Doch auch die nicht-sportlichen Aspekte sind beunruhigend: Der ehemalige Trainer Marcelo Bielsa verlangt fast 20 Millionen Euro an Nachzahlungen, seit der Übernahme durch Investor Gérard Lopez kam der Verein eigentlich nie zur Ruhe. Im vergangenen Winter durfte LOSC keine Spieler holen, die französische Liga hat den Verein bereits vorsorglich in die Ligue 2 gesetzt, sollte sich die finanzielle Situation nicht verbessern.
Empörung allerorten in Frankreich
Der normale Reflex nach dem Platzsturm war dann auch in Frankreich zu beobachten: Die Empörung über diese “sogenannten Fans” machte die Runde, sogar ehemalige Minister und Bürgermeister meldeten sich zu Wort und verurteilten die Geschehnisse. Vielfach wurde wieder einiges in einen Topf geschmissen – Ultra-Kultur und Hooliganismus verschwammen zu einer dicken Soße aus gewalttätigen Fußballfans, die ja nur einen Grund suchen würden, um ihre Aggressionen rauszulassen.
Wenn das Soziale auf das Wirtschaftliche trifft, entsteht ein starke Erschütterung – in Lille traf die Gewalt des Volkes auf die Gewalt des Geldes. Das kann in allen Vereinen passieren, nicht nur in den Traditionsclubs.
Daniel Riolo, ein renommierter französischer Journalist, sagte dazu gegenüber “RMC”: “Was wir am Samstag in Lille beobachten konnten, ist nichts Seltenes. Es passiert sogar immer häufiger.” Er bezog sich dabei auch auf den Platzsturm beim Spiel von West Ham United gegen Burnley in der Premier League, wo ebenfalls der Platz gestürmt wurde und sich die Wut der Fans auch gegen die Investoren richtete.
Soziales und Wirtschaftliches lassen sich nicht immer in Einklang bringen
“Wenn das Soziale auf das Wirtschaftliche trifft, entsteht ein starke Erschütterung – in Lille traf die Gewalt des Volkes auf die Gewalt des Geldes. Das kann in allen Vereinen passieren, nicht nur in den Traditionsclubs”, konstatierte Riolo, der als Beispiele Strasbourg und Lens heranzog. Beide Vereine hätten sich in den letzten Jahren nur deswegen vor der sportlichen Bedeutungslosigkeit retten können, weil sie über eine große Fanbasis verfügten.
Man dürfe aus Sicht der Funktionäre nicht vergessen, mahnte Riolo, dass Fußball ein sozialer Faktor sei, der in den Vereinen als soziale Institutionen seinen Ausdruck findet. “Wenn Investoren kommen und mit den Vereinen Monopoly spielen, zerstören sie den Verein als populäre Institution. Fußball ist eine soziologische Sache. Es ist der populärste Sport auf der Welt, viele Leute folgen ihm. Womit man aber definitiv aufhören muss, ist die Schizophrenie auf Seiten der Verantwortlichen.”
Wenn Investoren kommen und mit den Vereinen Monopoly spielen, zerstören sie den Verein als populäre Institution. Fußball ist eine soziologische Sache. Es ist der populärste Sport auf der Welt, viele Leute folgen ihm. Womit man aber definitiv aufhören muss, ist die Schizophrenie auf Seiten der Verantwortlichen.
Damit meint Riolo, dass Fans als Spielball zwischen monetären und marketingbezogenen Aspekten gleichermaßen umgarnt, aber auch bestraft würden – die Kameras bräuchten volle Tribünen, um ein gutes Bild der Liga zu präsentieren, doch gleichermaßen würde das Mitspracherecht der Fans beschnitten, insbesondere natürlich beim Einstieg eines Investors. Denn die schönen Bilder würden nur entstehen, weil sich besonders Ultras für die Unterstützung der eigenen Mannschaft mithilfe von Choreographien und Bannern stark machen.
Einen Boom nach der Euro 2016 hat es in Frankreich nicht gegeben
In jedem Fall werden die zunehmenden repressiven Maßnahmen gegen französische Ultras auch von der Diskussion darüber begleitet, ob und inwieweit die Renovierung und der Neubau von Stadien für die Europameisterschaft 2016 jetzt, zwei Jahre später, noch Früchte trägt. Komplett neue Stadien wurden errichtet in Lille, Nizza, Lyon und Bordeaux, renoviert wurden die Spielstätten in Saint-Etienne und Marseille.
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Man erhoffte sich dadurch, neue und vor allen Dingen mehr Zuschauerinnen und Zuschauer anzulocken – potenziert durch das gute Abschneiden der französischen Nationalmannschaft hatte man sich bei der Liga-Direktion schon auf einen regelrechten Boom der Zuschauerzahlen vorbereitet. Diese Annahme jedoch konnte bereits nach der ersten Saison nach dem großen kontinentalen Turnier widerlegt werden. Der Effekt der Europameisterschaft, der neuen Stadien, habe nicht stattgefunden, hält Jérôme Latta für “Le Monde” fest.
Der Zuschauerschnitt mit den neuen Fußballtempeln sei kaum gestiegen im Vergleich zum Vorjahr (21.208 in der Saison 2016/2017, 20.894 in der Saison 2015/2016), im Spieljahr 2014/2015 lag er sogar noch höher. Paradox ist jedoch, dass in der vergangenen Saison die Zahl der tatsächlich verfügbaren Plätze in den 20 Stadien der Ligue 1 so hoch war wie noch nie.
Die Stadien boten durchschnittlich 31.500 Zuschauerinnen und Zuschauern Platz, wie Latta errechnet hat. Die Belegungsquote lag demnach bei 67 % – ein Drittel aller Plätze in französischen Stadien blieb in dieser Saison also leer. Zum Vergleich dazu die Ergebnisse aus der Bundesliga in jener Saison: Durchschnittlich wiesen die Stadien dort 44500 Plätze auf, der Zuschauerschnitt lag bei 41.527 pro Partie – dies entspricht einer Auslastung von 93 %.
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