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EM-Momente des 1. FC Köln: Kölsche Sternstunde im Halbfinale und der Nachthimmel von Belgrad

Die Europameisterschaft 2020 ist mit einem Jahr Verspätung nun im vollen Gange – auch unter Beteiligung des 1. FC Köln. In unserer Reihe “Kölsche EM-Momente” blicken wir in der zweiten Folge auf die kölsche Sternstunde bei der Endrunde 1976 und einen Elfmeter im Belgrader Nachthimmel.

Europameisterschaft 1976. Halbfinale: Jugoslawien - Deutschland (2:4 n.V.) am 17.6. in Belgrad. Jubel nach dem 2:2 durch Dieter Müller, der hier von Heinz Flohe (15) umarmt wird. Hinten: Erich -Ete- Beer. HM European Championship 1976 Semi-finals Yugoslavia Germany 2 4 n v at 17 6 in Belgrade cheering After the 2 2 through Dieter Mueller the here from Heinz Flohe 15 embraces will rear Erich Ete Beer HM
Foto: imago images / Horstmüller

Nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 im eigenen Land erschien es logisch, die deutsche Nationalmannschaft als Favorit für die kommende Europameisterschaft zu bezeichnen. Allerdings waren diverse Protagonisten der erfolgreichen DFB-Ära mit dem Gewinn des WM-Pokals und zuvor der EM 1972 nach dem Finale gegen die Niederlande zurückgetreten. Auf Gerd Müller, FC-Star Wolfgang Overath und auch Jürgen Grabowski konnte Bundestrainer Helmut Schön nicht mehr zurückgreifen. Die Nationalmannschaft erhielt also in der EM-Qualifikation ein neues Gesicht.

Berechtigte Hoffnungen unter anderem für die FC-Heroen Bernd Cullmann und Heinz Flohe, die bei der WM 1974 zwar zu Einsätzen kamen, im Finale aber nicht berücksichtigt wurden. Insbesondere für “Flocke”, dem anerkannt besten Techniker der DFB-Elf, schien nun nach Overaths Rücktritt die große Stunde zu schlagen. Auch der 72er-Regisseur Günter Netzer reichte im Nationalteam nicht mehr an seine Gala-Form der vorherigen EM heran und war nach persönlich enttäuschendem Verlauf der WM 1974 angezählt. Er trat nach wenig berauschenden Leistungen und einer Nichtberücksichtigung seitens des Bundestrainers Ende 1975 schließlich aus dem Nationalteam zurück.

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EM-Quali zu Beginn mit Flohe und Cullmann

Die Gegner in der EM-Qualifikation schienen keine große Hürde zu sein, denn die Gruppe mit Griechenland, Bulgarien und Malta galt mit Recht als problemlos und machbar. Im November 1974, also noch im Windschatten des Titelgewinns, holte man aber nur mit Ach und Krach ein 2:2 in Griechenland. Bernd Cullmann war als einziger FC-Spieler dabei, er erzielte dabei den zwischenzeitlichen 1:1 Ausgleichstreffer. Im Spiel auf Malta Ende des Jahres 1974 erhoffte man sich eine erhebliche Steigerung und natürlich einen deutlichen Sieg beim Fußballzwerg. Am Ende reichte es für Beckenbauer und Co. gerade mal zu einem – unter aus heutiger Sicht absurden Umständen – mühevollen und glanzlosen 1:0-Sieg. Das wichtige Siegtor erzielte FC-Star Bernd Cullmann, der in bester Abstaubermanier und der ungewohnten Nummer sieben auf dem Rücken die wichtigen Punkte sicherte.

Auch Heinz Flohe, der zwischenzeitlich mit erheblichen Rückenproblemen zu kämpfen hatte, wirkte bei diesem wahrhaft unvergesslichen Spiel mit. Unvergesslich, warum? Da sagen die berühmten Bilder sicher mehr als tausend Worte. Jedenfalls haben der fast weiße Sand-/Hartplatz sowie die schwarz-weißen Tore in pittoresker Stadion-Atmosphäre bleibenden Eindruck hinterlassen. Bevor das Jahr 1975 mit weiteren Qualifikationsspielen fortgesetzt wurde, begann die DFB-Auswahl das neue Länderspieljahr mit einem wichtigen Härtetest beim alten Rivalen aus England. Auch wenn dieses Spiel nicht von Belang für die Qualifikation war, so nahm es doch direkten Einfluss auf die FC-Spieler. In Wembley setzte der Bundestrainer auf Heinz Flohe und Bernd Cullmann, aber das Spiel der kompletten deutschen Elf ging vollends in die Hose. Durch die Bank erwischten alle deutschen Spieler bei der 0:2-Niederlage einen schwarzen Tag, Folgen hatte das ganze allerdings nur für die Kölner Beteiligten.

