Die Zeiten für Ultras in Frankreich waren schon einmal besser: Stadion- und Reiseverbote bestimmen den Alltag, während die französische Ligaverwaltung weiterhin den Dialog scheut. Ein Blick auf die Zustände im Nachbarland.
Ein durch katarisches Geld gepimpter Serienmeister aus Paris, daneben wenig Spannung in der Liga, geringe Zuschauerzahlen, teilweise Komplettausschlüsse von Fans, unzählige Sponsorenmarken auf den Trikots, ein unsinniger Ligapokal, ein fragwürdiges Branding des eigenen Produkts und ein schwieriges Verhältnis zu Ultras – die Ligue 1 Conforama (jap, genauso heißt die französische Eliteklasse seit 2017 offiziell) war schon einmal in einem besseren Zustand. Während man nach der Euro 2016 hoffte, die neuen Stadien und das gute Abschneiden würden für einen Boom sorgen, sieht man sich jetzt getäuscht. Die nackten Zahlen sprechen nämlich eine andere Sprache.
Die Gründe sind vielfältig: Zuschauerzahlen gehen zurück, Stadien- und Betretungsverbote nehmen zu, der Dialog zwischen Funkionären und Fans ist komplett zum Erliegen gekommen. Während man in Bezug auf die Bundesliga von der Angst spricht, eine gewisse “Blase” könnte “platzen”, ist die Situation im Nachbarland schon ein wenig dramatischer – bei der LFP (analog zur deutschen DFL) scheint man allerdings eher wenig beunruhigt zu sein. Werfen wir mal ein Schlaglicht auf die wichtigsten Aspekte, die den französischen Ligafußball momentan beschäftigen – hoffentlich erkennt man dann, dass der Dialog zwischen Funktionären und Fans das einzig wirksame Mittel sein kann, um einen langfristigen Abwärtstrend in einer Liga zu stoppen.
Protest ist überall präsent
Es ist in den letzten Wochen fast zur Folklore geworden, dass in Frankreich Banner und Spruchbänder in den Fankurven gezeigt werden, die die LFP in verschiedensten Formen beleidigen. Der Protest gegen die Liga-Verwaltung ist omnipräsent – die LFP selbst scheint sich aber nicht sonderlich dafür zu interessieren. Es kann nämlich fast kein Zufall sein, dass in dieser Regelmäßigkeit und Intensität Ultras ihre Kommunikationsmedien in Stadien nutzen, um auf einen tiefgreifenden Konflikt zwischen sich und den Funktionären aufmerksam zu machen.
Der Gebrauch von Pyrotechnik und beleidigenden Bannern gilt als absolutes Reizthema, was dazu führt, dass Fußballfans sich kriminalisiert fühlen – „Supporters, pas criminels“ ist die Entsprechung des deutschen „Fußballfans sind keine Verbrecher“.
Der Protest (nicht nur) der Ultras ist ein Ausdruck dessen, dass im französische Fußball etwas gehörig falsch läuft. Die Argumentationslinien sind dabei aus Sicht der Öffentlichkeit analog zu denen in Deutschland: kritische Ultras werden häufig mit gewalttätigen Hooligans gleichgesetzt und damit stigmatisiert, der Gebrauch von Pyrotechnik und beleidigenden Bannern gilt als absolutes Reizthema, was dazu führt, dass Fußballfans sich kriminalisiert fühlen – “Supporters, pas criminels” ist die Entsprechung des deutschen “Fußballfans sind keine Verbrecher”. Spruchbänder mit dieser Aufschrift sind in Frankreich in dieser Saison bereits schon verboten worden.
Ultras als Ziel von Repressionsmaßnahmen
Bereits zu Anfang diesen Jahres hatten wir in einem längeren Stück auf die Dissertation von Sébastien Louis hingewiesen, die mittlerweile auch in Buchform erschienen ist und den Namen „Ultras – Les autres protagonistes du football“ trägt. In unserem Text hatten wir analysiert, unter welchen Bedingungen sich die Ultra-Kultur in Italien entwickeln konnte und welche Elemente für diese jugendliche Subkultur heute noch von Bedeutung sind – in verschiedensten europäischen Ländern.
