Es ist Mai, der 32. Spieltag steht vor der Tür: Crunchtime in der Bundesliga. Für Bayern und Dortmund heißt es vollen Fokus, nur einer der beiden wird Deutscher Meister! Volle Konzentration auch in Leipzig, Union und Freiburg, denn nur zwei der drei können in der kommenden Saison in der Königsklasse spielen. Das Abstiegsgespenst geht derweil in Hoffenheim, Schalke, Stuttgart, Bochum und bei der Hertha in Berlin um, denn zwei Teams müssen nach 34 Spieltagen nun einmal absteigen, ein Team muss zusätzlich in die Relegation, vermutlich gegen den Hamburger SV. Außerdem: Europa-Euphorie bei denjenigen, die es tatsächlich mit Leverkusen halten. Und auch einmal mehr: Pokalfinalfieber in Frankfurt.
Schon diese kurze Aufzählung zeigt, für mehr als die Hälfte der Vereine in der Bundesliga entscheidet sich die Saison auf den letzten Metern der Saison. Spannung, Tränen, Euphorie, Dramen, die Liga und ihre Protagonisten werden uns auf den letzten Metern mit Emotionen und Spannung versorgen. Es ist vermutlich der spannendste Bundesligamai seit längerer Zeit. Und dann gibt es noch den 1. FC Köln. Mit gemütlichen 38 Punkten rangieren die Rheinländer derzeit auf Platz elf. Der Klassenerhalt ist seit dem Wochenende nicht nur wahrscheinlich, sondern auch faktisch gesichert, der 2:1-Auswärtssieg am Autobahnkreuz hat zudem dafür gesorgt, dass Fans und Verein geeint mit einem zufriedenen Gefühl in die Sommervorbereitung gehen werden. Die Feierei in und vor dem Gästeblock am letzten Freitag war für alle Beteiligten etwas „für et Hätz” nach einer langen Saison, die irgendwann mit einem Heimspiel gegen Schalke und einem Ausflug nach Ungarn begann. Die Älteren unter uns erinnern sich.
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Am Geißbockheim hakt man nacheinander die Dinge ab, die man so nach dem Erreichen des Klassenerhalts so macht: Mit dem Cheftrainer vorzeitig verlängern, gut funktionierende Leihen kaufen, Trikots für die neue Saison leaken (lassen) und die Dauerkartenpreise kräftig erhöhen. Kurzum: Die Segel für die kommende Saison wurden gesetzt, doch dank des FIFA-Urteils segelt die „Geißbock“-Jacht in ungewisses Gewässer, auch wenn derzeit noch eine sonnige und sommerliche Brise die Segel streichelt. Suspendiert der CAS die Strafe nicht möglichst bald, so könnte das Wetter allerdings bald umschlagen. Na gut, ein ruhiges Meer hat auch noch nie einen geschickten Seemann hervorgebracht, würde man sich dann am Geißbockheim in kölschem Optimismus üben müssen.
Die Ausgangslage: Der letzte Strohhalm für Hertha, doch es ist Davie-Selke-Freitag
Wenn der 1. FC Köln am Freitagabend Hertha BSC empfängt, bekommen sie es mit einem Gegner zu tun, für den es um alles geht. Eine Niederlage und die Hertha könnte je nach Ausgang der anderen Spiele an diesem Wochenende de facto seine Segel Richtung Zweitklassigkeit setzen. Der Sieg über den VfB Stuttgart am 31. Spieltag hat die “Alte Dame” sportlich zwar wiederbelebt, doch Diskussionen über eine anscheinend äußerst schwierige Lizenzvergabe in Verbindung mit dem neuen Investor 777, die Mitgliederversammlung nächsten Sonntag und der kürzlich erfolgte Rücktritt von Präsidiumsmitglied Ingmar Pering lässt die Hertha abgesehen von der sportlich weiterhin äußerst prekären Lage außerhalb des Platzes ganz schwierige Zeiten entgegengehen. Der Hauptstadt-Club kommt einfach nicht zur Ruhe.
