Die Europameisterschaft in Frankreich aus dem Jahr 1984 ist weitestgehend in Vergessenheit geraten. Schuld daran ist sicher das schwache deutsche Abschneiden bei der Endrunde. In Erinnerung bleibt eine Qualifikation mit blauem Auge, ein blonder Kopf aus Spanien und ein Torwart auf Bußgang durch Frankreich. Aber eines nach dem anderen: Nach der Weltmeisterschaft 1982 war Fußball-Deutschland in Aufruhr. Man hatte in Spanien zwar das Finale gegen Italien erreicht, aber die Stimmung rund um das Team mit dem Adler auf der Brust war vergiftet. Und das lag nicht an der verdienten 1:3-Finalniederlage gegen die Italiener, sondern am Auftreten der Deutschen im Allgemeinen. Da war der Skandal vom so genannten Nichtangriffspakt von Gijón, das Foul von Toni Schumacher an Battiston sowie die Exzesse in der Vorbereitung am Schluchsee (danach nur noch „Schlucksee“ genannt).
Die Ausgangslage
Der Europameister von 1980, sportlich eigentlich recht gut aufgestellt und unter Derwall sogar dreiundzwanzig Spiele unbesiegt (dabei zwölf Siege, beides bis heute Rekord), hatte rund um das Weltturnier komplett die Balance verloren. Die „lange Leine“, die der Bundestrainer seinen Spielern gewährte, wurde mehr und mehr ausgenutzt. Auch die Rückholaktion von Paul Breitner brachte aufgrund der machthungrigen Persönlichkeit des Weltmeisters von 1974 mehr Unruhe in den Laden, als das es dem Team nutzte. Mit diesen Voraussetzungen ging es Ende 1982 in die EM-Qualifikation, die Gegner hießen dabei Albanien, Nordirland, Türkei und Österreich. Nicht einfach, aber machbar und nachdem der Vize-Weltmeister sogleich ein Testspiel im Wembley-Stadion mit 2:1 gegen den alten Rivalen England gewann, bei dem übrigens FC-Spieler Gerd Strack debütierte, fühlte man sich gut gerüstet.
“Schumacher mag als Person zu hinterfragen sein, aber er ist der zur Zeit beste Torwart dieses Planeten.”
Acht Spiele beinhaltete die nun folgende Qualifikation und gleich zwei FC-Spieler kamen in allen Begegnungen zum Einsatz. Zum einen natürlich die deutsche Nummer 1, Toni Schumacher. Der Kölner war längst zu einem der weltbesten Torhüter gereift, war aber nach dem Vorgang rund um Patrick Battiston eine umstrittene Persönlichkeit. Er musste sich in allen Stadien außerhalb Kölns böse Pfiffe anhören, ebenso Beleidigungen und viele ablehnende Plakate. Ein Umstand, der noch lange anhielt und seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte, als Deutschland bei einem Testspiel im Frühjahr 1984 in Frankreich spielte und die Hasstiraden seitens der Franzosen ins Unermessliche stiegen. Schumacher hielt bei der 0:1-Niederlage trotz der Anfeindungen herausragend, so das in den französische Medien der Ausspruch „Schumacher mag als Person zu hinterfragen sein, aber er ist der zur Zeit beste Torwart dieses Planeten“ zu lesen war. Bis zur EM, die aus des Torwarts Sicht eben „ausgerechnet“ in Frankreich stattfand, sollte sich die Fokussierung der internationalen Beobachter auf ihn sogar noch weiter steigern.
Die FC-Spieler in der Qualifikation
Dagegen waren die acht Einsätze des FC-Liberos Gerd Strack sieben Mal eher solide und boten kaum Anlass zu großen Schlagzeilen. Doch seine Teilnahme am achten und letzten Qualifikationsspiel machte ihn bundesweit zu einer großen Nummer. Später mehr dazu. FC-Star Pierre Littbarski kam sieben Mal zum Einsatz, mehrfach kam der Berliner in Kölner Diensten dabei von der Bank und konnte sich auch nicht in die Torschützenliste eintragen. Der bei der WM 82 wohl erfrischendste Spieler, der dort als einer der wenigen Kicker positiv in Erscheinung trat, fiel in der Nationalelf in ein kleines Loch, fing sich aber mit der Zeit wieder.