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Als Fazit zogen wir, dass Ultras eigentlich überall mit Behörden, Ligen, Medien und Vereinen ein schwieriges Verhältnis haben. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern mögen zwar durchaus existent sein, allerdings sind gewisse Charakteristika auch grenzübergreifend festzustellen. Dazu gehört, dass Sicherheitsbehörden in europäischen Ländern Repressionslabore sehen, in denen sich Maßnahmen erlaubt werden können, die normale Bürgerinnen und Bürgern in anderen Kontexten wohl nicht betreffen würden.
“Ich bin ein Fan im Jahr 2018, die Behörden wollen meinen Tod.” | Foto: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/AFP/Getty Images
“Die Ultras sind eine perfekte Kategorie, um verschiedenste Methoden zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit umsetzen”, konstatiert Louis. Im komplett durchkommerzialisierten Fußballbetrieb ist eine lebendige Fankultur, die sich kritisch mit dem eigenen Verein und der Entwicklung des Volkssports Fußball auseinandersetzt, eigentlich überwiegend zum Erliegen gekommen – in Deutschland allerdings sind die Zustände vergleichsweise noch paradiesisch, da zumindest noch ein einigermaßen aktiver Dialog mit DFL und DFB besteht.
In anderen europäischen Ländern rieb man sich in den letzten Tagen und Wochen verwundert die Augen, weil mit viel Verve und funktionierender Öffentlichkeitswirksamkeit nicht nur Ultras gegen die von der DFL (und ihren Mitgliedern, den Vereinen) beschlossenen Montagsspiele protestierten. Während in anderen Ländern die Zersplitterung der Spieltage bereits weit fortgeschritten ist, dienen in Deutschland allerdings bereits fünf terminierte Montagsspiele als Auslöser für Proteste.
Auf der nächsten Seite: Erschreckende Beispiele aus dem Ligaalltag in Frankreich.
Schaut man sich jedoch die Zustände in Frankreich an, fällt auf, dass dort an einem ganz normalen Spieltag Dinge passieren, die in Deutschland wohl wüste Empörungsstürme hervorrufen würden. Anfang Februar, am 24. Spieltag in der Ligue 1, vollzogen sich an den Standorten in Straßburg und Marseille bemerkenswerte Entwicklungen in Bezug auf Repressionen gegen Fußball-Fans, was von Jérôme Latta für die Zeitung “Le Monde” festgehalten wurde.
Ein voller Auswärtsblock gehört in Frankreich zur Seltenheit
Beim Spiel zwischen Straßburg und Bordeaux waren Ultras der Gäste im Vorfeld durch Reise- und Betretungsverbote davon abgehalten worden, das Spiel aus der Gästekurve heraus zu verfolgen. Allerdings waren Teile der betreffenden Ultras letztendlich dennoch im Stadion anzutreffen, Im “Stade de Meinau” waren sie außerhalb des Gästebereichs zu finden, nachdem sie sich vorher in Kooperation mit heimischen Ultras Karten gesichert hatten. Gemeinsam wurden dann nach Anpfiff der Partie fünf Minuten Stimmungsboykott durchgeführt.
Foto: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/AFP/Getty Images
Im Anschluss daran wurden die Bordeaux-Ultras allerdings durch Ordner und Polizeikräfte aus dem Stadion geführt – “ohne großes Aufsehen und ruhig”, wie es Präfektur und Verein in Straßburg verkündeten. Die Delinquenten jedoch gaben an, durch Schlagstöcke und Handschellen aus dem Stadion entfernt worden zu sein. Einige von ihnen wurden später 18 Stunden in Polizeigewahrsam gehalten. Die Gruppierung “Ultramarines 1987” bezeichnete ihre Aktion als “zivilen Ungehorsam”, mit dem bezweckt werden sollte, dass Reise- und Betretungsverbote “komplett unverantwortlich” seien.