Ist es ausgerechnet der zuletzt aufgeblühte Davie Selke, der die Berliner jetzt in Richtung Zweitklassigkeit schießt? Fünfeinhalb Jahre stand der 28-jährige im Berliner Westen unter Vertrag, auch wenn er zwischendurch an Werder Bremen ausgeliehen war. Unter dem neuen, aber altbekannten Cheftrainer Pál Dardai allerdings funktionierte Selke, schoss 19 Tore in 74 Einsätzen und bereitetet weitere 14 Treffer vor. „Er ist einer, der immer alles gibt“, so der Ungar, der seinem ehemaligen Schützling am Freitag sogar ein Tor gönnt: „Er soll ein Tor gegen uns schießen, aber wir gewinnen 2:1. Dann können wir danach ein Bier trinken.“
FC-Coach Steffen Baumgart wird gegen einen Selke-Treffer am Davie-Selke-Freitag sicher nichts einzuwenden haben, jedoch sehr wohl gegen die seitens seines Berliner Pendants angekündigte 1:2-Niederlage. Auch wenn er der “Alten Dame” grundsätzlich den Klassenerhalt wünscht: “Ein Abstieg für Hertha wäre eine Katastrophe. Das ist ein Traditionsverein, der in die Bundesliga gehört. Auch, wenn ich Unioner bin. Für mich ist Hertha ein geiler Verein, der überragende Nachwuchsarbeit macht“ , so Baumgart. Das allerdings verträgt sich natürlich nicht mit einem Sieg der Rheinländer, der natürlich für alle FC-Beteiligten an erster Stelle steht: „Ich will das Spiel gewinnen, mit aller Macht.“
„Er soll ein Tor gegen uns schießen, aber wir gewinnen 2:1. Dann können wir danach ein Bier trinken.“
Pál Dardai
Personell wird Baumgart auf den in Leverkusen gelb-gesperrten Eric Martel zurückgreifen können. Für ihn wird Ljubicic wieder weiter offensiv ran dürfen und Jan Thielmann auf die Bank verdrängen. Weiter hinten fällt diese Woche Benno Schmitz aufgrund der fünften erhaltenen Gelben Karte aus, Kingsley Schindler wird für ihn in die Startelf rücken. Dies gab Baumgart bereits auf der Spieltagspressekonferenz bekannt. Das Spiel selber dürfte aufgrund der Ausgangslage der Hertha äußerst intensiv und hitzig werden. Ein kühler Kopf über 90 Minuten wird gebraucht, will der FC gegen vermutlich doch fragile Berliner die 40-Punkte-Marke überspringen.
Wichtig ist, über 90 Minuten die Ausgangslage im Hinterkopf zu behalten: Berlin muss siegen! Je länger es Unentschieden steht, desto mehr Räume zum Kontern sollten sich ergeben, die Hertha muss irgendwann aufmachen. Auf der anderen Seite könnte der unbedingte Willen und eine “Nichts mehr zu verlieren”-Mentalität auch ungeahnte Kräfte freisetzen, die schon gerettete Kölner nicht matchen werden. Es wird spannend zu beobachten sein, welche Berliner Mannschaft letztlich in Köln-Müngersdorf aufläuft und welche Eigendynamik das Spiel entfacht.
So lief das letzte Aufeinandertreffen
Es war das letzte Spiel des Jahres 2022, und selten hat man eine Mannschaft mehr aus dem letzten Loch pfeifen sehen wie den 1. FC Köln an diesem grauen Novembertag im Berliner Olympiastadion. „In der zweiten Halbzeit war der Einzige, der relativ fit war, ich“, beliebte Baumgart zwar nach dem Spiel zwar zu scherzen, rief damals dann allerdings auch den Abstiegskampf aus. Von der europäischen Reise komplett verausgabt ließen die Kölner zwar alles auf dem Platz, unterlagen aber auch letztlich verdient wie unglücklich mit 0:2 nach Toren von Wilfried Kanga und Marco Richter, nachdem sie eine eigentlich ganz gute erste Halbzeit spielten. In Erinnerung blieb lediglich Sargis Adamyan, der beim Stand von 0:1 aus wenigen Metern das leere Tor verfehlte und die traurigste Slapstick-Einlage der Saison hinlegte. Leider eine symbolische Aktion des Torjägers, der in Köln bisher noch zu keiner Zeit seine Rolle fand und bis dato eindeutig als Fehleinkauf gelten muss.
Top-Fakt
Am Freitag wird es im rund um den Mittelfeldkreis laufintensiv werden: Denn Ellyes Skhiri im Kölner Dress und Lucas Tousart im Trikot der Hertha sind die beiden Bundesliga-Spieler mit der größten Laufstrecke in dieser Saison. Der eine spulte 357,4 Kilometer ab, der andere 352,9 Kilometer.
Das sagen die Trainer
Steffen Baumgart (1. FC Köln): Ich erwarte Intensität und Aggressivität. Es ist normal bei Mannschaften, die mit dem Rücken zur Wand stehen, dass sie alles reinwerfen. Ich will das Spiel gewinnen, mit aller Macht.”
Pál Dardai (Hertha BSC): “Ich glaube nicht, dass wir aus dem Hinspiel Erkenntnisse ziehen können. Aber mit der richtigen Kompaktheit und Überraschungseffekten können und wollen wir dort einen guten Tag erwischen und gewinnen. Ich habe es gesagt: Vier Spiele, vier Siege!”
Schiedsrichter
Sven Jablonski (SR), Robert Kempter (SR-A. 1), Marcel Unger (SR-A. 2), Tobias Reichel (4. Offizieller), Tobias Welz (VA), Jonas Weickenmeier (VA-A)
So könnte der FC spielen
Schwäbe – Schindler, Hübers, Chabot, Hector – Martel, Skhiri – Ljubicic, Kainz, Maina – Selke