Horeni beleuchtet aber auch die Strukturen im DFB. Er findet, dass Löws Macht “enorm” und “selbst im Fall eines krassen Misserfolgs wohl kaum möglich” sei, dass Löw entlassen würde – damit bewies er fast hellseherische Fähigkeiten, denn Löw wurde selbst nach der peinlichen “Analyse” des Scheiterns in Russland nicht von seinen Aufgaben entbunden. Die Entscheider, DFB-Präsident Grindel und Generalsekretär Curtius, seien “im Fußball zu schwach verwurzelt”, um mit Autorität über die Zukunft von Löw zu entscheiden. Zwar wackelte der Posten des Bundestrainers, das Weitermachen nach dem WM-Aus in Russland ist dennoch kein gutes Zeichen – und um diese Entwicklungen nachvollziehen zu können, eignet sich die Lektüre Horenis Buch.
Rassismus ist nicht erst seit der Özil-Affäre ein Thema
Dass Löw in all den Jahren nicht vor Kritik gefeit war, unterstreicht Horeni mit Rückgriff auf die beiden Halbfinal-Niederlagen bei den Europameisterschaften 2012 und 2016, als der Bundestrainer den siegreichen Mannschaften nicht gratulierte, bei unangenehmen Tätigkeiten gefilmt wurde oder zwischenzeitlich auch mal zu schnell mit dem Auto unterwegs war. Die wahre Stärke des Buchs liegt allerdings darin, dass Horeni aufzeigt, dass die problematischen Aspekte rund um die Nationalmannschaft bereits seit langer Zeit schwelten.
Die unsägliche Hymnen-Diskussion gab es bereits 2012, befeuert durch Politiker der CDU. Lange Zeit hielt sich auch hartnäckig der Begriff “Schwulencombo”, geprägt von einem Berater von Michael Ballack, rund um den DFB. Zur Erinnerung: Thomas Hitzlsperger ist bis dato der einzige ehemalige Nationalspieler, der offen zugab, homosexuell zu sein.
Vor dem Hintergrund der Özil-Affäre im Sommer (2018), die Horeni natürlich nicht vorhersehen konnte, werden aber die rassistischen Untertöne im Schlepptau der Diskussionen um die Nationalmannschaft immer deutlicher. “Offen rassistische Haltungen gegenüber einer multikulturellen Nationalmannschaft” waren laut Autor bereits 2010 offenkundig geworden. 2017 unternahm ein AfD-Fritze dann den nächsten Versuch, offenen Rassismus in Bezug auf Nationalspieler salonfähig zu machen.
Kaufen oder nicht?
Der Kauf des Buches lohnt sich für diejenigen Fußballfans, die sich dafür interessieren, wie ein Reporter über mehrere Jahre die Nationalmannschaft wahrnimmt – bahnbrechende Neuigkeiten finden sich nicht, was allerdings auch nicht dramatisch ist. Es gibt ansonsten nur ein Buch, das sich dem Themenkomplex in dieser Ausführlichkeit widmet: “Der vierte Stern: wie sich der deutsche Fußball neu erfand” von Raphael Honigstein. Wenn man mit nüchterner Distanz auf die Entwicklung des DFB schaut, erscheinen manche Passagen in Horenis Buch hingegen ein wenig zu positiv – als Überblickswerk und Anthologie der relevanten DFB-Geschichten seit 2004 eignet es sich dennoch gut.
Das Buch erschien in der Reihe “Gebrauchsanweisung für …” des Piper-Verlags und ist unter anderem für 15 € hier erhältlich.