Einmal mehr dürfte es hitzig werden beim 1. FC Köln. Nicht nur, weil das Thermometer in der Domstadt am Donnerstag bis auf hochsommerliche 34 Grad steigen wird. Sondern auch, weil die „Geißböcke“ ihre Mitgliederversammlung mit knapp neun Monaten Verspätung endlich abhalten werden. Es gibt viel zu besprechen beim Traditionsverein, der in einer Achterbahnsaison über den Umweg der Relegation den Bundesliga-Verbleib gesichert hatte. Doch nicht nur sportlich war der Verein in Turbulenzen geraten, auch finanziell kommen die Kölner dank Misswirtschaft und Coronavirus-Pandemie enorm gebeutelt daher. Oben drauf kochten nach dem Klassenerhalt und der folgerichtigen Trennung von Sportgeschäftsführer Horst Heldt einmal mehr die Diskussionen um Vereinsstrukturen und Mitbestimmung der Mitgliederschaft hoch.
Sportlich instabil, finanziell angeschlagen, innerhalb des Clubs ein zerrissenes Stimmungsbild: Das sind die Zutaten, mit denen die Verantwortlichen des 1. FC Köln auf der Mitgliederversammlung arbeiten müssen. Keine allzu leichten Voraussetzungen, um den Austausch innerhalb der FC-Familie zu suchen. Eine Familie, die sich – pandemiebedingt – nicht vor Ort treffen, sondern sich online zusammenschalten wird. Erstmals in der Vereinsgeschichte wird die Mitgliederversammlung rein virtuell abgehalten, die eigentlich angedachte Hybridveranstaltung mit anwesenden Mitgliedern in der Kölnarena und vor ihren Rechnern ließ sich aufgrund der Situation nicht realisieren. Auch diese Premiere ist ein Aspekt, weshalb nicht nur vereinspolitisch Interessierte mit gespanntem Blick auf die Geschehnisse des Donnerstagabends schauen werden.
Charmeoffensive rechtzeitig vor Wettich-Wahl
Denn die Erstausgabe einer virtuellen Mitgliederversammlung ist nicht der einzige Aspekt, der die „Zusammenkunft“ zu einer besonderen macht. Erstmals seit seiner Wahl im September 2019 stellt sich der Vereinsvorstand den Mitgliedern, dazu stehen neben einigen Satzungsänderungsanträgen auch die Wahl eines Vizepräsidenten auf der Tagesordnung. Denn: Das Team um Werner Wolf, das vor 21 Monaten antrat, die Führung des 1. FC Köln zu übernehmen, es existiert bereits seit längerem in dieser Form nicht mehr. Vizepräsident Jürgen Sieger trat nach nicht einmal 100 Tagen im Amt zurück – diese Vakanz füllt seitdem der vom Mitgliederrat entsandte Carsten Wettich aus, der auf diesem Posten aufgrund der Pandemie verschobenen Mitgliederversammlung bisher nicht von den Mitgliedern via Abstimmung bestätigt wurde. Das soll nun erfolgen, ist allerdings angesichts der Stimmungslage rund um den Verein alles andere als sicher.
“Mit seinem wirtschaftlichen, juristischen Fachwissen und seinem strategischen Denken bringt er wertvolle Expertise in unser Vorstandsteam ein. Wer sich Ruhe, effizientes und nachhaltiges Arbeiten beim FC wünscht, sollte ihm seine Stimme geben.”
Auch deshalb setzte der Vorstand in den vergangenen Tagen nochmals zur späten Charmeoffensive an. Vorwärtsverteidigung quasi, um Carsten Wettich auch nach anderthalb Jahren als Interimslösung auch zukünftig im Präsidium zu behalten. „[W]ir im Vorstand wünschen uns sehr, dass die Mitglieder ihm das Vertrauen schenken. Mit seinem wirtschaftlichen, juristischen Fachwissen und seinem strategischen Denken bringt er wertvolle Expertise in unser Vorstandsteam ein. Wer sich Ruhe, effizientes und nachhaltiges Arbeiten beim FC wünscht, sollte ihm seine Stimme geben“, betont FC-Präsident Werner Wolf in einem Interview auf der vereinseigenen Webseite. Auch von Beirat und Mitgliederrat erhält Wettich in einer Mail an die Mitglieder noch einmal verbale Unterstützung: “Dieser Einigkeit von Vorstand, Beirat und Mitgliederrat sollten alle Mitglieder vertrauen, die sich wie wir angesichts der aktuellen Herausforderungen eine stabile Perspektive für den FC wünschen”, heißt es dort.
