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Analyse

Friedhelm Funkel und der freie Radikale: So schaffte der 1. FC Köln den Klassenerhalt

Wie haben Friedhelm Funkel und sein Co-Trainer André Pawlak das Ruder beim 1. FC Köln noch herumgerissen? An welchen taktischen Stellschrauben haben sie dazu gedreht, welche Anpassungen vorgenommen? effzeh.com geht der Rettung der “Geißböcke” taktisch auf den Grund.

29.05.2021, Fussball Relegation 2020/2021, Rückspiel, Holstein Kiel - 1. FC Köln, im Holstein-Stadion Kiel. Schlussjubel L-R Athletiktrainer Leif Frach Köln und Trainer Friedhelm Funkel Köln ***DFL and DFB regulations prohibit any use of photographs as image sequences and/or quasi-video.*** *** 29 05 2021, Football Relegation 2020 2021, Second leg, Holstein Kiel 1 FC Köln, at Holstein Stadion Kiel Final cheer L R Athletics coach Leif Frach Cologne and coach Friedhelm Funkel Cologne DFL and DFB regulations prohibit any use of photographs as image sequences and or quasi video
Foto: imago images / MIS

Der 1. FC Köln hat sich gerade noch so in der Bundesliga halten können. Erst köpfte Sebastiaan Bornauw die “Geißböcke” kurz vor Abpfiff gegen Schalke in die Relegation, wo sich die Mannschaft von “Feuerwehrmann” Friedhelm Funkel gegen Holstein Kiel dank einer furiosen Leistung im Rückspiel retten konnte. Gerade eben jener Funkel war es, der Mitte April 2021 die heikle Mission Klassenerhalt beim FC vom gefeuerten Markus Gisdol übernahm und letztlich über den Umweg des Duells mit dem Zweitliga-Dritten erfolgreich abschließen sollte.

Wobei man eines direkt vorweg sagen muss: Am großen, makrotaktischen Rad hat Funkel nicht gedreht. Wohl, weil sowohl er als auch Vorgänger Markus Gisdol großen Wert auf die Ideen Pawlaks gelegt haben, sah der FC auf dem Platz unter beiden gar nicht viel anders aus. So ließ Funkel über weite Strecken, insofern ihn Verletzungen oder Sperren nicht zu anderen Maßnahmen gezwungen haben, ein 4-2-3-1/4-1-4-1-Hybrid spielen – welches je nach Ausrichtung Jonas Hectors zwischen diesen beiden an sich schon kaum unterscheidbaren Systemvarianten hin- und herpendelte. Die Anpassungen Funkels finden sich eher im mikrotaktischen Bereich.

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Anpassung von Skhiris Rolle

Die erste dieser kleinen Anpassungen, die ins Auge stachen, war die Rolle Ellyes Skhiris. Er bekam den klaren Auftrag, sich im Aufbauspiel zwischen die Innenverteidiger fallen zu lassen. Diese vermeintlich eher unbedeutende Veränderungen der Aufgabenbeschreibung Skhiris hatte aber keine ganz so unbedeutenden Auswirkungen: Denn durch einen zusätzlichen Spieler in der letzten Linie konnten die beiden Innenverteidiger breit ziehen und somit den Außenverteidigern ermöglichen, sich weiter nach vorne zu orientieren. Von diesem Kniff im Gedächtnis geblieben sind sicherlich Benno Schmitz‘ Assist beim zwischenzeitlichen 2:0 gegen Augsburg oder seine große Torchance gegen den FC Schalke 04. Zwar waren auch unter Gisdol die Außenverteidiger angehalten, nach vorne zu agieren und in den Strafraum zu flanken, aber im Funkel‘schen System war dies besser abgesichert.

Ein weiterer Vorteil von Skhiris Abkippen ergab sich, weil nun in der letzten Kette eine zusätzliche Anspielstation vorhanden war. Gerade gegen aggressiv pressende Mannschaften die (teilweise) Bayer 04 Leverkusen und RB Leipzig bot dies eine weitere Möglichkeit, sich aus des Gegners Pressing befreien zu können und immer eine weitere Option zum sichereren Rückpass geboten zu bekommen. Gegen Leverkusen schlug sich dies trotz allerlei Lobs noch nicht im Ergebnis nieder, gegen Leipzig trug es aber auch mit zum Überraschungserfolg bei, da man sich so immer wieder aus den Pressingfallen der „Roten Bullen“ befreien konnte.

