Eine Veranstaltung, an die sich jeder, der dabei war, vermutlich noch lange erinnern wird: Die Mitgliederversammlung des 1. FC Köln stach zwar nicht durch besonders wegweisende Entscheidungen hervor, vielmehr war es das Drumherum, das die achteinhalb Stunden dauernde Sitzung so speziell machte. Erstmals wurde das Zusammentreffen der FC-Familie, das aufgrund der Coronavirus-Pandemie mit knapp neun Monaten Verspätung stattfand, rein virtuell durchgezogen. Bis tief in die Nacht debattierten die Mitglieder unter der Woche die Geschicke des Vereins – lebendig, kontrovers und demokratisch.
Als um 2.38 Uhr das Schlusswort von FC-Präsident Werner Wolf erfolgte, standen einige wichtige Entscheidungen fest: Carsten Wettich, bereits interimistisch als Vizepräsident tätig, wurde von der Mitgliederversammlung mit klarer Mehrheit in den Vorstand gewählt, das aktuelle Präsidium (sowie einige Vertreter der ehemaligen Vereinsführung) wurden mit ebenso deutlichem Votum entlastet und mit Christina Strauß, Christina Trebing sowie Dorothea Zechmann ist ein neues, komplett weibliches Trio für die Besetzung der Wahlkommission gefunden worden. Dagegen wurden, vor allem aufgrund der schon deutlich fortgeschrittenen Zeit, sämtliche Satzungsänderungsanträge auf Beschluss der Mitglieder verschoben.
1. It’s not the format, stupid!
Fast 9.000 Mitglieder hatten sich im Vorfeld der ersten FC-MV 2021 angemeldet, das hätte einen Publikumsrekord für die Vereinssitzung, die das oberste Organ des Clubs darstellt, bedeutet. In der Spitze saßen dann schließlich etwas weniger als 6.000 Angehörige der FC-Familie bei hochsommerlichen Temperaturen vor ihren Rechnern. Die hoffnungsvollen Annahmen, das rein virtuelle Format würde mehr Mitglieder zur Teilnahme verhelfen und der angeblich bisher am Geißbockheim herrschenden „Alibi-Demokratie“ endgültig ein Ende bereiten, erwiesen sich als Illusion. Vielmehr muss – aller Kritik an der Austragung unter der Woche zum Trotz – festgestellt werden: Ein allzu brennendes Interesse an einer demokratischen Mitbestimmung im Verein scheint bei einem Gros der Mitgliedschaft nicht vorhanden zu sein. Das mehr als offensichtlich interessengetriebene Mäkeln an einer vermeintlich fehlenden Legitimation von Entscheidungen der Mitgliederversammlung sollte nach dieser Veranstaltung dann auch endlich zu den Akten gelegt werden.
“Demokratie ist anstrengend, aber sie lohnt sich.”
2. Vereinsdemokratie ist (zu?) anstrengend
Dass eine Mitgliederversammlung allerdings auch keine vergnügungssteuerpflichtige Angelegenheit ist, dürfte allen Anwesenden bereits nach kurzer Zeit deutlich geworden sein. „Demokratie ist anstrengend, aber sie lohnt sich“, betonte FC-Präsident Werner Wolf zu Beginn seiner Rede – und da war noch längst nicht Halbzeit auf der Mitgliederversammlung. Dass schon bei der ersten kleineren Aussprache ausschließlich Wortmeldungen kamen, die absolut gar nichts mit diesem Tagesordnungspunkt zu tun hatten, dürfte da noch zu verschmerzen sein. Dass aber abermals Anträge kamen, die den demokratischen Charakter der Veranstaltung, zu dem eben auch zwingend Berichte und Aussprachen gehören, enorm beschädigt hätten, sollte nachdenklich stimmen. Wer die Mitgliederversammlung einzig als Ort versteht, der Vereinsführung einen Denkzettel zu verpassen, hat den Sinn dieser Veranstaltung nicht komplett verinnerlicht und zeigt fehlenden Respekt gegenüber Verein und Mitgliedschaft. Niemand hat gesagt, eine MV sei leicht – Sitzfleisch ist integraler Bestandteil einer Demokratie, die mitunter durchaus (zu) anstrengend ist.
