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Ehrentribüne

Einer der ersten Spielerberater der Bundesliga ist tot: Über das fast unbemerkte Ableben des Rüdiger Schmitz

Rüdiger Schmitz war einer der ersten Spielerberater in der Bundesliga. Nun ist der einstige Mentor von FC-Stars wie Heinz Flohe oder Toni Schumacher im Alter von 79 Jahren gestorben. Ein Nachruf von Frank Steffan.

Torwart Harald -Toni- Schumacher (BR Deutschland / 1. FC Köln) mit seinem Berater Rüdiger Schmitz Goalkeeper Harald Toni Schumacher BR Germany 1 FC Cologne with his Consultants Rüdiger Schmitz
Foto: imago images / Ferdi Hartung

Ein Nachruf von Frank Steffan

Bereits am 12. März 2021 ist unbeachtet von den Medien Rüdiger Schmitz mit 79 Jahren verstorben. Der Euskirchener war allerdings keinesfalls ein Unbekannter, sondern vielmehr jemand, der im Fußballgeschäft eine Art Vorreiterrolle spielte. Schmitz war einer der ersten Spielerberater in der Bundesliga und als Mentor von FC-Stars wie Toni Schumacher oder Heinz Flohe von den siebziger Jahren bis in die neunziger Jahre ein Schwergewicht in der Branche.

Eine Zufallsbegegnung brachte ihn Ende der sechziger Jahre in das Business, das er von diesem Moment an mitbestimmen sollte: Schmitz, bis dato als leitender Angestellter in einem florierenden Vermessungsbüro tätig, traf an einer Euskirchener Tankstelle auf Heinz Flohe, damals bereits Stammspieler des mit Stars überbesetzten 1. FC Köln. Obwohl sich beide nur eher flüchtig kannten, kam „Flocke“ während des Meetings an der Zapfsäule auf die folgenschwere Idee, den durch und durch seriösen Schmitz um einen Gefallen zu bitten.

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“Wenn sie ihn nicht akzeptieren, bin ich weg”

Als Begleiter solle er „Flocke“ bei den anstehenden Vertragsverhandlungen mit seinem Arbeitgeber zur Seite zu stehen. Schmitz willigte spontan ein und flankierte den Jungprofi zum ersten Gespräch mit dem damaligen FC-Präsidenten Oskar Maaß. Das Gespräch endete in einem Fiasko. Maaß ließ es erst gar nicht zu Verhandlungen kommen, raunzte Flohe an, dass er gefälligst alleine zu erscheinen habe und den ihn begleitenden „Typ“ fortan zuhause zu lassen. Der FC-Jungstar ließ sich davon nicht sonderlich beeindrucken und entgegnete ungerührt: „Wenn Sie ihn nicht akzeptieren, bin ich weg!“

Foto: Edition Steffan

Der Mittelfeldmann war schließlich schon damals nicht irgendwer und konnte sich den Konter gegenüber dem FC-Präsidenten leisten. Bayern München hätte Flohe vermutlich sofort unter Vertrag genommen, was dem Euskirchener wahrscheinlich gar nicht mal bewusst gewesen war. Seine Reaktion entsprach eher seinem Naturell und wäre auch gekommen, wenn er danach arbeitslos geworden. Auf alle Fälle war Rüdiger Schmitz ab diesem Moment mitten im Spielgeschehen, handelte mit Maaß und dem damaligen FC-Geschäftsführer Hans-Gerd König einen für damalige Verhältnisse enorm gut dotierten Vertrag für seinen frischgebackenen Klienten aus, der sich darauf beschränkte, dabeizusitzen und zuzuhören.

Die Verbindung Schmitz/Flohe basierte lange Jahre nicht auf wirtschaftlichen Interessen. Der Berater arbeitete für Flohe ohne Provisionen oder sonstige Beteiligungen. Erst sehr viel später, Ende der siebziger Jahre, als die bewegten Summen und das Arbeitspensum beachtliche Ausmaße annahmen, erhielt Schmitz Prozente vom Umsatz. In erster Linie arbeitete er allerdings in dem Euskirchener Vermessungsbüro, kümmerte sich nebenher aber immer um die wirtschaftlichen Belange des Kölner Mittelfeldstars. Das Schmitz’sche Credo: Konservativ anlegen, vor allem in „Betongold“. In und um Euskirchen zog Schmitz zig Wohnhäuser hoch, die sich für Flohe und später für zahlreiche andere Bundesligaprofis als Glücksfälle erweisen sollten. Er war vom Fach, kannte die Baubranche wie seine Westentasche und nutzte die Verbindungen weidlich aus. Schmitz sah im Falle Flohe seine Aufgabe vor allem darin, ihm eine Perspektive nach der sportlichen Karriere aufzubauen.