Stephan Engels war vor allen zu Beginn der Qualifikation gesetzt. Bei der zurückliegenden WM hatte Engels den Kader knapp verpasst und stand lediglich auf Abruf bereit, jetzt aber sollte seine große Zeit beginnen. Doch die Leistungen des Mondorfers waren zu schwankend, dazu gab es immer mal wieder Verletzungsprobleme, so dass nach vier Einsätzen in der Qualifikation und zuvor vier Testspielen seine Nationalmannschaftskarriere bereits endete. Vom talentierten Mittelfeldspieler hatte man sich hier sicher etwas mehr versprochen. Heute vielleicht schwer vorstellbar, aber Engels stand seinerzeit in Konkurrenz zu einem gewissen Lothar Matthäus, der noch lange nicht den späteren Weltfußballer-Status innehatte, sondern ebenfalls noch als talentierter Spieler galt. Wer sich von beiden fast gleichaltrigen Jungstars durchsetzen sollte, galt eine gewisse Zeit als offen.
Auch Klaus Allofs gehört seit 1981 zum 1. FC Köln, als er den Rhein entlang von Düsseldorf nach Köln wechselte. Der EM-Held und Torschützenkönig von 1980 war allerdings längere Zeit in keiner guten Form und hatte deswegen auch die WM in Spanien verpasst. Weiterhin war mit dem jungen Rudi Völler ein Kontrahent in noch dazu treffsicherer Verfassung hinzugekommen. In der Qualifikation kam er daher nur ein einziges Mal zum Einsatz und da dieses Spiel nicht gut für das Team und für ihn selbst lief, war für Allofs an dieser Stelle zunächst Ende.
Die Qualifikation beginnt – Prestigekampf mit dem alten Rivalen
Denn dieses erste Qualifikationsspiel ging am 17.11.1982 in Belfast gegen Nordirland völlig überraschend mit 0:1 in die Binsen. Vor allem nach dem bereits erwähnten Testspielsieg in Wembley kam diese Niederlage aus heiterem Himmel. Zuvor hatte es in allen Qualifikationsspielen des DFB in seiner Historie bis dahin nur eine einzige Niederlage (1967 in Jugoslawien) gegeben. Entsprechend wild ging es in den Medien zu. Es folgten der Sieg in Albanien (2:1) und der bisher überzeugendste Auftritt beim 3:0-Erfolg über die Türkei. Man hatte sich also etwas gefangen und mit Rummenigge und dem jungen und hoffnungsvollen Völler war nun ein Stürmerduo der Extra-Klasse vorhanden.
Im Wiener Praterstadion traf man schließlich auf den Nachbarn aus Österreich und damit auf den vermeintlich stärksten Gruppengegner. Hier war mittlerweile eine eh immer schon vorhandene, heftige Rivalität neu entflammt. Seit Cordoba 1978 hatte diese Rivalität erheblich zugenommen, so hatte es auch in der WM-Qualifikation für Spanien 82 zwei emotionale Duelle gegeben, die von den Deutschen beide recht klar gewonnen werden konnten. Dann kam es zum „Nichtangriffspakt von Gijón“, dem 1:0-Sieg der DFB-Elf in der WM-Vorrunde, den beide Teams durch passive Ballschieberei in unerwarteter Eintracht etwa 80 Minuten nach Hause verwalteten und damit den Außenseiter Algerien eliminierten.
Das lange erwartete Duell in der EM-Qualifikation für Frankreich 1984 endete diesmal aber torlos. Damit blieben die Alpenkicker, die hervorragend in die EM-Quali für Frankreich gestartet waren, an der Tabellenspitze und nur der Erste der Gruppe sollte sich für die EM-Endrunde qualifizieren. Doch fünf Monate später wurde das erneut emotional stark aufgeladene Rückspiel in Gelsenkirchen klar von der Derwall-Elf dominiert. Bereits nach zwanzig Minuten stand durch Tore von Kalle Rummenigge und zweimal Rudi Völler der 3:0-Endstand gegen den Nachbarn fest.
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