Die Kölner Sündenböcke sind raus

Helmut Schön machte nämlich zur Überraschung aller im Nachgang öffentlich wie intern die beiden FC-Spieler für die Niederlage verantwortlich. Dabei wäre es dann fast zum Eklat gekommen, denn Flohe wollte ob der Art und Weise der Kritik bereits das gemeinsame Hotel verlassen und abreisen. Jedenfalls zeigte sich Schön, darüber informiert, extrem nachtragend. Ab sofort war Flohe kein Thema mehr und auch Bernd Cullmann wurde erst gegen Ende der Qualifikation wieder sporadisch als Joker eingesetzt. Die dann folgende Qualifikation verlief weiter schleppend. Einem 1:1 in Bulgarien folgte ein weiteres Remis mit identischem Endergebnis im Heimspiel gegen Griechenland. Immerhin gelang im Stuttgarter Neckarstadion endlich wieder ein Sieg. Erneut minimalistisch, denn es reichte im November 1975 gegen Bulgarien durch einen Heynckes-Treffer lediglich zu einem 1:0.

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Um die Qualifikation dann perfekt zu machen, musste Malta im Heimspiel in Dortmund geschlagen werden. Das gelang dann relativ locker, mit 8:0 hielt sich die DFB-Elf schadlos, wie erwartet konnte der Fußball-Zwerg außerhalb seiner Insel nicht mal ansatzweise mit dem amtierenden Weltmeister hinhalten. Damit war die deutsche Nationalmannschaft für das Viertelfinale qualifiziert, wo das Schön-Team durch ein 1:1 in Spanien (erstmals wieder mit Cullmann) und dem 2:0-Rückspielerfolg einen heute großen Namen ausschalten konnte. In der EM-Qualifikation war, auch wenn die Iberer 1976 zwar mit guten Einzelspielern besetzt waren, aber nicht als große Fußballnation galten, das Rückspiel sicher das beste DFB-Spiel. Das „Mini-Turnier“ rund um die Europameisterschaft 1976 in Jugoslawien war erreicht. Die Beteiligung der Kölner war dabei nur zu Beginn bedeutend, alleine Cullmanns Tor auf Malta sicherte den wichtigen Sieg. Aber danach war vorerst Schluss mit der FC-Herrlichkeit.

Das große FC-Comeback im Endturnier

Allerdings hatten die Konkurrenten aus anderen Vereinen sich keinen Vorsprung herausspielen können. Zu dürftig waren die Leistungen insgesamt. Ein Nachfolger von Gerd Müller hatte sich trotz bekannter Namen wie Heynckes, Toppmöller, Kostedde oder Ronny Worm nicht nachhaltig empfohlen. Auch im Mittelfeld konnten weder Dietmar Danner oder Erich Beer beweisen, dass sie als unangefochten anzusehen sind. Auch wenn Schön dies, gerade in Bezug auf den Berliner Beer wohl anders sah, so musste er eingestehen, dass Heinz Flohe seit Ende seiner lange Zeit rätselhaften und extrem schmerzhaften Rückenprobleme sich beim FC in eine großartige Form gespielt hatte. Der Euskirchener, der zwischenzeitlich schon das Karriereende befürchten musste, hatte durch simple Einlagen in den Schuhen seine überraschend festgestellten unterschiedlichen Beinlängen kompensieren können und war nun schmerzfrei. Entsprechend befreit spielte der Techniker auf.