Ein vermeidbarer Bruch, den Schmitz hätte verhindern können

Während der aktiven Zeit hielt sich Schmitz überwiegend zurück, wenn es darum ging, Alltagsprobleme zu lösen. Ihm lag auch völlig fern, seinem Klienten ein Image zu verpassen, Medienpräsenz zu generieren oder ähnliche Marketingaspekte zu beackern. Das war nicht seine Baustelle. Dass Flohe der vielleicht technisch beste deutsche Spieler der Geschichte war, wusste Schmitz ganz genau. Er mag auch sein enormes Potential erkannt haben, aber wirklich gelenkt hat er “Flocke” nie.

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Es hätte dennoch nicht viel gefehlt und Flohe wäre zum echten Weltstar geworden. Er war der entscheidende Spieler beim Gewinn des Kölner Doubles 1978 und im Anschluss daran fuhr der FC-Kapitän als heimlicher Kapitän der Nationalmannschaft nach Argentinien zur WM. Dort legte er im Mexiko-Spiel eine fulminante Vorstellung auf dem WM-Rasen hin, verletzte sich aber im Italien-Spiel so schwer, dass er vorzeitig nach Deutschland zurückflog. Mit Flohe wäre das folgende Österreich-Debakel vermeidbar gewesen und wer weiß, was dann passiert wäre. Schmitz hatte da bereits – und er hätte im Falle eines positiveren WM-Verlaufs erst recht – einen echten Weltstar unter seinen Fittichen gehabt.

Fussball 1. Bundesliga Saison 1979/1980 1860 München - MSV Duisburg 01.12.1979 Heinz FLOHE (1860 Muenchen) muss nach einem Foul von Paul STEINER (MSV Duisburg) verletzt abtransportiert werden. Dieses Foul bedeutet das Karriereende von FLOHE. xxNOxMODELxRELEASExx Football 1 Bundesliga Season 1979 1980 1860 Munich MSV Duisburg 01 12 1979 Heinz Flohe 1860 Munich must After a Foul from Paul Steiner MSV Duisburg injured removed will this Foul means the Careers end from Flohe xxNOxMODELxRELEASExx

Foto: imago images / WEREK

Kurze Zeit später, im Mai 1979, kam der Bruch zwischen dem 1. FC Köln, vertreten durch Präsident Peter Weiand und Trainer Hennes Weisweiler, auf der einen und Flohe auf der anderen Seite. Ein durch und durch vermeidbarer Streit, den Schmitz möglicherweise hätte verhindern können. In jedem Fall hätte er aber den folgenden Wechsel von Köln zu 1860 München verhindern können. Schmitz griff vorschnell zu, sondierte nicht den Markt für Flohe, der mit Sicherheit bei einem namhafteren Club in Deutschland, Spanien oder Italien untergekommen wäre. So nahm die Sache ihren schicksalhaften Verlauf. Im Dezember 1979 beendete der damalige Duisburger Spieler Paul Steiner mit einem atemberaubend brutalen Tritt Flohes Karriere.

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Toni Schumacher: Ein Sechser im Lotto für den umtriebigen Berater

Schmitz war damit aber keineswegs aus dem Geschäft. Stattdessen sollte es jetzt erst richtig losgehen, denn neben “Flocke” hatte sich noch zu gemeinsamen Kölner Zeiten ein weiterer Spieler an Schmitz’ Seite gesellt: Harald „Toni“ Schumacher. Der weit mehr als Flohe auf Publikumswirksamkeit bedachte Torwart des 1. FC Köln sollte für Schmitz wie ein Sechser im Lotto werden. Als er begann, Schumacher zu beraten, konnte niemand ahnen, dass sich der „Tünn“ zu einem echten Weltstar mausern und Schmitz in die Riege der Bundesliga-VIPs katapultieren würde.

Bereits bei Flohe hatte der Quereinsteiger damit begonnen, seinen Job als Berater zu professionalisieren. Jetzt setzte er erst recht auf sein bestes Pferd im Stall, gründete eine Beratungsagentur und mischte fortan kräftig im stetig wachsenden Bundesligageschäft mit. Schumacher war zunächst das Glück hold, das Flohe in der Endphase seiner Karriere fehlte. Begünstigt durch die Verletzungen verschiedener Konkurrenten rückte der Kölner Keeper bereits 1980 ins Tor der deutschen Nationalmannschaft, wurde gleich im selben Jahr Europameister. Gleichzeitig avancierte Schumacher beim 1. FC Köln zu der alles dominierenden Spielergestalt. Der „Tünn“ bediente das Bild des sportlich überragenden Leistungsträgers, der die Massen begeistert und der kölschen Seele Futter gibt. Ein Volksheld wie aus dem Bilderbuch.