Reiseverbote auch bei den prestigeträchtigsten Duellen
Doch an jenem Wochenende war es nicht nur in Straßburg interessant: Beim Spiel zwischen Marseille und Metz wurde am Vorabend um 23 Uhr von der Disziplinarkommission der Ligue 1 festgelegt, dass Teilbereiche des “Stade Vélodrome” wegen Pyro-Vorfällen in der Vergangenheit geschlossen werden würden. In der französischen Öffentlichkeit wurden diese beiden Vorfälle natürlich auch breit diskutiert – Pierre Ménès, bekannter und meinungsstarker Experte, sprach in der Sendung “Canal Football Club” von einem “offenkundigen Scheitern der Strafmaßnahmen im französischen Fußball”.
Scheiße, das ist kein Fußball. Fußball, das bedeutet Choreographien zu haben und Fangesänge, eine Atmosphäre zu schaffen. Jeder schaut neidisch nach Deutschland und England, aber bei uns werden die Fans aus dem Stadion gejagt.
Metz-Trainer Frédéric Hantz sagte: “Man hat den Eindruck, dass alle Fans im Stadion verboten werden würden, wenn man es denn könnte. Das ist ein Eingeständnis von Schwäche und Inkompetenz der Behörden”. Benoît Costil, Torwart von Bordeaux, ereiferte sich wie folgt: “Scheiße, das ist kein Fußball. Fußball, das bedeutet Choreographien zu haben und Fangesänge, eine Atmosphäre zu schaffen. Jeder schaut neidisch nach Deutschland und England, aber bei uns werden die Fans aus dem Stadion gejagt.”
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Weitere Beispiele gefällig? Bitteschön: Am 25. Februar fanden am 27. Spieltag zwei traditionsreiche Duelle in der Ligue 1 statt. Nachmittags standen sich im Derby de Rhône-Alpes Olympique Lyon und Saint-Étienne gegenüber – am Abend kam es zum französischen Classico zwischen PSG und Olympique Marseille. Beide Aufeinandertreffen würden ja eigentlich als Musterbeispiel dessen dienen, was sich die LFP auch in Bezug auf internationale Vermarktung als Idealvorstellung überlegt haben müsste. Doch durch die Reiseverbote durften Auswärtsfahrer ihre Mannschaft nicht bei den prestigeträchtigen Duellen unterstützen – man stelle sich das in Deutschland vor, Dortmund-Fans, die ihre Mannschaft nicht beim Spiel in München begleiten dürfen oder Kölner, die nicht zum Derby in Mönchengladbach reisen dürfen.
Platzsturm in Lille: Unschön, aber leider eine logische Konsequenz
Und auch am vergangenen Wochenende war der Aufruhr wieder groß: Nach dem Heimspiel des OSC Lille gegen Montpellier (es endete 1:1) stürmten etwa 200 bis 300 Fans des abstiegsbedrohten Vereins aus dem Norden das Feld. Berichten zufolge soll es sogar zu tätlichen Angriffen gegenüber Lille-Spielern gekommen sein. Weiterhin war auch folgender Gesang zu hören: “Si on descend, on vous descend.”
Dieses zugegenermaßen geschmacklose Wortspiel bedeutet auf Deutsch nichts Anderes als das berühmt-berüchtigte “Wenn ihr absteigt, schlagen wir euch tot”, was im deutschen Fußball auch nicht ganz unbekannt ist. Man muss es an dieser Stelle noch einmal sagen, bevor es vergessen wird: Physische Gewalt ist durch nichts rechtfertigen und absolut zu verdammen. Doch der Platzsturm in Lille kommt beileibe nicht überraschend. Warum ist das so?
