Die EM 1980 ist, was die Teilnahme von Spielern des 1. FC Köln angeht, das erfolgreichste Turnier für den Verein gewesen. Gleich vier Akteure der Geißbock-Elf dürfen sich seit dem Endspielsieg der DFB-Elf in der ewigen Stadt Rom Europameister nennen – davon spielten drei im Finale, nur einer blieb ohne Einsatz. Die Beschreibung klingt übrigens nur zufällig nach der WM 1990, als ebenfalls drei FC-Spieler in Rom im Finale obsiegten und einer ohne Einsatz den Titel holte. Eine Duplizität der Ereignisse, sollte aber Italien noch einmal das Austragungsland einer WM oder EM werden und Rom das Endspiel bekommen, dann darf man das am Geißbockheim und in der DFB-Zentrale sicher als gutes Omen werten.
Doch zurück zur Europameisterschaft im Jahr 1980. Vier Jahre nach dem nur durch Elfmeterschießen verlorenen Finale gegen die Tschechoslowakei in einem aufregenden und extrem spannenden Mini-Turnier sollte diese EM endlich die erste werden, die dem Begriff „Turnier“ mehr entsprach. Bis dato bestanden die jeweiligen Endrunden lediglich aus vier Spielen: zwei Halbfinals, Spiel um Platz drei sowie das Finale. Im Jahr 1976 gingen alle diese vier Spiele in die Verlängerung und allen Partien war ein hochdramatischer Spielverlauf gegeben. 1980 sollte dies anders werden. Acht Mannschaften aus acht Ländern nahmen diesmal teil. Es wurden zwei Gruppen gebildet und der jeweilige Gruppensieger qualifizierte sich ohne Umwege direkt für das Finale. Ein Halbfinale gab es so nicht mehr.
Nach der “Schmach von Cordoba”: Neuer Trainer, neue Chancen, neue Namen
Als Gastgeberland wurde frühzeitig Italien bestimmt. Eine Wahl, die im Nachhinein Kopfzerbrechen bereitete, erlebt das Land doch im Vorfeld der EM einen Fußball-Wettskandal erster Güte. Im Verlauf der Ermittlungen wurden gleich sechs Nationalspieler verhaftet. Das alles führte dazu, dass die Nationalmannschaft Italiens kaum noch Rückhalt im Land hatte und allgemein das Interesse an der EM gering war. Dies, obwohl erstmals der Gastgeber direkt für die Endrunde qualifiziert war. Doch zunächst mussten 31 Verbände in die Qualifikation zur Endrunde. Darunter auch die Nationalmannschaft Deutschlands, die bei der WM 1978 durch die 2:3-Niederlage in Cordoba ausgerechnet gegen Österreich eine ziemlich deftige Ohrfeige erhielt. Zwar wird der Ausgang der WM sportlich bis heute stark überdramatisiert – die DFB-Auswahl war schließlich nur knapp vom Spiel um Platz drei entfernt, selbst das WM-Finale war theoretisch noch möglich –, aber Fußball-Deutschland war dennoch tief getroffen und verlangte nach Wiedergutmachung mit einem neuen Team.
Diese neue Mannschaft sollte Helmut Schöns Nachfolger Jupp Derwall aufbauen. Der joviale Rheinländer war lange Jahre Schöns Assistent und brachte gleich frischen Wind in das in Routine erstarrte Fußballland. Im ersten Spiel nach der WM siegte die Nationalmannschaft im Rahmen eines Freundschaftsspiels mit 4:3 beim noch amtierenden Europameister Tschechoslowakei. Es war ein begeisterndes Spiel und es schien, als wäre eine komplett neue Ausrichtung unter dem neuen Übungsleiter zu erkennen gewesen. Die letzten Jahre unter Schön waren letztlich quälend und bei der WM 78 war dem langjährigen Bundetrainer sein Team nahezu entglitten, die Tendenz dazu hatte sich bereits bei der EM 76 angedeutet. Der frische Wind auf der Bank war also überfällig – und er wurde liebend gerne entgegengenommen. Schließlich versprachen sich nun viele Spieler, die unter Schön kaum eine Rolle spielten, wieder eine Zukunft im DFB-Team.