Foto: Bongarts/Getty Images

Auch in seinem Fall konzentrierte sich Rüdiger Schmitz darauf, das Drum und Dran zu organisieren und seinen Schützling mental zu unterstützen. Schmitz kreierte nicht, Schmitz moderierte. Mit Schumacher hatte er einen Spieler, der sich nicht damit begnügte, überragende Leistungen abzuliefern und das Bad in der Menge zu suchen. Nein, Schumacher teilte seinen Verein zunehmend in Freund und Feind ein, dem „Tünn“ ging es durchaus auch um Macht. Kraft seiner oftmals grandiosen Leistungen bildete sich um den Weltklassetorwart herum tatsächlich so etwas wie das Machtzentrum am Geißbockheim. Ähnliches kannte man schon aus dem sechziger und siebziger Jahren, als Wolfgang Overath die alles beherrschende Gestalt war.

Weitere FC-Stars wie Littbarski werden Schmitz-Klienten

Nun handelte es sich jedoch nicht um einen genialen Mittelfeldspieler, sondern um einen Weltklassetorwart. Der kann so gut sein, wie er will – mehr als Tore verhindern und seine Abwehr zusammenhalten kann er nicht. Schmitz schien im Laufe der Zeit derweil immer mehr Gefallen daran zu finden, über Schumacher Einfluss zu gewinnen. Die Liste seiner Klienten wurde ruckzuck länger und länger. Unter anderem ließen sich FC-Stars wie Gerd Strack, Herbert Neumann oder Pierre Littbarski durch die Agentur Schmitz vertreten und bescherten dem distinguierten Bauexperten eine ungeahnte Machtfülle. Neben Spielern aus den Reihen des 1. FC Köln gesellten sich nun auch Kicker anderer Bundesligisten wie Ralf Falkenmayer (damals bei Eintracht Frankfurt unter Vertrag) hinzu.

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Rüdiger Schmitz war von seiner Persönlichkeitsstruktur her ein grundsolider, konservativ denkender Macher, dem es trotz seiner Erdung anscheinend irgendwann zusagte, das ganz große Rad zu drehen. Insofern waren der umtriebige Spielerberater und sein Klient Schumacher gegenseitige Katalysatoren. Die Nibelungentreue des Weltklassetorwarts zu seinem Mentoren ergab sich einerseits aus seinem Charakter und andererseits aus den gemeinsamen einschneidenden Erlebnissen. 1982 befand sich der „Tünn“ auf dem ersten Höhepunkt seiner Popularität und ersehnten Machtfülle. Er fuhr zur WM in Spanien, war zusammen mit Karl-Heinz Rummenigge sowie Paul Breitner der Kopf der deutschen Nationalmannschaft und erlebte im Frankreich-Spiel, wie schnell sich der Wind drehen kann.

Torwart Harald Schumacher BR Deutschland hat es auf Patrick Battiston Frankreich abgesehen, re. Manfred Kaltz

Foto: imago images / WEREK

Sein historisches Foul an Patrick Battiston löste eine unglaubliche Empörungswelle sowohl in Frankreich als auch in Deutschland aus. Der „Tünn“ stand auf einmal mit dem Rücken zur Wand. In seiner Wahrnehmung hielt niemand zu ihm. Niemand außer Rüdiger Schmitz! Der baute ihn bei stundenlangen Spaziergängen in der Eifel wieder auf und hielt die bösen Geister fern. Letztlich ging Schumacher sogar gestärkt aus der Sache hervor, seine Stellung in der Nationalmannschaft konnte kaum noch sicherer sein und beim FC tanzte eh alles nach seiner Pfeife. Zwischen 1982 und 1986 befand sich Schumacher im Zenit seiner Spielerkarriere und Schmitz zog die Fäden im Hintergrund. Seine Agentur boomte, in der Euskirchener Carmanstraße schien man langsam, aber sicher zu glauben, dass sich hier das Nabel der internationalen Fußballwelt befindet.