Foto: FRANCOIS LO PRESTI/AFP/Getty Images
Vor einigen Jahren noch war der Verein aus der Metropole im französischen Norden noch Meister, eine aufregende Mannschaft um Eden Hazard spielte erfrischenden Fußball und durfte sich sogar in der Champions League versuchen. Mittlerweile jedoch ist die Situation eine andere: Trotz des neuen Stadions “Pierre-Mauroy” hat der Verein es nicht geschafft, sich langfristig in der Spitzengruppe der Ligue 1 zu etablieren, ganz im Gegenteil: Aktuell steht die von Christophe Galtier trainierte Mannschaft auf dem vorletzten Tabellenrang und ist vom Abstieg bedroht.
Auf der nächsten Seite: Empörung und Verständnis – ein Fall für die Medien
Doch auch die nicht-sportlichen Aspekte sind beunruhigend: Der ehemalige Trainer Marcelo Bielsa verlangt fast 20 Millionen Euro an Nachzahlungen, seit der Übernahme durch Investor Gérard Lopez kam der Verein eigentlich nie zur Ruhe. Im vergangenen Winter durfte LOSC keine Spieler holen, die französische Liga hat den Verein bereits vorsorglich in die Ligue 2 gesetzt, sollte sich die finanzielle Situation nicht verbessern.
Empörung allerorten in Frankreich
Der normale Reflex nach dem Platzsturm war dann auch in Frankreich zu beobachten: Die Empörung über diese “sogenannten Fans” machte die Runde, sogar ehemalige Minister und Bürgermeister meldeten sich zu Wort und verurteilten die Geschehnisse. Vielfach wurde wieder einiges in einen Topf geschmissen – Ultra-Kultur und Hooliganismus verschwammen zu einer dicken Soße aus gewalttätigen Fußballfans, die ja nur einen Grund suchen würden, um ihre Aggressionen rauszulassen.
Wenn das Soziale auf das Wirtschaftliche trifft, entsteht ein starke Erschütterung – in Lille traf die Gewalt des Volkes auf die Gewalt des Geldes. Das kann in allen Vereinen passieren, nicht nur in den Traditionsclubs.
Daniel Riolo, ein renommierter französischer Journalist, sagte dazu gegenüber “RMC”: “Was wir am Samstag in Lille beobachten konnten, ist nichts Seltenes. Es passiert sogar immer häufiger.” Er bezog sich dabei auch auf den Platzsturm beim Spiel von West Ham United gegen Burnley in der Premier League, wo ebenfalls der Platz gestürmt wurde und sich die Wut der Fans auch gegen die Investoren richtete.
Soziales und Wirtschaftliches lassen sich nicht immer in Einklang bringen
“Wenn das Soziale auf das Wirtschaftliche trifft, entsteht ein starke Erschütterung – in Lille traf die Gewalt des Volkes auf die Gewalt des Geldes. Das kann in allen Vereinen passieren, nicht nur in den Traditionsclubs”, konstatierte Riolo, der als Beispiele Strasbourg und Lens heranzog. Beide Vereine hätten sich in den letzten Jahren nur deswegen vor der sportlichen Bedeutungslosigkeit retten können, weil sie über eine große Fanbasis verfügten.
Foto: Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images
Man dürfe aus Sicht der Funktionäre nicht vergessen, mahnte Riolo, dass Fußball ein sozialer Faktor sei, der in den Vereinen als soziale Institutionen seinen Ausdruck findet. “Wenn Investoren kommen und mit den Vereinen Monopoly spielen, zerstören sie den Verein als populäre Institution. Fußball ist eine soziologische Sache. Es ist der populärste Sport auf der Welt, viele Leute folgen ihm. Womit man aber definitiv aufhören muss, ist die Schizophrenie auf Seiten der Verantwortlichen.”