Status der FC-Kandidaten
Ein Umstand, den FC-Star Heinz Flohe – ungekrönter Star der EM 76 – hätte bedenken sollen, als er nach der WM 78 etwas vorschnell aus der Nationalelf zurücktrat. Trotz seiner 30 Jahre spielte Flohe in Derwalls Planspielen eine ernsthafte Rolle und im Gegensatz zu Helmut Schön schätzte Derwall die enormen Fähigkeiten Flohes sehr. Auch nach dem unerfreulichen und aus FC-Sicht überflüssigen Wechsel des Regisseurs nach München (zu 1860) war Flohe für die EM wieder ein Thema beim Bundestrainer. Doch dann wurde Flohes Karriere durch den brutalen Tritt Paul Steiners beendet und die Sache hatte sich logischerweise erledigt.
Der andere strahlende Turnier-Held der 76er EM war Dieter Müller, der rätselhafterweise nicht mehr berufen wurde. Obwohl Müller im Verein beständig das Tor traf und auch im Nationalteam eine gute Quote vorweisen konnte (zwölf Spiele, neun Tore), blieb dem FC-Goalgetter die Anerkennung beim DFB verwehrt. Klaus Fischer, Karl-Heinz Rummenigge oder Klaus Allofs, später Horst Hrubesch bildeten eine starke Konkurrenz und Müller kam schlicht nicht dauerhaft an ihnen vorbei. Dies, obwohl er in zwei großen Turnieren bewiesen hatte, das er in wichtigen Spielen das Tor traf. Dennoch endete seine Nationalmannschaftskarriere mit der sogenannten „Schmach von Cordoba“ bei der WM im Jahr 1978.
Doch es spielten sich neue FC-Akteure in den Fokus der Nationalelf. Schon 1978 hatte sich Harald „Toni“ Schumacher immer mal wieder selbst bereits für die WM in Argentinien ins Gespräch gebracht. „Als Torwart des Deutschen Meisters sei man doch schließlich automatisch bei einer WM dabei“, hatte er einem Boulevardblatt in die Blöcke diktiert. Obwohl der DFB mitbekommen hatte, das sich aus dem einstigen Zappelphilipp, den Trainer Weisweiler zwischenzeitlich gar verschenken wollte, längst ein Top-Torwart entwickelt hatte, wurde er aufgrund dieser „großen Klappe“ zunächst ignoriert. Seine Zeit sollte aber noch kommen.
Der unverwüstliche Culli und die Torwartfrage
Ein anderer FC-Akteur wurde während der kompletten Qualifikation zur echten Säule des DFB-Teams. Bernd Cullmann, der unverwüstliche Weltmeister von 1974, der die EM 76 trotz vieler Qualifikationsspiele knapp verpasste und 1978 bei der WM ohne Einsatz blieb, wurde unter Derwall nun zum Stammspieler. In allen sechs Qualifikationsspielen war „Culli“ mit seiner unaufgeregten Art dabei und stabilisierte als Libero die Abwehr. Dass er dabei aber auch von den oftmaligen Nichtfreigaben seitens Real Madrid für Uli Stielike profierte, soll nicht unerwähnt bleiben. Auch Herbert „Zimbo“ Zimmermann, offensiver Außenverteidiger, wurde von Derwall geschätzt und absolvierte vier Qualifikationsspiele, in welchen er zweimal ins Netz traf. Einmal wurde auch das junge FC-Talent Bernd Schuster in der Qualifikation eingesetzt.
“Toni ist in Ordnung, er ist kein Linkmichel.”