Mit “Anpfiff” kam der Abpfiff – auch für den Berater

Alles lief für Schumacher bis Anfang 1987 nach Plan. Er hätte bis zum Sanktnimmerleinstag im FC-Tor stehen, er hätte locker über hundert Länderspiele auf dem Buckel haben und er hätte nach seiner Spielerkarriere gegebenenfalls wirklich FC-Präsident werden können. Ein absolutes Rundum-Sorglos-Paket hätte all das werden können, wenn da nicht das Buch „Anpfiff“ dazwischengekommen wäre. Schmitz hätte wissen müssen, welche unerquicklichen Folgen sich aus der Buchveröffentlichung für seinen Mandanten ergeben würden. Völlig ohne Not und Termindruck schmiss man im Februar 1987 besagtes Skandalbuch auf den Markt und ruinierte somit letztlich Schumachers Bilderbuchkarriere.

Schmitz war bereits 1985, im Vorfeld der WM in Mexiko, auf das Thema gestoßen worden. Was ihm diesbezüglich angeboten wurde, entsprach jedoch nicht seinen Vorstellungen. Wenn schon musste es ein Buch sein, das standesgemäß hohe Wellen schlägt. Ganz oder gar nicht. Nach dieser Devise ging er vor, das Ergebnis gestaltete sich jedoch wahrlich desaströs. Das Buch bot die Vorlage, um Schumacher beim FC rauszuschmeißen und ihn aus der Nationalmannschaft zu verbannen. Finanziell mag das ganze Unterfangen dank enormer Buchverkäufe im In- und Ausland noch halbwegs erfolgreich gewesen sein, aber das, was durch Geld für den ehrgeizigen Torwart nicht aufzuwiegen war, zerbrach vollkommen. Schmitz schätzte ganz offensichtlich seine und Schumachers Machtposition gründlich falsch ein. Ein Desaster der Extraklasse, das sich der “Tünn” bis heute schönredet.

Bildnummer: 06986798 Datum: 16.04.1987 Copyright: imago/Ferdi Hartung Harald Schumacher (re.) nach seiner Suspendierung auf der Tribüne neben seinem Manager Rüdiger Schmitz (beide BR Deutschland); 307 Fussball Herren vsw vneg xmk 1987 quer o00 Mode Zeitgeitst 80er 80 er Achtziger Jahre Sonnenbrille, sunglasses Entlassung o0 1. BL, Saison 1986/1987, privat, Toni, GER Image number 06986798 date 16 04 1987 Copyright imago Ferdi Hartung Harald Schumacher right After his Suspension on the Grandstand next to his Manager Rüdiger Schmitz both BR Germany 307 Football men Vsw Vneg xmk 1987 horizontal o00 Fashion Zeitgeitst 80 80 he Eighties Years Sunglasses Sunglasses Dismissal o0 1 BL Season 1986 1987 Private Toni ger

Foto: imago images / Ferdi Hartung

Noch nicht 1987, aber schon wenige Jahre später, entfloh Rüdiger Schmitz in eine andere Dimension. Das Spielerberatungsgeschäft erschien ihm zu eng, er wollte echte Werte schaffen, Stadien aus Stein und Beton bauen, möglichst auf der ganzen Welt. Das Beratungsgeschäft überließ er nach und nach seinem ehemaligen Kunden Thomas Kroth und verlegte sich fast gänzlich auf die Konzeption von modernen Sportarenen. Pläne gab es reichlich, wirklich realisiert wurde letztendlich nur das Stadion im niederländischen Arnheim, wo Herbert Neumann zeitweilig als Trainer Triumphe feierte. Auch am Zustandekommen der tatsächlich wegweisenden Arena auf Schalke hatte Schmitz einen hohen Anteil, arbeitete dort eng mit Rudi Assauer zusammen.

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Rüdiger Schmitz: eine echte Ausnahmeerscheinung

Viele andere Projekte, teilweise ausgesprochen großspurige wie ein über 300 Meter großer Kegelbau mit Fußballstadion in Berlin, verliefen dagegen oftmals im Sande. Nach der Jahrtausendwende wurde es zunehmend ruhiger um Rüdiger Schmitz. So ruhig, dass selbst sein Tod medial quasi unbemerkt stattfand. Er zog sich auch selbst immer mehr zurück, gebeutelt von privaten Schicksalsschlägen. Ich habe Rüdiger Schmitz jedenfalls als jemanden erlebt, auf den man sich verlassen konnte, der zu seinem Wort stand, der nicht der typische Spielerberater war.

Man kann trefflich darüber streiten, ob ein Anflug von Größenwahn dafür verantwortlich war, dass einige Dinge schief liefen oder ob die Ignoranz kleinerer Geister dafür verantwortlich ist, dass ganz große Würfe nicht zustande kamen. Wie dem auch sei, ich kann die Frage nicht wirklich beantworten. Eins lässt sich aber unzweifelhaft sagen: Der Mann hatte Stil und war eine echte Ausnahmeerscheinung.

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