Frank Steffan, der Kölner Autor, Verleger und Filmemacher, hat in den letzten Jahren mit seinen Film- und Buchprojekten zum effzeh-Super-Techniker Heinz Flohe und zur erfolgreichen Double-Saison 1977/78 große Erfolge erzielt, die auch überregional deutlich wahrgenommen wurden. In den Jahren 2015 und 2018 belegte er mit seinen Dokumentarfilmen beim Fußballfilmfestival 11mm in Berlin jeweils die ersten Plätze („Heinz Flohe – Der mit dem Ball tanzte“, bester Film national / „Das Double 1977/78“ bester Film international).
In beiden Fällen konnte er sich gegen starke nationale und internationale Konkurrenz durchsetzen. Nun hat er sich ein neues Projekt vorgenommen, welches ein fast vergessenes Thema erstmalig wieder in den Mittelpunkt rückt: Die Zeit des 1. FC Köln in der legendären Kölner Radrennbahn, in die der Club von 1971 bis 1975 während des Neubaus des Müngersdorfer Stadions ausweichen musste. Im effzeh.com-Interview äußert sich Steffan nun zu seiner Idee und startet gleichzeitig einen Aufruf.
Frank Steffan, nach den beiden erfolgreichen Filmen nebst den Büchern dazu steht jetzt ein neues Projekt steht an. Wieder steht die FC-Historie im Mittelpunkt, stimmt’s?
Ja, richtig. Ende Oktober soll ein Buch über die Radrennbahn-Zeit des 1. FC Köln erscheinen. Titel: Mythos Radrennbahn. Es ist das erste Mal, dass diese Zeit dokumentiert wird. Da ich diese Zeit als Jugendlicher selbst erlebt habe, ist es mir ungemein wichtig, dass das passiert.
Gerade die älteren effzeh-Fans reden über diese Phase unseres Vereins tatsächlich von einem Mythos. Was war denn so besonders an der Radrennbahn?
Alles! Die Atmosphäre, die Größe, die damalige Mannschaft, die allgemeine Situation. Es war ein permanenter Ausnahmezustand.
“Die Radrennbahn war ein Provisorium. Aber wie das in Köln so ist: Man bekam es nicht hin. Der FC musste wesentlich länger in der Radrennbahn bleiben – bis Ende 1975!”
Wie stellte sich denn die allgemeine Situation zu dieser Zeit dar?
Die Radrennbahn war ein Provisorium. Die Stadt Köln bewarb sich als Austragungsort für die WM 1974 in Deutschland. Man riss die alte Hauptkampfbahn in Müngersdorf ab, um ein neues Stadion an gleicher Stelle hinzusetzen. Deshalb musste der FC 1971 in die provisorisch Bundesliga-tauglich gemachte Radrennbahn umziehen. Das sollte höchstens zwei Jahre dauern. Aber wie das in Köln so ist: Man bekam es nicht hin. Der FC musste wesentlich länger in der Radrennbahn bleiben, geschlagene vier beziehungsweise fünf Jahre, bis Ende 1975, also anderthalb Jahre nach der WM. Erst dann war das neue Stadion fertig. Das bedeutete für den FC enorme Verluste, denn die Radrennbahn fasste nur 28.000 Zuschauer. Die Zuschauereinnahmen bildeten damals 90 Prozent der Gesamteinnahmen eines Fußballclubs. TV-Gelder, Sponsoren, Merchandising etc. gab es damals noch nicht.
Also erst einmal ein riesiger Nachteil. Wie schaffte es der effzeh denn, das wirtschaftlich zu lösen?