Doch genau dies ist das Problem: Das Vertrauen in die handelnden Personen beim 1. FC Köln, es ist nicht allzu groß. Die Kritik am Vorstand war gerade nach der Entlassung von Horst Heldt noch einmal hochgekocht, Branchenschwergewichte wie Friedhelm Funkel oder Volker Struth gaben die altbekannten Stichworte von den „Vollamateuren“ und den allmächtigen Gremien zum Besten. Sogar Wolfs Vorgänger Werner Spinner traute sich im Vorfeld der Mitgliederversammlung aus der Deckung, ließ neben seiner fragwürdigen Version mancher Vorgänge in seiner Ägide auch Kritik an den Verantwortlichen verlauten. Aber auch von einstigen Unterstützer*innen bekommt die Führungsetage des 1. FC Köln Feuer: Die Mitgliederinitiative „100 Prozent FC – dein Verein“ sprach sich beispielsweise in deutlichen Worten gegen Carsten Wettich als Vizepräsident aus. Sein Wirken in den zurückliegenden Wochen, Monaten und Jahren rechtfertige ihrer Ansicht nach nicht die dauerhafte Wahl in den Vorstand.
FC-Matchplan: Vorstand stellt Siebenjahresplan vor
Dass sich selbst diejenigen, die den Vorstand vor seiner Wahl noch mit hohem persönlichen Engagement unterstützt hatten, längst abgewendet haben, ist mittlerweile auch im Geißbockheim angekommen. „Deren Kritik kann ich in Teilen nachvollziehen. Während der Pandemie gab es zu wenig Kommunikation. Wir waren stark auf das wirtschaftliche Überleben konzentriert und haben dabei den Dialog aus den Augen verloren. Aber wir werden hier besser werden“, kündigt Wettich im „Spiegel“-Interview an. Ob er dieses Versprechen in die Tat umsetzen darf: Fraglich. Als gesichert gilt seine Wahl trotz PR-Offensive in den vergangenen Wochen nicht. Für den Fall eines Scheiterns hat Wettich bereits angekündigt, sich inicht nur aus dem Vorstand, sondern auch aus dem Mitgliederrat zurückzuziehen. Der FC-Vorstand allerdings hat einen Rücktritt, falls ihr Wunschkandidat nicht die Zustimmung der Mitglieder finden sollte, derweil ausgeschlossen.
So wird die erste Mitgliederversammlung seiner Präsidentschaft auch ein Votum über Werner Wolf und seine ersten 21 Monate im Amt. Zufriedenstellend war es bis jetzt weder für diejenigen, die ihn einst in diese Position brachten, noch wenig überraschend für die Kräfte, die sich in anderen Lagern verorten. Die Vertrauensfrage, zu der die Wahl Carsten Wettichs zweifellos geworden ist, wird auch über die Zukunft dieses Vorstands entscheiden. Eine Zukunft, die das „Wolf-Rudel“ derzeit in bunten Farben ausmalt. Mit einem Siebenjahresplan, der den Mitgliedern auf der virtuellen Versammlung vorgestellt werden soll, will der FC-Vorstand skizzieren, wie der Verein sich in den kommenden Jahren trotz großer finanzieller Sorgen in der Bundesliga etablieren und sogar unter die Top 10 des Landes vorstoßen soll.
“Hinter unserem FC-Matchplan steht ein sehr konkretes Konzept – vor allem im wichtigsten Bereich beim FC, dem Sport. Hier wollen wir nachhaltige und professionelle Strukturen aufbauen, die unabhängig von Einzelpersonen funktionieren.”
