Hat sich Bayer Leverkusen eigentlich irgendwann noch einmal bei Ihnen gemeldet?
Ja, Wochen später. Mehr oder weniger im Vorübergehen traf ich Michael Reschke wieder. Er wollte wissen, ob ich jetzt nun bei Bayer anfangen würde oder nicht. Ich habe ihm dann gesagt, dass ich vergeblich auf den Anruf von Reiner Calmund gewartet hatte und inzwischen zum 1. FC Köln gewechselt war. Mit den Worten: „Aber Du wolltest doch zu uns kommen. Der Calli wollte Dich doch anrufen!“, drückte er sein Unverständnis aus. Ich versicherte ihm, dass er bis heute nicht angerufen hatte. „Ja, dann weiß ich auch nicht“, sagte Reschke und ging kopfschüttelnd weiter.
Sie waren dann 15 Monate für den 1.FC Köln tätig. Wie war die Nachwuchsabteilung des FC damals personell aufgestellt?
Zunächst war da der Jugendcheftrainer Christoph Daum, der auch die A-Jugend betreute und diese beiden Tätigkeiten ungemein engagiert, mit großem Fleiß und hoher Kompetenz versah. Die B-Jugend trainierte damals Roland Koch, den ich als einen herausragenden Fachmann, Analytiker und sehr sympathischen Typ kennengelernt habe. Jürgen Jores war Trainer der C-Jugend, Frank Schaefer, dessen Talent, Spieler und Mannschaften zu formen und zu motivieren, damals schon durchschimmerte, trainierte die E-Jugend.
Wie sah Ihr Tätigkeitsbereich in der Nachwuchsabteilung aus?
Zum einen habe ich damals Aufgaben im Bereich der Organisation übernommen. So lag beim ersten GeißbockCup, den ich zusammen mit Christoph Daum als großes Nachwuchsturnier für E- und F-Jugendteams ins Leben gerufen habe, die Organisation in meinen Händen. Der GeißbockCup ist seitdem zu einer festen Institution geworden und muss in diesem Jahr leider – coronabedingt – zum ersten Mal seit 1983 ausfallen. Zudem zeichnete ich verantwortlich für die Idee und das Konzept des Jugend-Echo, einer Zeitschrift der Fußballjugend des 1. FC Köln. Ich habe dafür Werbekunden geworben, die Anzeigen geschaltet haben, und die Zeitschrift redaktionell betreut. Allerdings bin ich in der ersten Ausgabe nicht als Redakteur aufgeführt, weil ich zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung den Verein schon wieder verlassen hatte. Der eindeutige Schwerpunkt meiner Tätigkeit war aber das Scouting von Nachwuchsspielern.
Dieses Scouting von Nachwuchsspielern in den Jahren 1982 und 1983 wird sich sicherlich fundamental unterschieden haben von der Arbeit der Scouting-Abteilungen der Bundesligaclubs heute mit ihren riesigen Datenbänken und dem schier unendlichen Videomaterial zu allen möglichen interessanten Spielern. Wie sind Sie das Sichten von Nachwuchstalenten damals angegangen?
Diese technischen Innovationen hatte man damals natürlich noch nicht zur Verfügung, beim FC haben wir stattdessen auf Manpower gesetzt. So sind wir beispielsweise zum Jugendländerpokal 1983 in Duisburg-Wedau mit neun Mitarbeitern gereist. Mit dabei waren Christoph Daum, Roland Koch, Jürgen Jores, Frank Schaefer, Erich Rutemöller, Bernd Steegmann, Manfred Rehm, Richard Nestvogel und ich. Wir teilten uns so auf, dass jeder jede Mannschaft mindestens einmal gesehen hatte. Die Eindrücke hielten wir auf einem beidseitig bedruckten Scoutingblatt fest, das unter anderem Kategorien wie Schnelligkeit, Ballan- und -mitnahme, Antizipation, Dribbling und Zweikampfverhalten umfasste. Abends legten wir die Bögen dann nebeneinander und diskutierten die Ergebnisse. Wenn zum Beispiel bei der Westfalenauswahl ein Spieler von sechs verschiedenen Mitarbeitern als interessant erachtet wurde, wussten wir, dass wir dieses Talent genauer in den Blick nehmen mussten. So sind wir bei diesem Länderpokal auch auf Thomas Häßler aufmerksam geworden.
Er war einer der auffälligsten Spieler des Turniers, und wir waren alle einer Meinung, dass er jemand war, um den wir uns ganz, ganz intensiv – und vor allem ganz, ganz schnell – kümmern mussten, da auch andere Bundesligisten ein Auge auf ihn geworfen hatten. Das Problem war, dass Häßler von dem Berliner Verbandstrainer regelrecht bewacht wurde, so dass man ihn nicht einfach mal ansprechen konnte. Das erforderte kreative Methoden der Kontaktaufnahme.