Der FC hatte eine hochkarätig besetzte Truppe. Weltstars wie Wolfgang Overath und Heinz Flohe, Nationalspieler wie Wolfgang Weber, Bernd Cullmann oder Hannes Löhr, Topspieler wie Gerhard Welz im Tor, Herbert Hein oder Heinz Simmet. Diese Leute waren einverstanden, dass sie während der Radrennbahnzeit auf Teile ihres Gehalts verzichteten! Karl-Heinz Thielen war damals der Manager und bekam das hin. Eine unglaubliche Leistung. Das zeigt aber auch, was das damals für bodenständige Typen waren, die beim FC spielten. Geld war für die nicht alles. Die Mannschaft blieb also zusammen, nach heutigen Maßstäben unvorstellbar. Nur Jupp Kapellmann wurde an die Bayern verkauft, für die seinerzeit extrem hohe Summe von 800.000 DM. Aber erst, nachdem er zwei Jahre in der Radrennbahn außerordentlich gute Spiele gezeigt hatte.
Wie kam es denn zum „Mythos“, das wird ja eher sportlich zu begründen sein?
Der FC hat dort einfach unfassbare Spiele abgeliefert, man spielte extrem dominant, geradezu wild, aber mit einer unglaublich hohen Qualität. Das wirkte sich auch auf die Bilanz aus, die war grandios! Es gab dort insgesamt 106 Pflichtspiele. Bundesliga, DFB-Pokal und UEFA-Cup. Davon gewann der FC 79. Es gab insgesamt in den fünf Jahren nur 13 Niederlagen, wobei einige davon äußerst unglücklich waren. Der Untertitel des Buches heißt:“ Als bei den Heimspielen des 1. FC Köln der Rasen brannte“. Der brannte damals wirklich, das kann man fast wörtlich nehmen. Der Funke sprang eben über, vom Publikum direkt auf das Team … und wenn diese hochveranlagte Truppe einmal ins Rollen kam, dann sah jede Mannschaft der Welt dort schlecht aus. Der FC schoss damals wirklich quasi jeden Gegner aus diesem provisorischen Stadion, auch die großen Kaliber. Die Gegner hatten daher eine Heidenangst vor der Radrennbahn.
Viele Spiele aus dieser Zeit sind heute legendär. Zurecht?
Kann man wohl sagen. Die absoluten Highlights sind die Spiele im DFB-Pokal gegen Bayern München, die man nach einem 0:3 im Hinspiel in der Radrennbahn mit 5:1 deklassierte. Ein unglaubliches Spiel. Es gab auch einen unfassbar souverän herausgespielten Bundesliga-Sieg über die Bayern, als der FC denen gleich vier Dinger einschenkte. Flohe und Overath haben Beckenbauer und Co. – wohlgemerkt zu deren Hochzeiten – regelrecht ausgetanzt, sie lächerlich gemacht. Unvergessen der doppelte Doppelpass zwischen den beiden, den Overath vollendete. Dann gab es natürlich die UEFA-Cup-Spiele gegen Marseille, Nizza, Amsterdam, Belgrad und viele mehr. Alles extrem hohe und souveräne Siege. Marseille beispielweise hatte das Hinspiel 2:0 gewonnen, der effzeh schickte sie nach einer 6:0-Gala in der alten Bretterbude nach Hause. Übrigens: Da waren in der Aufzählung jetzt sehr viele Flutlichtspiele dabei, da wurde aus dem Stadion der berüchtigte Hexenkessel. Es brodelte und kochte, was die Mannschaft zusätzlich angestachelt hat.
Gute Vorlage! Wie war die Radrennbahn denn allgemein beschaffen, wie kann man sich das vorstellen?
Es war absolut karg. Es gab keine VIP-Plätze, geschweige denn VIP-Logen, die besten Plätze waren auf der kleinen Tribüne auf der Westseite. Ansonsten saß man nur auf der Holztribüne im Westen im Trockenen. Es gab Würstchen und Bier, das war es. Ansonsten keinerlei Luxus, man saß auf Holzbänken oder stand sich die Beine im Matsch in den Bauch. Wer in die Radrennbahn kam, der wollte Fußball sehen und keinen Event, so wie heute. Und Fußball bekamen sie, weil diese Mannschaft das Vermögen hatte, den Funken auf die Zuschauer überspringen zu lassen, die standen ja direkt am Spielgeschehen. Sie waren ja ganz nah dran, konnten den Spielern beim Einwurf auf die Schultern klopfen. Die Wechselwirkung zwischen Publikum und Mannschaft war einmalig, vielleicht war das auch der Grund für diese so erfolgreiche und vor allem wunderbar kreative Phase.
