Eine durchaus interessante Perspektive ist das, denn wie soll ein Club denn bitteschön die Gesänge seiner Anhänger beeinflussen, zumal noch bei einem Auswärtsspiel? „In der Tat gibt es wahrscheinlich keine Möglichkeit für die Vereine zu kontrollieren, was ihre Fans singen, was es natürlich fast unmöglich macht, darauf seitens der Vereine Einfluss zu nehmen“, erklärt Lambertz. Dennoch sei genau das „das Wesen der ‚verschuldensunabhängigen Haftung‘“, führt der Sportrechtler weiter aus. Besonderes Engagement den Status Quo zu verändern, kann Lambertz bei den Clubs allerdings nicht erkennen. „Aus der Tatsache, dass die Vereine kaum gegen die Strafen vorgehen, ziehe ich den Schluss, dass diese entweder keine Notwendigkeit oder aber keine Erfolgsaussichten sehen, sich erfolgreich gegen die Strafen zu wehren.“
Auf juristischem Wege scheint ein Vorgehen gegen die nicht durch ein konkretes Regelwerk nachvollziehbaren DFB-Strafen ohnehin nicht sonderlich vielversprechend zu sein. Gerade weil der Bundesgerichtshof kürzlich die verschuldensunabhängige Haftung grundsätzlich als rechtmäßig angesehen hat, stünden die Chancen bei Justizia derzeit wohl eher schlecht, erklärt Lambertz. „Dass ein unterinstanzliches Gericht sich gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof stellt, halte ich für fast ausgeschlossen.“
Juristisches Vorgehen ist wenig aussichtsreich
Auf juristischem Wege würden sich Vereine, die mit dieser Art der Rechtssprechung nicht einverstanden sind, also nur ein blutige Nase holen. Auch diejenigen, die in Zukunft für welche Vergehen auch immer in Regress genommen werden, könnten nicht direkt gegen die Entscheidungen des DFB vorgehen – sie haben rein juristisch betrachtet ja gar nicht direkt mit dem Verband zu tun. Es bleiben die Clubs. Doch was könnten die Vereine tun, um das System zu verändern?
Zum einen haben Bundesliga-Vereine jederzeit die Möglichkeit sich auf konventionellen Pfaden für Reformen beim DFB einzusetzen. Die Clubs sind zwar nicht Mitglied im DFB, erklärt Lambertz, könnten sich aber an die DFL oder ihre Fußballlandesverbände wenden und dort um Unterstützung für ihr Anliegen werben. So könnte dann schließlich bei einer Mitgliederversammlung des DFB eine Regeländerung herbeigeführt werden. Ob und in welchen Ausmaß die Vereine an dieser Front überhaupt aktiv sind, ist aber schwer zu beurteilen. „Meine Außenbetrachtung lässt für mich die Vermutung zu, dass die Vereine weitaus weniger Probleme und Einwände gegen die Strafen haben, als manch Außenstehender“, sagt Jurist Lambertz. „Sie gehen kaum gegen die Strafen vor.“
“Team Regelwerk”: DFB-Reform mit der Brechstange?
Zum anderen bliebe natürlich noch eine etwas gröbere Methode, die an anderer Stelle unter dem Namen „Team Marktwert“ aber bereits ganz gut funktioniert hat. So könnte ein Zusammenschluss mehrerer bedeutender Vereine den DFB öffentlich unter Druck setzen und so auf eine Regelreform pochen. Es wäre eine kleine Revolution – die natürlich auch mit dem Risiko der Eskalation verbunden wäre. „Keinem dürfte daran gelegen sein“, sagt Lambertz. „Ich denke daher, dass man sich in einem solchen Fall auf einen für beide Seiten sinnvollen Kompromiss einigen würde.“
Doch schon die bloße Möglichkeit, dass ein Stadionbesucher für eine eher unter “Protestkultur” als unter “Beleidigung” zu verortende Lappalie wie ein „Scheiss Red Bull“-Banner, im schlimmsten Fall auch für Schmähgesänge, mit Schadenersatzforderungen in horrender Höhe belegt werden kann, zeigt, wie weit sich das Fußballgeschäft von denjenigen entfernt hat, die jede Woche die Kurven in den Stadien vollmachen. Ob dieses Engagement für die Möglichkeit Schadenersatz einfordern zu können also wirklich einer „dauerhaften Lösung“, wie sie Rainer Koch sich wünscht, zuträglich ist, sei also erst einmal dahin gestellt.
Ohne Regelwerk drohen düstere Zeiten für die Fankultur
Wenn man diese Regressregelung aber anstrebt, wäre es zumindest mehr als angebracht, sich gleichzeitig genauso stark dafür einzusetzen, dass die Fußballfans wenigstens ein vernünftiges Regelwerk bekommen, das ihnen ausgelebte Fankultur (inklusiver derber Proteste, Choreos und unfeiner Gesänge) mit gleichzeitiger Rechtssicherheit überhaupt noch möglich macht. Denn die Anzahl derer, die noch den Mut aufbringen werden, kontroverse, kritische, satirische Banner, Aktionen und Choreografien zu wagen, dürfte sich angesichts der Ungewissheit ob den drohenden Konsequenzen sonst schnell reduzieren. Schließlich könnte einen ja schon ein harmloses Banner eine vierstelligen Summe kosten. Und da der allmächtige Verband die Strafen sogar noch höher ansetzen könnte (Stichwort “Ermessenssache”) als in Vergangenheit, könnte es sogar noch teurer werden.
Am besten wäre es also, sich direkt dafür einzusetzen, dass Vergehen auf den Tribünen, ob lächerlich oder schwerwiegend gar nicht mehr vom Verband bestraft werden können, sondern im Zweifel Gegenstand eines ordentlichen Verfahrens werden. Gerade in jüngerer Vergangenheit ist der DFB durch Korruption und Skandale ohnehin in eine Position geraten, die die Chance auf eine Reform grundsätzlich erhöhen dürfte. Der Verband ist durchaus angreifbar. Doch bisher murren und klagen die Clubs zwar öffentlich über die Strafen aus Frankfurt, doch mit mehr als ein paar genervten Worten dagegen vor zu gehen, steht bei den Bundesligisten derzeit offenbar nicht auf der (sichtbaren) Agenda.
So hat Koch dann erst einmal recht behalten. Eine „dauerhafte Lösung“ könne nur „aus den Vereinen kommen“, sagte dieser schließlich. Das ist ja auch richtig. Und zur Not müssen die Clubs diese Lösung eben auch gemeinsam mit der Brechstange herbeiführen – auch wenn das wohl nicht das sein dürfte, was der DFB-Vize sich bei seinen Worten erhofft haben dürfte. Die Frage ist nur, ob die Vereine das überhaupt wollen.