Bildnummer: 02566866 Datum: 17.06.1976 Copyright: imago/Sven Simon Heinz Flohe (BR Deutschland, re.) gegen Branko Oblak (Jugoslawien); Vneg, Vsw, quer, Duell, Ball EM 1976, Nationalmannschaft, Nationaltrikot, Halbfinale, Jugoslawien - BRD 2:4 n.V. Belgrad Dynamik, Kampf, Fußball Länderspiel Herren Mannschaft Gruppenbild Aktion Personen

Foto: imago images / Sven Simon

Davon profitierte auch der junge Kölner Mittelstürmer Dieter Müller, der sich mehr und mehr durch viele Torerfolge in den Fokus brachte. Als sich dann noch Klaus Toppmöller, der gegen Spanien ein wichtiges Tor erzielte und somit generell als vielversprechendster Gerd-Müller-Nachfolger galt, aufgrund eines Autounfalls mit anschließender Fahrerflucht selbst aus dem EM-Kader strich, schlug Müllers große Stunde. Ohne vorherigen Länderspieleinsatz wurde der gebürtige Offenbacher in FC-Diensten zum Endturnier mitgenommen. Auch Heinz Flohe war ob seiner Gala-Form wieder dabei, doch Bernd Cullmann wurde leider nicht berufen. Die Form und auch die bereits vorhandene Erfahrung sprachen definitiv für einen Startelf-Einsatz von Flohe im Mittelfeld. Müller hingegen war als Neuling mit seiner Joker-Rolle zunächst hochzufrieden.

Blockbildung für das Halbfinale

Bundestrainer Schön hatte sich seit etwa 1971 fast durchgehend konsequent auf die „Blockbildung“ aus Spielern von Bayern München und Borussia Mönchengladbach gestützt. Das war auch für das Turnier im Jahr 1972 durchaus sinnvoll, weil viele Spieler aus den beiden Teams in der Blüte ihrer Zeit waren. 1976 war dies deutlich anders, doch Schön, … eh kein Freund von Konflikten, ging den Weg des von wenigen Experten kritisierten Kollektivs. Gleich acht Spieler aus Bayern und Mönchengladbach standen in der Startelf des Halbfinals gegen Gastgeber Jugoslawien. Der 17. Juni 1976 sollte dann eines der wohl emotionalsten und auch spannendsten Spiele der 70er Jahre hervorbringen, wenn auch zunächst ohne kölsche Nationalspieler.

Im Hexenkessel von einem geradezu überkochenden Stadion von Belgrad begannen die stark besetzten und emotional durch ihr eigenes Publikum aufgepeitschten Jugoslawen einen Sturm auf das von Sepp Maier gehütete deutsche Tor. Die Stars um Ivan Buljan, Danilo Popivoda, Branko Oblak oder Dragan Dzajic legten eine entfesselte erste Halbzeit hin. Die deutsche Mannschaft wirkte chancenlos und lag nach einer guten halben Stunde mit 2:0 nach Toren durch Popivoda und Dzajic hinten. Das Finale war weit entfernt und in Jugoslawien bestaunte man die wohl beste erste Halbzeit seit vielen Jahren.

Nach Jugoslawiens Dominanz: Flohe treibt an und trifft

Der Bundestrainer entschied sich nach intensiven Hinweisen von Co-Trainer Jupp Derwall, Heinz Flohe für den farblosen Dietmar Danner zu bringen. Jugoslawien-Star Branko Oblak sah das und warnte laut 11FREUNDE-Interview explizit vor dem Bundesliga-Kollegen: „Ich habe noch in der Halbzeit gesagt, dass wir auf die deutschen Einwechselspieler aufpassen müssen. Heinz Flohe war ein sehr guter Spieler und auch vor Dieter Müller hatten wir Respekt. Müller war sehr kopfballstark – ein richtiger Torjäger“, so der einstige Bayern-Spieler. Auf den Einsatz von Müller mussten alle noch warten, aber Heinz Flohe veränderte sofort die komplette Struktur des bisherigen Spiels. Vermutlich sah der lange Verschmähte nun die Chance, sich endlich auch für das Nationalteam unersetzlich zu machen. Der geniale Techniker konnte auch brutal kämpfen und dies tat er ab der 46. Minute.

“Auf einmal wurde es ganz still im Stadion. Ich habe in die Gesichter meiner Mitspieler geschaut. Bei einigen konnte man Angst erkennen.”