Sicherheitsfokus

Überhaupt konnte man bemerken, dass Funkel der Klassenerhalt nicht durch eine mitreißende Offensivstrategie gelungen wäre – lässt man das Relegationsrückspiel einmal außen vor – sondern vor allem durch eine bessere Absicherung der Offensivbemühungen, als dies zuletzt unter Gisdol der Fall war. Nicht zuletzt zu merken ist dies an den Einsatzzeiten Benno Schmitz‘, der sogar in jenen Spielen auf dem Platz stand, in denen sich viele Fans mehr Offensive gewünscht hätten – etwa gegen Hertha BSC, Schalke oder im Hinspiel gegen Holstein Kiel.

Training 1. FC Köln 1. Fussball Bundesliga Saison 2020 2021 Geißbockheim Köln Deutschland 05.05.2021 Links: Jonas Hector 1. FC Köln Rechts: Trainer Friedhelm Funkel 1. FC Köln *** Training 1 FC Köln 1 Football Bundesliga Season 2020 2021 Geißbockheim Cologne Germany 05 05 2021 Left Jonas Hector 1 FC Köln Right Coach Friedhelm Funkel 1 FC Köln

Foto: imago images / Eduard Bopp

Funkel hat dies nach dem 0:0 gegen Hertha als Teil seines Plans bezeichnet und die gesamte Spielanlage scheint ihn darin zu bestätigen. Wahrscheinlich ist es daher auch kein Zufall, dass in den letzten beiden Saisonspielen „zu Null“ gespielt wurde, was in den 28 Spieltagen unter dem ehemaligen Trainerteam insgesamt nur dreimal gelang. Der Ansatz Funkels dürfte klar gewesen sein: einer verunsicherten Mannschaft Halt und klare Defensivstrukturen geben ist, ein klassisches Mittel sogenannter „Feuerwehrmänner“, die einen Club in akuter Abstiegsnot übernehmen.

Jonas Hector als freier Radikaler

Ein Stück weit mag dies aber auch der Rolle Jonas Hectors geschuldet sein. Denn der Kapitän nahm spätestens seit der Halbzeit des Leipzig Spiels eine Rolle ein, wie sie in Bundesligamannschaften eher selten bis nie zu finden ist: als Spieler, der völlige Freiheiten auf dem Platz genoss und eine Rolle zwischen defensivem Mittelfeldspieler und Stoßstürmer übernahm. Für diese Art des „freien Radikalen“ gibt es nicht einmal einen passenden Namen in der Fachliteratur; normalerweise sieht man solch eine Rolle höchstens bei sehr unterlegenen Nationalmannschaften, die einen einzelnen herausragenden Starspieler in ihren Reihen haben.

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Und das nicht ohne Grund: Denn eine solche Freirolle muss mannschaftlich gut kompensiert werden und setzt ein gewisses Maß an Spielintelligenz der Akteure voraus. Zählen konnte Funkel hier auf Skhiris Laufstärke, der – wenn er eben nicht in die Kette zurückfiel – viele Lücken zulaufen musste, aber auch auf Ondrej Duda, der sich zurückfallen ließ, wenn Hector vorstieß, oder ihn nach vorne hin unterstützte in Situationen, wo man einen Treffer benötigte. Nicht zufällig kam der slowakische Spielmacher so auf über zwölf gelaufene Kilometer im Spiel gegen Schalke. Aber auch Hector selber blieb nicht einfach vorne drin stehen, sondern glich seinerseits viele von Dudas Bewegungen aus und besetzte den Rückraum, wenn sein Mittelfeldkollege etwa auf die Außen zog. Geradezu musterhaft sah man dies beim ersten Kölner Tor im Rückspiel gegen Kiel, als Duda für den vorstoßenden Hector auflegte.

Überhaupt kann man die Rolle Hectors in diesem Saisonendspurt gar nicht genug hervorheben, da sie nicht nur mit einem großen läuferischen Aufwand und mentaler Stärke verbunden war, sondern auch ein hohes Verständnis von mannschaftstaktischen Abläufen und Spielintelligenz erforderte. Gerade, indem Funkel dieses Potential in Hector erkannt und freigesetzt hat, hat er wohl den wichtigsten Taktik-Schlüssel zum Klassenerhalt gefunden.

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