Stellt sich natürlich die Frage, warum der effzeh in dieser Zeit keine Titel holte?
Nun ja, die Mannschaft war zwar in der Lage, in einzelnen Spielen wahre Kunstwerke in der Radrennbahn zu schaffen, auswärts aber fehlte schlicht die Konstanz. Vielleicht fehlte auch eben genau dieser in der Radrennbahn so antreibende Ansporn. Was auch immer es war, aber es war halt typisch für den Verein, das man nach einer Heimgala die Woche darauf in Wuppertal oder Oberhausen sich eine überflüssige Niederlage einfing. Hennes Weisweiler hat das erst später in den Griff bekommen und viele Spieler aus der Radrennbahn-Zeit feierten 1978 das Double. Die Mannschaft spielte trotz ihrer hohen Qualität nicht mehr diesen überbordenden Hurra-Fußball aus der Radrennbahn-Ära, hatte aber deutlich an Konstanz gewonnen.
“Ich bitte jeden, der das damals live erlebt hat, sich zu melden. Jede noch so scheinbar unbedeutende Randanekdote ist es wert, aufgezeichnet zu werden.”
Zurück zur Radrennbahn. Wie kann man diese eben beschriebene, faszinierende Atmosphäre im Buch rüber bekommen?
Indem ich versuchen werde, wirklich alle noch lebenden Akteure, vor allem ehemalige FC-Spieler, zu interviewen. Aber auch ganz normale Fans sollen unbedingt zu Wort kommen. Ich bitte jeden, der das damals live erlebt hat, sich zu melden. Jede noch so scheinbar unbedeutende Randanekdote ist es wert, aufgezeichnet zu werden. Ich suche darüber hinaus händeringend nach privaten Fotos aus der Radrennbahn oder auf dem Weg dorthin. Alles ist wichtig. Bitte meldet Euch!
Nun gibt es hier bei effzeh.com wesentlich mehr junge als alte FC-Fans.
Ja, klar. Aber vielleicht kennt jemand einen alten FC-Fan, der von der Radrennbahn erzählt hat. Haut ihn an! Gebt mir die Adresse beziehungsweise Telefonnummer!
Wird es auch einen Film geben?
Voraussichtlich nicht. Beim Flohe-Film war es so, dass Heinz Flohe das Drehbuch durch sein Leben geschrieben hat. Beim Double-Film waren es die unglaublichen Ereignisse in dieser Saison, die das Drehbuch ausmachten. Bei der Radrennbahn ist es schwer eine tragfähige Filmgeschichte herzustellen. Für ein Buch ist es ideal, für einen Film eher nicht. Aber man weiß nie.
Was bedeutete Dir die Radrennbahn persönlich?
Sie war die geilste FC-Zeit. Man neigt dazu so was im nachhinein zu idealisieren, das ist klar, aber Fakt ist: Das subjektive Empfinden, dass der FC damals jeden Gegner 90 Minuten lang dominierte, manchmal fast zweistellige Ergebnisse erzielte, stimmt mit der Realität überein. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Ich war damals 13 Jahre alt, als es losging in der Radrennbahn – ich war 18 Jahre alt, als das letzte Spiel dort im März 1976 stattfand. Das sind die Jahre, in denen man geprägt wird. Es gibt den Spruch von „der Gnade der späten Geburt“, ich glaube, er kam von Helmut Kohl. Im Falle der Radrennbahn würde ich bei mir von „der Gnade der frühen Geburt“ sprechen. Ich bin froh, dass ich es live erlebt habe, bei fast jedem Spiel.
Das Buch erscheint Ende Oktober. Titel: Mythos Radrennbahn. A4, Hardcover, ca. 168 Seiten, vierfarbig. Verkaufspreis: 19,90 Euro. Vorbestellungen unter: edition-steffan.de/shop/, fortlaufende Infos zum Stand der Dinge: facebook.com/mythos.radrennbahn/