Die Deutschen spielten nun aggressiver und entwickelten mehr Druck. Flohe markierte folgerichtig den Anschlusstreffer in der 65. Minute. Sein Schuss wurde zwar noch leicht abgefälscht, dennoch war seine Willenskraft entscheidend, weniger seine sonst gerne gesehene technische Brillanz. Der Anschlusstreffer zeigte Folgen bei den Jugoslawen, wie Oblak bestätigte: „Auf einmal wurde es ganz still im Stadion. Ich habe in die Gesichter meiner Mitspieler geschaut. Bei einigen konnte man Angst erkennen“, unterstrich der Mittelfeldmann. Tatsächlich zeigte das Schön-Team nun lange nicht mehr gesehene Moral, man konnte erahnen, „dass es das noch nicht war“. Allerdings verrannen die Minuten und trotz großem Druck wollte der Ausgleich nicht gelingen.

Das aufsehenerregendste Debüt der DFB-Länderspielgeschichte

In der 79. Minute erhielt Deutschland eine Ecke zugesprochen. Doch bevor sie ausgeführt wurde, wechselte der Bundestrainer den absoluten Neuling Dieter Müller ein. Es folgte das aufsehenerregendste Debüt in der langen und ruhmreichen Länderspielgeschichte des DFB. Etwa 38 Sekunden war der Kölner Stürmer auf dem Platz, da flog das Leder nach Bonhofs Ecke genau auf seinen Kopf. Völlig ungestört von den noch unsortierten Jugoslawen konnte Müller mit seinem ersten Ballkontakt ausgleichen. Für Branko Oblak im Nachhinein wohl eine Vorentscheidung: „Müller köpfte das 2:2 und alle wussten, dass die Deutschen jetzt noch stärker werden. Was passiert, wenn wir verlieren? Das hat auch unsere Beine langsamer gemacht. Wir waren immer einen Schritt zu spät. Wir wollten das Ergebnis nur noch über die Zeit retten.“

Dieter Müller (BR Deutschland) erzielt im EM Halbfinale 1976 gegen Jugoslawien in Belgrad das Tor zum 2:3  Dieter Mueller BR Germany reached in euro Semi-finals 1976 against Yugoslavia in Belgrade the goal to 2 3

Foto: imago images / WEREK

Die Jugoslawen erreichten zwar die Verlängerung, waren aber konditionell am Ende. Angetrieben von vor allem Heinz Flohe versuchten die Spieler in schwarzen Hosen und weißen Trikots den finalen Schlag zu setzen. In der 115. Minute war es dann soweit und erneut war es der erstaunliche Debütant Dieter Müller, der den Ball über die Linie brachte. Die Balkan-Kicker waren nun gebrochen, das 4:2 fast schon eine logische Folge … und wieder war es der Mann, der in seinem ersten Länderspiel innerhalb von 39 gespielten Minuten in der 119. Minute mit seinem dritten Tor den Deckel draufmachte.

Vier FC-Tore nach Rückstand: einer der größten kölschen Tage beim DFB

Das Finale war erreicht und ganz Fußball-Deutschland feierte den neuen Torjäger, der ausgerechnet auch noch den fußballerisch gefürchteten Nachnamen „Müller“ mit sich trug. “Wir haben wieder einen Müller”, rief Franz Beckenbauer begeistert aus, Sepp Maier bestätigte: „Es wird wieder gemüllert in der National-Elf!”. Doch ebenso wichtig war die Leistung von Heinz Flohe, der eine Energieleistung abrief, die ihm in der Nationalmannschaft nicht viele zugetraut hatten. In Köln sah man das anders: „Genauso kennen wir ihn schon seit Jahren, vielleicht merkt der Schön das jetzt auch endlich“, so eine damalige Fanstimme, die auf den Punkt brachte, was viele in der Domstadt über den Umgang mit dem Spieler dachten.

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Letztlich war nach diesem Spiel eines klar. Es war der größte EM-Auftritt von FC-Spielern in der damals noch jungen Geschichte der DFB-Teilnahmen an Europameisterschaften. Dies in einem Spiel, welches zu Unrecht ein wenig in Vergessenheit geraten ist. „Schuld“ daran: Ein Ball im Belgrader Nachthimmel, eine Premiere vom Punkt und eine merkwürdige Trainer-Entscheidung. Das Finale vom 20. Juni, als Deutschland gegen die Tschechoslowakei antrat, es ging in die Fußballgeschichte ein.

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