Nach vorn: Wand. Kleine Kursänderung. Rückwärts. Wieder Wand. Falscher Gang, falsche Richtung. Für quälend lange Sekunden, die sich wie Jahre anfühlen, darf der Zuschauer Austin Powers, den Titelhelden in der James-Bond-Parodie „Austin Powers: International Man Of Mystery“, beim Rangieren mit einem Fahrzeug in einer äußerst beengten Situation beobachten. Erfolgslos, selbstverständlich. Irgendwie, so scheint, muss es sich beim 1. FC Köln derzeit ähnlich anfühlen, wenn es um die sportliche Situation, die notwendigen Kurskorrekturen und die Diskussionen um eine vorzeitige Trennung von Trainer Markus Gisdol geht. Nach vorn: Wand. Zurück: Wand. Bewegungsspielraum: Nicht vorhanden. Hoher Fremdschämfaktor für den Beobachter inklusive.
So wirkte es nach dem 1:2 beim 1. FC Union Berlin wieder einmal, als hätten sich die „Geißböcke“ in eine Sackgasse manövriert, aus der sie nicht mehr herauszukommen scheinen. Das Bekenntnis kam FC-Sportgeschäftsführer Horst Heldt zwar einen Tag nach der Pleite etwas weniger überzeugend über die Lippen als noch in den Wochen zuvor, doch die Vereinsverantwortlichen scheinen gewillt zu sein, den Weg mit ihrem angeschlagenen Trainer weitergehen zu wollen. Obwohl das Gisdol-Team seit dem Derbysieg in Mönchengladbach in fünf Partien nur noch einen Zähler eingefahren hat. Obwohl der Abstand zu den Abstiegsrängen in dieser Phase bedrohlich zusammengeschmolzen ist und insbesondere der 1. FSV Mainz 05 deutlich formstärker daherkommt. Und obwohl die Kölner Auftritte in jüngster Vergangenheit mehr als nur zur Sorge Anlass geben sollten.
Heldt: “Natürlich sitzt der Trainer gegen Dortmund auf der Bank”
Doch wer bei Heldts obligatorischem Mediengespräch zwischen den Zeilen las, der registrierte auch die ersten Absetzbewegungen des Sportchefs von seinem Übungsleiter. „Natürlich sitzt der Trainer gegen Borussia Dortmund auf der Bank“, verkündete der FC-Sportgeschäftsführer, vermied allerdings auch ein offensives Bekenntnis zu Gisdol über das anstehende Heimspiel gegen den BVB hinaus. Klar ist: Wieder einmal könnte das Duell mit den Schwarzgelben zum Schicksalsspiel für den gebürtigen Schwaben, der seit November 2019 für den FC an der Seitenlinie steht, werden – in der Hinrunde hatte ein überraschender 2:1-Auswärtserfolg Gisdols Position massiv gestärkt. Klar ist aber auch: Die Länderspielpause nach diesem Wochenende ist die wohl letzte Chance, mit einem Trainerwechsel noch einmal einen Impuls setzen zu können. Die Zeichen am Geißbockheim deuten darauf hin, dass das BVB-Spiel tatsächlich auch die letzte Chance für Markus Gisdol zu sein scheint.
Denn wie der 1. FC Köln im Abstiegskampf bisher besonders aufgrund der Schwäche der Konkurrenz im Rennen gehalten wird, so wird auch der Trainer der „Geißböcke“ mehr durch externe Faktoren, die er nicht selbst in der Hand hat, im Amt gehalten denn durch die Qualität der eigenen Arbeit. Eine Entlassung des 51 Jahre alten Fußballlehrers käme den FC aufgrund der überflüssigen Vertragsverlängerung im Sommer teurer als nötig zu stehen – für den finanziell mittlerweile ziemlich gebeutelten Verein wäre eine Abfindung, die sich auf ein Jahresgehalt belaufen soll, zwar zu stemmen, aber ein heftiger Schlag ins Kontor. Auch die Frage nach verfügbaren Alternativen, die in kurzer Zeit erfolgsversprechend mit dem schlecht zusammengestellten Kader arbeiten könnten, wird rund um das Geißbockheim immer wieder gestellt – mittlerweile angesichts der sportlichen Situation nicht einmal mehr hinter vorgehaltener Hand.