Wenn Investoren kommen und mit den Vereinen Monopoly spielen, zerstören sie den Verein als populäre Institution. Fußball ist eine soziologische Sache. Es ist der populärste Sport auf der Welt, viele Leute folgen ihm. Womit man aber definitiv aufhören muss, ist die Schizophrenie auf Seiten der Verantwortlichen.
Damit meint Riolo, dass Fans als Spielball zwischen monetären und marketingbezogenen Aspekten gleichermaßen umgarnt, aber auch bestraft würden – die Kameras bräuchten volle Tribünen, um ein gutes Bild der Liga zu präsentieren, doch gleichermaßen würde das Mitspracherecht der Fans beschnitten, insbesondere natürlich beim Einstieg eines Investors. Denn die schönen Bilder würden nur entstehen, weil sich besonders Ultras für die Unterstützung der eigenen Mannschaft mithilfe von Choreographien und Bannern stark machen.
Einen Boom nach der Euro 2016 hat es in Frankreich nicht gegeben
In jedem Fall werden die zunehmenden repressiven Maßnahmen gegen französische Ultras auch von der Diskussion darüber begleitet, ob und inwieweit die Renovierung und der Neubau von Stadien für die Europameisterschaft 2016 jetzt, zwei Jahre später, noch Früchte trägt. Komplett neue Stadien wurden errichtet in Lille, Nizza, Lyon und Bordeaux, renoviert wurden die Spielstätten in Saint-Etienne und Marseille.
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Man erhoffte sich dadurch, neue und vor allen Dingen mehr Zuschauerinnen und Zuschauer anzulocken – potenziert durch das gute Abschneiden der französischen Nationalmannschaft hatte man sich bei der Liga-Direktion schon auf einen regelrechten Boom der Zuschauerzahlen vorbereitet. Diese Annahme jedoch konnte bereits nach der ersten Saison nach dem großen kontinentalen Turnier widerlegt werden. Der Effekt der Europameisterschaft, der neuen Stadien, habe nicht stattgefunden, hält Jérôme Latta für “Le Monde” fest.
Foto: Laurence Griffiths/Getty Images
Der Zuschauerschnitt mit den neuen Fußballtempeln sei kaum gestiegen im Vergleich zum Vorjahr (21.208 in der Saison 2016/2017, 20.894 in der Saison 2015/2016), im Spieljahr 2014/2015 lag er sogar noch höher. Paradox ist jedoch, dass in der vergangenen Saison die Zahl der tatsächlich verfügbaren Plätze in den 20 Stadien der Ligue 1 so hoch war wie noch nie.
Die Stadien boten durchschnittlich 31.500 Zuschauerinnen und Zuschauern Platz, wie Latta errechnet hat. Die Belegungsquote lag demnach bei 67 % – ein Drittel aller Plätze in französischen Stadien blieb in dieser Saison also leer. Zum Vergleich dazu die Ergebnisse aus der Bundesliga in jener Saison: Durchschnittlich wiesen die Stadien dort 44500 Plätze auf, der Zuschauerschnitt lag bei 41.527 pro Partie – dies entspricht einer Auslastung von 93 %.
Auf der nächsten Seite: Hochtrabende Pläne der LFP und eine darbende Liga.
Besonders beunruhigend in Bezug auf Frankreich ist, dass die neuen Stadien seit 2012 dafür gesorgt haben, dass das durchschnittliche Fassungsvermögen um 6.000 Plätze angestiegen ist – der tatsächliche Anstieg der Zuschauerzahlen beträgt pro Spiel allerdings durchschnittlich nur 2300. Damit einher geht natürlich, dass immer mehr Plätze frei bleiben. Als Resultat lässt sich also festhalten, dass die neuen Stadien für mehr leere anstatt besetzte Plätze gesorgt haben. Spätestens jetzt ist es Unsinn, von einem positiven Effekt der Stadion-Neubauten zu sprechen.
