dass die Kräfte langsam schwinden. Dies war gewiss der Englischen Woche geschuldet, sicherlich aber auch der kräftezehrenden Art und Weise, in der der Kölner Trainer Fußball spielen lässt. Die Freude über den Sieg und die Erleichterung darüber, dass man nun ganze zwei Wochen die Beine hoch legen kann, war den Spielern nach dem Schlusspfiff deutlich anzumerken. Was er denn nun mit der freien Zeit bis zum Trainingsbeginn am 2. Januar anzustellen gedenke, wurde FC-Innenverteidiger Timo Hübers nach dem Spiel gefragt. “Weihnachtsgeschenke auspacken, die Füße hochlegen und vielleicht ein Glas Wein trinken”, war seine Antwort.
Erkenntnisse: Kölner Trümpfe – Modeste, Hector und Özcan
Nein, es ist sicherlich noch nicht alles Gold, was beim 1. FC Köln glänzt. Es würde auch verwundern, wenn dies anders wäre, handelt es sich bei der Mannschaft doch im Kern um das Team, dass vor wenigen Monaten dem Abstieg aus der Bundesliga so gerade noch entrinnen konnte. Spieler, denen man ihre Bundesligatauglichkeit absprechen wollte, erweisen sich nun als wertvolle Stützen, wie Benno Schmitz oder Kingsley Schindler und vor allem Salih Özcan, an dem sich in der Kölner Anhängerschaft die Geister schieden und dessen Vertragsverlängerung von vielen Fans mit Skepsis verfolgt wurde. Er hat seine Kritiker widerlegt, ist zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Teams geworden. Auch am Sonntagabend. Zweikampfstark und bissig bestach er als Abräumer im Mittelfeld, gewann die meisten seiner Zweikämpfe und tut insgesamt der Mannschaft mit seiner Körperlichkeit einfach gut.
Anthony Modestes dritter Frühling sieht ihn mit elf Saisontoren nach 17 Spieltagen im Spitzenfeld der Torjägerliste. Ein fitter, konditionsstarker und trotz seiner Trefferquote mannschaftsdienlicher Modeste ist für den 1. FC Köln Gold wert. Dass dem so ist, hat der Spieler wie auch der Verein nicht zuletzt Steffen Baumgart zu verdanken, der offensichtlich bei dem sensiblen Torjäger wie auch bei Salih Özcan den richtigen Ton getroffen hat, der den Leistungssprung ermöglicht hat. Steffen Baumgart – der Spielerflüsterer? Da mag etwas dran sein. Wie schon gegen Wolfsburg lobte der Trainer zuvorderst seinen Mannschaftskapitän, Jonas Hector, der nicht nur bei der Entstehung des Tores zeigte, wie wichtig er mit seiner Ruhe, seiner Zielstrebigkeit und seiner Übersicht für das Kölner Team ist.
Der Blick nach vorne: Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!
Die Winterpause ist kurz, knapp zwei Wochen dürfen sich die Spieler des 1. FC Köln von den Strapazen der Hinrunde erholen und auf ein hoffentlich erfolgreiches Jahr 2022 anstoßen. Die Fans werden ebenfalls ein Gläschen darauf trinken, wurden sie doch von der Mannschaft durch den Heimsieg gegen den VfB Stuttgart reich beschenkt. Und überhaupt: Selten konnte die Anhängerschaft so gelassen der Rückrunde entgegensehen wie in diesem Jahr. Sechs Punkte Vorsprung vor dem rheinischen Rivalen aus Mönchengladbach, so mancher Fan wird das Gefühl haben, sich kneifen zu müssen.
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Am 9. Januar (15.30 Uhr) geht’s also zum Big City Club nach Berlin, wo man sich auch heute wohl noch an dem 3:2-Heimsieg über indisponierte Dortmunder erfreut. Eine starke Leistung, keine Frage. Überdies scheinen die Kassen gut gefüllt zu sein an der Spree, dem ersten Neuzugang, Linksverteidiger Fredrik André Björkan von FK Bodø/Glimt, werden möglicherweise noch weitere folgen. Individuelle Klasse besitzen die Berliner bereits jetzt, es wird vielmehr darauf ankommen, dass Trainer Tayfun Korkut die Mannschaft häufiger zu Leistungen wie gegen den BVB motivieren können wird. Die Kölner Fans kratzt dies wohl im Moment recht wenig. Der 9. Januar wird in ihrem Bewusstsein noch weit entfernt sein. Zunächst kommt Weihnachten. Und auch das ist eine Zeit zum Genießen.