22 Zähler aus 25 Spielen: Punkteschnitt wie ein Absteiger
So könnte sich der FC durch das Festhalten an Markus Gisdol bis in das Frühjahr hinein in bester Austin-Powers-Manier festgefahren zu haben. Und sich auch aufgrund der immer wieder geäußerten Rückendeckung auf allen Vereinsebenen für die Verantwortlichen der Misere genötigt sehen, den Weg bis zum möglicherweise bitteren Ende zu gehen. So spät noch den Trainer wechseln? Es wäre ein mutiger Schritt. Ein Mut, den nur noch wenige den Entscheidern bei den „Geißböcken“ zutrauen. Ein Feuerwehrmann für den Saisonendspurt: Er hätte durch die späte Trennung von Gisdol wenig Zeit zur Einarbeitung, um die vielleicht gerade noch borderline-bundesligataugliche Mannschaft wieder auf Kurs zu bringen. Er hätte ein wildes Programm vor sich, müsste mit dem Auswärtsauftritt beim Tabellendritten aus Wolfsburg starten, um dann ein enorm wichtiges Heimspiel gegen den direkten Konkurrenten aus Mainz anzugehen.
Gerade die Duelle mit den Rivalen aus dem Abstiegskampf waren allerdings in dieser Saison ein Faustpfand des Gisdol-Teams: In den bisherigen fünf Partien gegen Bielefeld, Hertha BSC, Mainz und Schalke holte der FC zehn der maximal möglichen 15 Punkte. Es sind zehn der derzeit lediglich 22 Zähler, die die „Geißböcke“ in den 25 Bundesliga-Spielen 2020/21 einfahren konnten. Der Schnitt von 0,88 Punkten pro Partie ist ebenso die Bilanz eines Absteigers wie die noch verheerendere Auflistung der Resultate seit Re-Start nach der Unterbrechung durch die Coronavirus-Pandemie (0,76 Punkte pro Partie). Es sind die nackten Ergebnisse, die gegen den FC-Coach, der trotz der Unterstützung seines „Schnitzelfreunds“ Horst Heldt mittlerweile nur noch wie ein Trainer auf Abruf wirkt, sprechen – und die selbst in den in jüngerer Vergangenheit vergleichsweise zahmen Kölner Medien mittlerweile zu einer offenen Debatte über eine Weiterbeschäftigung führen.
Offensive Harmlosigkeit, so weit das Auge reicht
Denn nicht nur die Resultate des 1. FC Köln sind in dieser Saison eines Abstiegs würdig, auch die Leistungen auf dem Platz lassen viele an der Bundesliga-Tauglichkeit der Mannschaft zweifeln. Nach knapp drei Vierteln der Saison haben die „Geißböcke“ immer noch keinen funktionierenden Plan für die Offensive entwickelt, beim Auswärtsspiel an der Alten Försterei wirkte es über weite Strecken einmal mehr, als sei das entscheidende letzte Drittel Lava für das Gisdol-Team. Der fehlende Fortschritt in fußballerischer Hinsicht lässt sich auch in den Statistiken ablesen: Trotz kleineren Verbesserungen auf niedrigem Niveau ist der FC bei Ballbesitz (Platz 14), Passquote (Platz 14) und xGoals (Platz 14) im Ligavergleich nur hauchzart über den Abstiegsrängen angesiedelt. Dramatischer ist ein Blick auf die Offensive allein: Nur Schalke (16) und Bielefeld (20) haben weniger Tore geschossen als die „Geißböcke“ (23), die etwas weniger als zehn Torschüsse und etwas weniger als drei Schüsse auf das gegnerische Tor pro Partie verzeichnen können.
Zahlen, die sich auch seit Jahresbeginn nicht verbessert haben. Die Einbindung der vorhandenen Offensivkräfte wie Ondrej Duda, der momentan als Mittelstürmer mehr erster Verteidiger denn Angreifer ist, lässt ebenso zu wünschen übrig wie die individuelle Weiterentwicklung vieler Spieler, die in ihrer Form stagnieren, wenn nicht sogar klaren Abwärtstrend zeigen. Dynamiken, die Markus Gisdol zwar nicht ausschließlich, aber dennoch maßgeblich angekreidet werden dürfen. Dass darüber hinaus Spieler wie Anthony Modeste oder Simon Terodde aus verschiedensten Gründen, die auch mit der bevorzugten Spielweise des Trainer zu tun hatten, abgegeben wurden, lässt die Kritik bei den FC-Fans ob der offensiven Harmlosigkeit noch größer werden. Das, was der FC-Trainer mit der Mannschaft vorzuhaben scheint, und das, was dieser auch unter seiner Mitwirkung zusammengestellte Kader zu leisten imstande ist: Es passt nicht zusammen, wenn die mitunter ratlosen Auftritte der „Geißböcke“ in dieser Saison in Betracht gezogen werden.