Leere Stadien, eine “langweilige” Liga: Die Gegenmaßnahmen der LFP
Die Überdimensionierung der Stadien hat also auf zwei Ebenen verhängnisvolle Konsequenzen: Aus wirtschaftlicher Sicht schadet die schwache Auslastung den Vereinen, aus marketingtechnischer Sicht sind die geringen Zuschauerzahlen ein Problem für das ohnehin schon relativ ramponierte Image der Ligue 1. Dementsprechend war es nicht überraschend, dass ein LFP-Funktionär im August vergangenen Jahres davon sprach, diejenigen Vereine bestrafen zu wollen, die in ihren Heimspielen die den Kameras zugewandten Tribünen nicht vollbekommen würden – unglaublich.
Aus wirtschaftlicher Sicht schadet die schwache Auslastung den Vereinen, aus marketingtechnischer Sicht sind die geringen Zuschauerzahlen ein Problem für das ohnehin schon relativ ramponierte Image der Ligue 1. Dementsprechend war es nicht überraschend, dass ein LFP-Funktionär im August vergangenen Jahres davon sprach, diejenigen Vereine bestrafen zu wollen, die in ihren Heimspielen die den Kameras zugewandten Tribünen nicht vollbekommen würden.
In Frankreich muss man sich also die Frage stellen, wie man die Zuschauerzahlen wieder positiv beeinflussen kann, sodass die neuen, großen Stadien besser gefüllt sein können. Die Ansatzpunkte sind dabei natürlich vielfältig: Die Terminierung der Spiele spielt eine Rolle, das Wetter, der Preis für die Karten, die Verkehrssituation rund um das Stadion und – natürlich – der sportliche Zustand der Mannschaft, die man verfolgen möchte.
Bestrafen anstatt zu sprechen/Fans von Reisen abhalten/Unzusammenhängende und unbegründete Entscheidungen/Willkommen bei der LFP | Foto: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/AFP/Getty Images
Wichtig sei es für französische Clubs, so die Meinung von Experten, Bedingungen zu schaffen, um das Erlebnis Stadionbesuch in Frankreich nachhaltig zu verbessern. Zwar seien sowohl Vereine als auch LFP (Ligue de Football Professionnel, Betreiber der ersten beiden französischen Profiligen) für dieses Problem mittlerweile sensibilisiert, die Realität spricht aber eine andere Sprache. Der im April 2017 veröffentlichte strategische Plan der Liga-Verwaltung sieht vor, die Ligue 1 bis 2022 wieder auf Top-Niveau zu bringen, da sie sich bis dato sportlich wie ökonomisch auf dem absteigenden Ast präsentierte.
Ultras in Frankreich spielen in den Planungen der Liga keine Rolle
Ziel ist es, die Ligue 1 in Bezug auf die vier großen europäischen Ligen aus England, Spanien, Deutschland und Itaien wieder konkurrenzfähig zu machen. Die Entwicklungsschritte beziehen sich auf verschiedenste Faktoren von der Ausbildung der Spieler, über die subjektiv wahrgenommene “Spannung” in der Liga bis zu den obligatorischen TV-Einnahmen. Das Problem daran: Die Liga vergisst komplett, die Fans und Zuschauer in ihre Entwicklungsideen miteinzubeziehen – diese werden entweder als Kunden oder Unruhestifter wahrgenommen.
Die Liga vergisst komplett, die Fans und Zuschauer in ihre Entwicklungsideen miteinzubeziehen – diese werden entweder als Kunden oder Unruhestifter wahrgenommen. Konkret gesagt taucht in der sehr lieblos gestalteten PowerPoint-Präsentation der LFP das Wort “supporter” nicht ein einziges Mal auf – über “Kunden” wird hingegen schon achtmal gesprochen.
