„Bodenständig, authentisch, liebenswürdig und echt ne kölsche Jung“: Es sind Sätze wie diese, die man auf Veranstaltungen mit Wolfgang „Bulle“ Weber immer wieder zu hören bekommt. Der gemeine Kölner, ansonsten auch gerne schon mal in Plauderlaune, beschreibt es kurz, knapp und präzise, wenn es um die hervorstechendsten Eigenschaften des Porzers geht, der heute seinen 75. Geburtstag feiert. Die Lobpreisungen für den grundehrlichen und volksnahen Charakter einer der Legende des 1. FC Köln werden immer und immer wieder vorgetragen. Nur selten spielt dabei die Charakterisierung des Fußballers Weber eine Rolle. Nicht, weil die Fans das etwa vergessen hätten. Im Gegenteil: Es wird bereits vorausgesetzt, dass jeder weiß, welch großer Fußballer Weber auf dem Platz war.
Ja, natürlich hat dieser Spieler Wolfgang Weber auch eine sportliche Vergangenheit … und zwar eine, die sich sehen lassen kann: Deutscher Meister 1964, Vizeweltmeister 1966, Pokalsieger 1968, 356 Bundesligaspiele (21 Tore), 49 DFB-Pokalspiele (7 Tore), 63 Europapokalspiele (4 Tore), das sind die Daten eines absoluten Spitzenfußballers und genau das war er auch. Ein äußerst harter, aber fairer Abwehrspieler, ewig lange ein fester Bestandteil der Kölner Abwehr. Unumstrittener Stammspieler über viele Jahre und natürlich Nationalspieler mit 53 Einsätzen und zwei erzielten Toren.
Wenn Wolfgang Weber spricht, wird Fußball-Historie lebendig
Wenn Wolfgang Weber spricht und seine Anekdoten erzählt, dann wird Fußball-Historie lebendig, sie ist uns wieder ganz nah und keinesfalls schwarz/weiss, wie auf den meisten bewegten Bildern. Natürlich erzählt er auf Anfrage wieder und wieder die Geschichte vom „dritten Tor“, als er Bobby Charlton im WM-Finale 1966 die Arme heruntergerissen hatte, damit sich der Schiedsrichter Gottfried Dienst nicht davon beeinflussen lässt und eventuell auf Tor für England entscheidet, obwohl es sich letztlich und längst bewiesen um einen Schuss an die Latte handelte. Zuvor hatte „Bulle“ den Ball nach Geoff Hursts Schuss und der folgenden Torlinienberührung ins Toraus geköpft. Doch obwohl sich der Schweizer Spielleiter richtig auf Eckball festlegte und dies bereits anzeigte, ließ er sich im Nachgang von Linienrichter Bachramow überstimmen, welcher aus merkwürdigen Gründen („Die Engländer haben gejubelt, ich habe auch gesehen, das der Ball im Tor zappelte“ ) aus einer Lattenberührung ein Tor machte, welches dieses WM-Finale entschieden hat.
Trotz der unglücklichen Niederlage, das war sein Spiel! Wolfgang Weber war der Hauptprotagonist auf der deutschen Seite: Einerseits wegen seiner Beteiligung an der genannten, spielentscheidenden Szene. Andererseits, weil er durch sein Tor zum 2:2 in quasi allerletzter Sekunde der regulären Spielzeit die Verlängerung und damit auch die fußballhistorisch wohl bedeutendste und bekannteste Fehlentscheidung erst möglich machte. Mit viel Willenskraft und allerletzter Entschlossenheit hatte sich der FC-Star aus dem Gewühl heraus durchgesetzt und Gordon Banks im englischen Tor endlich überwinden können. Damit ist Wolfgang Weber bis zum heutigen Tag der einzige Spieler des 1. FC Köln , dem ein Tor in einem WM-Endspiel gelungen ist. Weitere 27 WM-Tore wurden von anderen FC-Spielern wie unter anderem Hans Schäfer, Wolfgang Overath, Lukas Podolski, Pierre Littbarski, Heinz Flohe und anderen erzielt. Doch im WM-Endspiel traf nur „Bulle“.
Unvergessen: Der Wadenbeinbruch von Rotterdam
Legendäre Bundesliga-Spiele, die erste Bundesliga-Meisterschaft, das Pokalfinale 1973, unvergessene Europapokalschlachten … der Jubilar hat so viel zu erzählen. Aber neben der Geschichte aus dem WM-Finale von 1966 gibt es natürlich die eine, die alles andere überstrahlt, die ihn zur Legende hat werden lassen. Natürlich Rotterdam und das gebrochene Wadenbein. Rückblende: 1965, die beiden Meister der Fußballriesen Deutschland und England treffen im Viertelfinale des Europapokals der Landesmeister aufeinander, der 1. FC Köln gegen den FC Liverpool. Nach zwei spannenden Spielen war weder in Köln-Müngersdorf noch in Liverpool an der Anfield Road ein Treffer gefallen und die Regeln sahen zu dieser Zeit ein Entscheidungsspiel auf neutralem Platz vor.