Die Gegner in der Qualifikation hießen Türkei, Wales und Malta. Eine Todesgruppe klingt anders, das galt als problemlos machbar, aber ganz so locker lief es dann nicht. Die ersten beiden Begegnungen in der Türkei und sogar auf Malta endeten 0:0 und so war die Enttäuschung nach dem guten Beginn unter Derwall riesig. Anfang Mai 1979 aber gewann Deutschland in Wales mit 2:0, das erste EM-Tor in der Qualifikation war einem Kölner vorbehalten, Herbert Zimmermann zeichnete sich dafür verantwortlich. In der laufenden Qualifikation war es ausgerechnet auf der Torwartposition unruhig geworden. Der Platz im deutschen Tor war eigentlich weiter für Urgestein Sepp Maier vorgesehen, der auch in den Pflichtspielen noch zweimal zum Einsatz kam. Sein schwerer Autounfall im Juli 1979 beendete die Fußball-Karriere des 35-jährigen jedoch abrupt.
Um die Nachfolge der nun vakanten Nummer 1 im deutschen Tor kämpften zunächst Dieter Burdenski und Norbert Nigbur. Beide wechselten sich in der Qualifikation ab, vorerst war immer noch kein Platz für Toni Schumacher, dem Jupp Derwall trotz immer besserer Leistungen weiter kritisch gegenüberstand. „Der bringt zu viel Unruhe in den Laden“, hieß es DFB-intern. Immerhin gestatte man dem Kölner sein Debüt bei einem Freundschaftsspiel auf Island, als er in der zweiten Hälfte für Sepp Maier eingewechselt wurde. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen konnte, es war auch die Wachablösung zwischen zwei Weltklassetorhütern, die je eine Ära im deutschen Tor prägten. Die symbolische Staffelübergabe fand also an jenem 26. Mai 1979 im Stadion Laugardalsvöllur in Reykjavik vor gerade mal 9.000 Zuschauern statt. Nach dieser Wachablösung sah es im Sommer 1979 aber noch lange nicht aus. Derwall änderte vorerst zwar nun seine Meinung über den Menschen Schumacher („Toni ist in Ordnung, er ist kein Linkmichel“), bezüglich der Position um die Nummer 1 wollte man zunächst dennoch den Zweikampf Burdenski/Nigbur abwarten.
Weiterer Verlauf der Qualifikation
In der laufenden Qualifikation standen nun die Rückspiele an, die allesamt aus Heimspielen bestanden. Am 17.10.1979 ließ die DFB-Elf Wales beim 5:1 in Köln keine Chance. Klaus Fischer traf zweimal und schien mehr und mehr in der Rolle des Mittelstürmers gesetzt zu sein. Auch Hansi Müller, Kalle Rummenigge, Karl-Heinz Förster, Kapitän Dietz oder Manni Kaltz schienen ihre Plätze sicher zu haben. Ein Hans-Peter Briegel rückte nach, Klaus Allofs schien nach großen Leistungen im Verein auch in der Nationalelf angekommen. Das verjüngte Team wuchs mehr und mehr zusammen und mit einem in Köln erstmals in der Quali eingesetzten Bernd Schuster hatte Derwall noch ein großes Mittelfeld-Talent in der Hinterhand. Zwei Tage vor Heiligabend 1979 wurde auch die Türkei im Gelsenkirchener Parkstadion durch Tore von Klaus Fischer und „Zimbo“ Zimmermann mit 2:0 besiegt. Der Kölner war somit der letzte Torschütze der glorreichen Siebziger Jahre für die deutsche Nationalmannschaft.
Damit war auch quasi eine Vorentscheidung gefallen, denn das letzte Heimspiel gegen Malta galt als sicherer Siegtipp. Doch beim spielerisch eher dürftigen Auftritt gegen die Türken gab es auch Pfiffe aus dem Publikum zu hören und in den Medien wurden wieder Zweifel laut, ob dieses Team bei der EM 1980 eine gute Rolle spielen könnte. Mit dem klaren 8:0 über Malta am 27. Februar 1980 war die Qualifikation endgültig geschafft. Trotz einiger schwächerer Auftritte war das Erreichen der Endrunde letztlich eine Formsache gewesen. Noch besser: Die Stimmung im Team galt als herausragend gut. Die vielen jungen Spieler waren titelhungrig und das Verständnis untereinander wuchs, auf und neben dem Platz.
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