Konkret gesagt taucht in der sehr lieblos gestalteten PowerPoint-Präsentation der LFP (anzusehen hier) das Wort “supporter” nicht ein einziges Mal auf – über “Kunden” wird hingegen schon achtmal gesprochen. Beruft man sich jetzt auf die eingangs geschilderten Formen der Repression gegen Fans und Ultras, auf den nicht existierenden Dialog zwischen Fußball-Fans und -Funktionären, auf die unzähligen Stadien- und Betretungsverbote, fällt auf, dass die LFP eine sehr große Unreife und Inkompetenz aufweist, wenn es um Fanfragen geht.
Foto: FRANCK FIFE/AFP/Getty Images
Der strategische Plan spricht nämlich in erster Linie davon, wie man die Ausgaben der Fans im Stadion erhöhen oder sie zum Ziel von kommerziellen Angebotskampagnen machen kann. Interessanterweise bietet der strategische Plan natürlich auch noch (größen)wahnsinnige Ideen, Anstoßzeiten um 13 Uhr oder ein Draftsystem mit chinesischen Jugendspielern beispielsweise. In der Ligue 2 und der Coupe de la Ligue sollen experimentell dann auch mal Kameras auf den Trikots angebracht oder weiße und grüne Karten verteilt werden. Wenig verwunderlich, dass das bei den Fans auf wenig Gegenliebe stößt.
Wie soll es nun weitergehen in Frankreich?
Bei aller Kritik: Immerhin wurde in Frankreich im Jahr 2016 im Rahmen eines Gesetzes festgelegt, dass die Profiklubs fortan einen Fanbeauftragten einstellen müssen, der sich um den Dialog mit individuellen und organisierten Fans kümmert und gleichzeitig auch in Kontakt mit den Vereinen und den örtlichen Behörden steht. Dies wurde im Rahmen der Aktivitäten der nationalen Behörde für den supportérisme institutionalisiert, die an das französische Sportministerium angebunden ist.
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Seitdem hat sich jedoch nicht viel geändert, wie auch Daniel Riolo vor einiger Zeit gegenüber dem Sender “RMC” bestätigte. Der Dialog sei nicht wirklich etabliert, man wisse nicht, mit wem man reden müsse – deswegen seien in letzter Zeit auch wieder so viele Banner und Spruchbänder mit Anti-LFP-Botschaften zu sehen gewesen. Diese seien als Reaktion auf die Zunahme der repressiven Maßnahmen zu verstehen.
Es fehle an einer klaren einheitlichen Linie, bemängelt der Journalist – wenn keine Reiseverbote ausgesprochen würden, würden eben einfach die Karten für Auswärtspreise angehoben, sodass man sich des “Problems” auf eine andere Art und Weise zu entledigen versuche. Fest steht: Ultras, aber auch normale Fans haben in Frankreich momentan einen schweren Stand.
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Sie dienen als Beispiel dafür, dass diese soziale Gruppierung wie von Sébastien Louis in dessen Buch beschrieben, durch öffentliche Behörden und kommerzielle Unternehmen wie die LFP stark gegängelt werden, weil sie das Premiumprodukt beschädigen – wenn man unter “beschädigen” einen kritischen Umgang verstehen möchte. Festgehalten sei aber auch: Jede Form von Gewalt ist strikt abzulehnen, die übliche Vermischung zwischen Hooligans und Ultras ist aber genauso wenig zielführend wie die Strafmaßnahmen.
Warnung und Ansporn zugleich
Während man also in Deutschland noch einigermaßen zufrieden sein kann, was die Möglichkeiten zur Auslebung von Fankultur angeht, sind die Zustände in Frankreich wesentlich schlimmer. Dies soll einerseits als Warnung dienen, andererseits aber auch als Ansporn, den Kampf für Fußball als Volkssport nicht aufzugeben und gerade den Kampf für den Erhalt der 50+1-Regelung weiterzuführen, um das harte Aufeinanderprallen von finanziellen und sozialen Interessen zu verhindern. Denn wenn man anfängt, die Fußballfans zu verarschen und aus ihren Vereinen einen Spielball finanzieller Interessen macht, werden sie sich äußern.