Die UEFA-Wahl fiel auf das holländische Rotterdam, 20.000 Kölner machten sich auf die Reise. Dann das Spiel, beim Stande von 1:0 passierte es, im Zweikampf mit Liverpools Gordon Milne brach Webers Wadenbein. Was nun folgte, klingt aus heutiger Sicht einfach nur unfassbar, denn Weber spielte weiter, denn seinerzeit gab es noch keine Möglichkeit zum Spielerwechsel. Unter unsäglichen Schmerzen hielt Weber zunächst bis zur Pause durch, sprang in der Halbzeit aufgrund eines „Belastungstests“ sogar noch von der Massagebank, um dann nach einer schmerzstillenden Spritze wieder auf den Platz zurückzukehren.
Heute wird dies alles mit einem Schmunzeln erzählt, doch wer dank YouTube das Spiel in voller Länge gesehen hat, der weiß, welche Qualen der Kölner gelitten haben muss. Fast wäre ihm aber sogar der Siegtreffer gelungen, denn man hatte ihn, da kaum noch ernsthaft abwehrbereit, in die Offensive gestellt und beinahe wäre dieser Schachzug sogar aufgegangen. So aber musste Weber auch noch die Verlängerung durchhalten, bis es letztlich zur Entscheidung per Münzwurf kam. Nachdem die Holzscheibe zunächst im morastigen Rasen stehend landete, jedoch mit starker Neigung Richtung „Weiß“ – also der Kölner Farbe –, wiederholte Schiedsrichter Robert Schaut den Wurf auf Drängen des Liverpooler Kapitäns Ron Yeats. Die Münze fiel und Rot gewann, in diesem Fall Liverpool. Wolfgang Weber hatte umsonst gelitten.
Ein Hauch der großen Fußball-Historie
Aber das stimmt nicht! Umsonst war dies alles ganz sicher nicht, denn wären all diese Umstände nicht zustande gekommen, dann würde seiner Biografie etwas fehlen, nämlich das, was man „legendär“ nennt. „Wembley“ und „Rotterdam“ in seiner persönlichen Fußball-Historie stehen zu haben ist ein absoluter Gewinn. Und wer hätte diese mythischen Geschichten mehr verdient als unser Jubilar? Beide Spielereignisse endeten zwar sportlich mit extrem unglücklichen Niederlagen, aber auf die Dauer sind es große Erfolge, denn sie haben Wolfgang Weber unsterblich werden lassen.
Dies merkt man immer wieder, wenn der Porzer bei Fanabenden oder beim „FC-Stammtisch Talk“ auftritt. Ihn umweht einerseits der Hauch der großen Fußball-Historie, andererseits schafft er es immer wieder durch seine verschmitzte, humorvolle Art sein Publikum zu begeistern. Wer immer ihn auf solchen Veranstaltungen sieht, bitte auf das Publikum achten. So gut wie jeder Zuhörer, ob jung oder alt, hat ein Lächeln auf den Lippen. Sie erfreuen sich an einer der größten Spielerlegenden, die der 1. FC Köln und der deutsche Fußball jemals hervorgebracht haben.
Die Nahbarkeit, das Bodenständige und die unerschütterliche Liebe zu seinem 1. FC Köln, all dies verkörpert „Bulle“ mit jeder Faser. Die Fans spüren sofort: „Das ist einer von uns!“ Und Weber, der 1978 seine Karriere aufgrund von Herzproblemen beenden musste, wirkt aufgrund seiner Art immer noch wie ein aktiver Spieler. So äußert er sich dann auch, wie etwa kurz vor der WM 2014, als er bei einer Buchvorstellung den Wunsch äußerte, „am liebsten in Brasilien bei der WM die Fußballschuhe wieder anzuziehen“, so sehr freue er sich auf die WM. Wenige Monate später trat vor einem proppenvollen Saal beim „FC-Stammtisch Talk“ gemeinsam mit dem damaligen Kölner Stammspieler Dominic Maroh auf und wurde mindestens genauso gefeiert, wie der aktuelle Star.
Lebende Legende
Es war übrigens Maroh, der Umstehende bat, doch bitte ein Selfie mit ihm und Weber mit seinem Handy zu machen. „Das ist eine große Ehre für mich“ sagte der Deutsch-Slowene seinerzeit. „Nu maach nit so´ne Verzäll“ würde der bescheidene Mann vermutlich nun zu alldem sagen, aber er ist aufgrund seiner vielen sportlichen Erfolge, seiner besonderen Geschichten und vor allem auch dank seiner menschlich-sympathischen Art und Weise nun einmal eine lebende Legende des 1. FC Köln. Alles Gute zum 75. Geburtstag, Wolfgang Weber!