Ob das der große Wurf ist, der Werner Wolf und Co. aus der Schusslinie nehmen kann? Ob diese Strategie diejenige ist, die den 1. FC Köln nach vorne bringen wird? Zweifel sind angebracht – nicht nur aufgrund der Namensverwandtschaft mit dem ominösen Fünfjahresplan aus der Overath-Ära. „Hinter unserem FC-Matchplan steht ein sehr konkretes Konzept – vor allem im wichtigsten Bereich beim FC, dem Sport. Hier wollen wir nachhaltige und professionelle Strukturen aufbauen, die unabhängig von Einzelpersonen funktionieren“, versuchte der FC-Vorstand in einer ausführlichen Mail an die Mitglieder vor wenigen Tagen die Vision hinter der Strategie zu erklären – und versprach bei der virtuellen Versammlung die weiteren Bausteine des Siebenjahresplans zu präsentieren. Professionell, nachhaltig, personenunabhängig: Schöne Schlagworte, die allerdings mit Inhalt und Leben gefüllt werden müssen.
Dresden, Schalke, Köln? Die Frage nach der Technik
Inhalt satt wird es jedenfalls auf der Mitgliederversammlung geben, denn neben der Wettich-Wahl stehen noch die Geschäftsberichte, zahlreiche Satzungsänderungsanträge und die allgemeine Aussprache auf der Tagesordnung. Fast 9.000 Mitglieder hatten sich bis Mittwochabend für die virtuelle Veranstaltung angemeldet – ob sich allerdings angesichts der äußeren Umstände und des strammen Programms letztlich tatsächlich so viele beteiligen werden, ist noch nicht klar. Bereit für den großen Ansturm fühlt sich der Verein allerdings: „Wir haben uns als FC sehr sorgfältig auf den Abend vorbereitet“, betonte Werner Wolf auf der Vereinshomepage und meint damit sicherlich auch die technischen Voraussetzungen. Bei Dynamo Dresden musste die virtuelle Mitgliederversammlung wegen technischen Problemen ebenso abgebrochen werden wie beim FC Schalke 04 – in Köln fühlen sich die Verantwortlichen jedoch gewappnet, setzen die „Geißböcke“ doch auf einen anderen Dienstleister als die Dresdener und auch auf keine eigene Lösung wie S04.
„Wir haben einen Partner auf dem Markt gesucht, der bereits Veranstaltungen mit einer ähnlichen Größe durchgeführt hat. Den haben wir mit Voting Partner gefunden, der auch bei einigen anderen Fußballvereinen eine größere Anzahl an Teilnehmern betreut hat. Dabei waren sogenannte Last- und Perfomance-Tests wichtige Bestandteile“, erklärt Mitgliederratsvorsitzender Ho-Yeon Kim im effzeh.com-Interview. Gemeinsam mit Fabian Schwab hatte der IT-Experte die Verwaltung am Geißbockheim bei der Umsetzung des Vorhabens intensiv beraten und etliche Themen bei der Konzeption der virtuellen Versammlung angekurbelt. Eine zunächst angedachte Eigenlösung wie auf Schalke hatte der Verein auch deshalb bereits früh verworfen. „Man kann nicht alles ausschließen, allerdings denke ich, dass wir das für uns mögliche umgesetzt haben, um einen möglichst sicheren und stabilen Ablauf zu gewährleisten“, betont Kim.
Sicher und stabil – so soll die Mitgliederversammlung technisch ablaufen. Inhaltlich wird vermutlich wenig von der hitzigen Diskussion, die den Verein in den vergangenen Wochen umgeben hat, zu spüren sein. Zum einen ist so manche Wut drei Wochen nach dem Klassenerhalt bereits verraucht, zum anderen erschwert die Art der Aussprache eine verbale Eskalation des Geschehens. Fragen und Wortmeldungen konnten vorher eingereicht werden und sind auch während der Veranstaltung noch über einen Chat möglich – allerdings jeweils auf 1.000 Zeichen begrenzt. Ein Testlauf beim Mitgliederstammtisch ergab bereits 600 Fragen, eine konstruktive Aussprache unter diesen Umständen scheint so in einem zeitlich vernünftigen Rahmen kaum mehr möglich. Es droht – bei hochsommerlichen Außentemperaturen – ein langer Abend zu werden für die FC-Mitglieder vor den Rechnern und für die Vereinsverantwortlichen vor Ort in der Kölnarena. Ein langer Abend, der für die Zukunft des 1. FC Köln allerdings wegweisend sein könnte.