Es wartet das x-te “Endspiel” auf Markus Gisdol
Dass diese recht erratische Suche nach einem funktionierenden Plan auch innerhalb der Mannschaft ein Thema ist, davon zeugen unter anderem Interviews wie das von Jonas Hector nach der Niederlage am vergangenen Wochenende in Berlin. Überzeugt von der Herangehensweise des Trainers scheinen die wichtige Köpfe des Teams nicht zu sein – das zeigte sich auch schon nach dem 0:5 in Freiburg, als der Mannschaftsrat aufgrund der taktischen Marschroute im Breisgau das Gespräch mit FC-Sportchef Horst Heldt suchte. Dennoch: Das Mannschaftsgefüge wirkt aller fragwürdiger Kommunikation Gisdols nach innen und außen zum Trotz zumindest auf dem Platz intakt, anders als in vorherigen Abstiegssaisons wehren sich die „Geißböcke“ im Rahmen der offenkundig bescheidenen Mitteln bis zum Schluss. Auch bei der Zusammenarbeit passt weiterhin kaum ein Blatt zwischen Trainer und Sportchef, die Nachbarn Heldt und Gisdol scheinen überzeugt zu sein von ihrem aktuellen Weg.
“Die Situation ist alles andere als erfreulich. Wir hatten uns ein Polster aufgebaut, das ist jetzt aufgebraucht.”
Darauf setzen die Verantwortlichen auch vor dem x-ten „Endspiel“ am kommenden Wochenende. „Die Situation ist alles andere als erfreulich. Wir hatten uns ein Polster aufgebaut, das ist jetzt aufgebraucht. Es bleibt für uns und die Mannschaften um uns herum intensiv“, gestand Heldt im Mediengespräch zwar ein, schob allerdings auch hinterher: „Wir sind noch immer im Rennen, wir stehen über dem Strich und haben es selbst in der Hand. Wir können es besser, das haben wir in dieser Saison schon in einigen Spielen gezeigt. Ich bin nach wie vor überzeugt: Wenn wir das, was in jedem einzelnen Spieler und in dieser Mannschaft steckt, komplett in die Waagschale werfen, dann werden wir die Liga halten“, nahm der ehemalige Bundesliga-Profi vor allem die Spieler vor dem Dortmund-Duell in die Pflicht. Bisher konnte sich der FC in dieser Saison darauf verlassen, in heiklen Situationen zu punkten – wie schon beim Sieg im Hinspiel, den viele Beobachter mittlerweile in der Rückbetrachtung als Pyrrhussieg einordnen.
Die Frage ist: Wie will der FC in dieser Saison noch punkten?
Derzeit wirkt die Situation am Geißbockheim allerdings derart festgefahren, dass ein Erfolg gegen den formstarken BVB nicht vorstellbar zu sein scheint. Die Frage, wie der FC in dieser Saison angesichts der gezeigten Leistungen im Allgemeinen und der Sturmflaute im Speziellen überhaupt noch zu Punkten kommen will, liegt auf der Hand. Vorne: Die Wand. Hinten: Die Wand. Der Bewegungsspielraum ist am Geißbockheim derzeit kaum vorhanden. Austin Powers hat im Übrigen nach einigen erfolglosen Rangierversuchen das Handtuch geworfen und seine Mission ohne sein Vehikel fortgesetzt. Im späteren Verlauf des Films musste er allerdings bei seiner Flucht über das immer noch feststeckende Fahrzeug springen. Was das für den glorreichen 1. FC Köln bedeutet? Und ob das Drehbuch eine vielversprechende Handlungsanweisung für einen möglichen Turnaround darstellt? Es lässt sich nur mutmaßen. Entscheidend ist in diesem Fall wohl eher auf’m Platz und nicht auf der Leinwand.