Wie kreativ mussten Sie in seinem Fall sein?
Schon ziemlich kreativ! (lacht) Wie die anderen Auswahlmannschaften waren auch die Berliner in dem sechseckigen Wohnturm in der Sportschule Wedau untergebracht. Was wir jedoch nicht wussten, war, auf welcher Etage sie wohnten, und wir kannten auch nicht Häßlers Zimmernummer. Nun, ich war damals jung und auch ein bisschen verrückt, und so bin ich in den Wohnturm ‘rein und bin Aufzug gefahren. Rauf und runter, rauf und runter, bis schließlich ein Spieler im Trainingsanzug der Berliner Auswahl die Kabine betrat. Er nannte mir auf meine Frage hin die Etage, auf der die Berliner wohnten, dann fragte ich ihn: „Ich muss mal zum Thomas, weißt Du vielleicht seine Zimmernummer?“ Auch damit konnte er dienen, der Zufall wollte es, dass er im Zimmer nebenan wohnte.
Ich fuhr in die angegebene Etage, fand die entsprechende Zimmernummer und klopfte an. „Herein“, erklang es von innen. Als ich die Tür öffnete, sah ich Thomas Häßler vorne auf der Spitze seines Bettes sitzen. Ich nannte meinen Namen und ging weiter in das Zimmer ‘rein. In dem Moment, als ich sagen wollte, dass ich vom 1. FC Köln komme, sah ich den Berliner Verbandstrainer, der hinter Häßler saß. Ich disponierte schnell um und sagte: „Ich gebe eine Jugendfußballzeitschrift heraus und mache Interviews mit einigen Spielern hier. Ich wollte Dich fragen, Thomas, ob Du nachher ein paar Minuten Zeit hast für ein kleines Interview.“ Der Verbandstrainer sah mich komisch an, Häßler aber sagte zu, er wolle in fünf Minuten ‘runterkommen.
Daum fragte: “Hast Du Lust, zum 1. FC Köln zu kommen?“ Thomas Häßler antwortete: „Ja.“
Ich verließ den Wohnturm, informierte noch schnell Christoph Daum und wartete dann auf Häßler, der wenig später kam. Ich dirigierte ihn zu Daums Dienstwagen, einen Passat Kombi, Thomas Häßler nahm auf dem Beifahrersitz Platz, ich setzte mich auf den Rücksitz. Anschließend stellte ich Christoph Daum als Jugendcheftrainer des 1. FC Köln vor und sagte: „Wir wollten Dich mal ‘was fragen.“ Häßler sagte, dass er sich das fast schon gedacht hatte. Dann ergriff Christoph Daum das Wort: „Ich will nicht lange um den heißen Brei ‘rumreden: Hast Du Lust, zum 1. FC Köln zu kommen?“ Thomas Häßler antwortete: „Ja.“ Christoph Daum war ganz erstaunt und fragte, ob er denn keine Fragen hätte. Thomas Häßler: „Nö.“
Und damit war die Verpflichtung perfekt?
Wir haben uns dann noch ein bisschen ausgetauscht, Daum bat Häßler, seine Eltern anzurufen und ihnen zu sagen, sie sollten am Wochenende auf Kosten des FC mit dem Flugzeug nach Köln kommen, um alles weitere zu besprechen. Am darauffolgenden Samstag trafen die Eltern pünktlich im Geißbockheim ein mit Sascha, Thomas‘ jüngeren Bruder, der Jahre später auch vom FC verpflichtet wurde, und dann ist das ein Deal geworden. Das hatte allerdings noch ein Nachspiel. Einen Monat später bekam der 1. FC Köln ein Schreiben vom Westdeutschen Fußballverband, in dem ausgeführt wurde, dass sich im Zusammenhang mit dem Jugendländerpokal ein Verband beschwert hätte, es sei zu gewissen Vorkommnissen unter Beteiligung des 1. FC Köln gekommen. Deshalb hätte der Mitarbeiter Ralf Maes ab sofort Hausverbot in der Sportschule Wedau.
Christoph Daum war darüber alles andere als erbaut und sagte, man müsse mal gucken, was da zu machen sei, das wäre ja Mist, wenn ich zukünftig nicht mehr dort scouten könne. Rechtsanwalt Bernd Schäfer III setzte dann ein Schreiben an den WFV auf nach dem Motto, wieso denn Hausverbot, man könne sich das gar nicht vorstellen, was da überhaupt passiert wäre? Der WFV hat darauf meines Wissens nie geantwortet, musste das aus seiner Sicht auch gar nicht tun, da er lediglich das Hausrecht in der Sportschule Wedau ausübte. Andererseits war uns allen klar, dass es nur um die Häßler-Geschichte gegangen sein konnte, weswegen der Berliner Verbandstrainer wahrscheinlich im Sechseck getanzt hatte. Ich bin seither jedenfalls nie mehr in Wedau gewesen.