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3. Das Format hat nicht gehalten, was viele sich versprochen hatten
Anstrengend wurde die Mitgliederversammlung aber auch deshalb, weil das Format einer virtuellen Veranstaltung große Schwächen offenbart hat. Das so genannte „Chatfenster“, das allerdings nur eine Eingabemaske war, lockte viele Wortmeldungen an. So weit, so gut. So weit, so unpraktikabel. Das Regulativ der anderen Mitglieder, die größere Hemmschwelle vor tausenden Menschen zu reden, die zeitliche Eingrenzung der Aussprachen durch die Sitzungsleitung : All das fiel durch die virtuelle Austragung weg – und das merkte man einigen Anmerkungen nicht nur deshalb deutlich an, weil sie sich thematisch ähnelten oder unbrauchbare Einwürfe waren. Es führt aber auch zu einer intransparenten Aussprache: Dass beispielsweise beim Änderungsantrag direkt zu Beginn 209 (!) Wortmeldungen einfach unter den Tisch fielen und unter „Manche dafür, manche dagegen“ subsumiert wurden, ist bei allem Verständnis für den Blick auf die Uhr nicht in Ordnung. Einige Fragen wurden nicht gestellt, einige sinnentstellend zusammengefasst, Nachfragen bei ungenügender Beantwortung war nicht möglich. Ist es bei einer virtuellen Teilnahme anders zu regeln? Kaum vorstellbar.
4. Die Technik hat gehalten, was versprochen wurde
Kaum vorstellbar übrigens auch, dass der 1. FC Köln eine solche Mammutveranstaltung im Marathonformat technisch derart solide und seriös herunterspult. Dynamo Dresden und der FC Schalke 04: Beide hatten zuvor ein ähnliches Format ergebnislos abbrechen müssen, weil entweder die Server oder aber die Abstimmungen nicht mitgespielt hatten. Würde sich auch der glorreiche FC bis auf die Knochen blamieren, weil die lang ersehnte Mitgliederversammlung aufgrund von technischen Problemen nicht über die Bühne gehen kann? Wer sich vorher in den Sozialen Medien umsah, dem dürfte diese Sorge bekannt vorkommen. Wer allerdings mit treibenden Kräften hinter den Kulissen sprach, der spürte große Zuversicht und großes Vertrauen in die Entscheidungsprozesse. Aufwendig hatte besonders der Mitgliederrat Leistungsnachweise eingefordert, bei der Partnerwahl wurde großen Wert auf die entsprechenden Kompetenzen gelegt. Das zahlte sich letztlich aus, lief die Versammlung doch technisch nahezu reibungslos ab. Nur über die Musikauswahl muss nochmals geredet werden!
5. Mehr Vertrauen als erwartet oder befürchtet
Im Vorfeld war die Frage, ob Carsten Wettich in den Vorstand gewählt wird, auch an dieser Stelle gewissermaßen zur Schicksalswahl für die Vereinsführung stilisiert worden. Der Gegenwind pfiff dem Präsidium und seinem Wunschkandidaten in den vergangenen Wochen stramm um die Ohren, Kritik kam von einstigen Unterstützern wie der Mitgliederinitiative 100%FC und Branchenfiguren wie Volker Struth gleichermaßen. Vorzeichen, die ein überzeugendes Mandat für Wettich, Wolf und Co. nicht allzu wahrscheinlich machten. Auch in der Aussprache wurde deutlich: Sonderlich zufrieden ist die Mitgliedschaft mit dem Vorstand derzeit nicht. Und dennoch sammelte die Vereinsführung mehr Vertrauen ein als erwartet beziehungsweise befürchtet: Wettich wurde mit überaus solider Mehrheit von fast 70 Prozent zum Vizepräsidenten gewählt, die Entlastung für das Geschäftsjahr 2019/20 erfolgte für das alte und das neue Präsidium trotz diverser diskussionswürdiger Themen ebenfalls klar. Das hatte sich angesichts des Stimmungsbildes im Vorfeld der Mitgliederversammlung so nicht angedeutet.
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