Die Sonne war bereits untergegangen, vom nahen Atlantik wehte eine leichte Abendbrise und mischte sich mit der Wärme des Tages. Der Sommer ging in die Verlängerung und bescherte der Stadt am Rio Tejo Temperaturen bis nah an die 30-Grad-Marke. Auf der Aussichtsplattform des Elevador de Santa Justa hatte sich ein junges Touristenpaar eingefunden, um sich vom grandiosen Lichtermeer Lissabons faszinieren zu lassen. Ihr Blick streifte das hell erleuchtete Castelo de São Jorge, den Praça do Rossio mit der Bronzestatue von Pedro IV und schließlich in weiterer Entfernung den berühmtesten Platz der portugiesischen Metropole, den Praça do Comércio. Dort war mit der Trunkwara-Arena ein spektakuläres Kunstrasenstadion errichtet worden, das sich durch sein lichtstarkes Flutlicht deutlich vom Dunkel der Nacht abhob. Es war der 29. September 2018, und dort lief das Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft.
Deutschland – Weltmeister im Kleinfeldfußball 2018
FIFA-Schiedsrichter Mark Clattenburg schaute auf seine Uhr. In wenigen Sekunden würde er das Finale abpfeifen. Deutschland führte mit 1:0, die favorisierten Polen berannten das deutsche Tor, das Team von Trainer Malte Froehlich verteidigte den knappen Vorsprung mit sehr viel Herz und taktischer Konsequenz, das Spiel war hart umkämpft. Trotzdem hatte Clattenburg die Partie gut im Griff, seine Erfahrung aus unzähligen großen Partien zahlte sich aus. Zwei Jahre zuvor hatte er nicht nur das Champions-League-Finale zwischen Real und Atlético Madrid geleitet, sondern auch das Endspiel der Europameisterschaft zwischen Frankreich und Portugal. Ein letzter verzweifelter Angriff auf das deutsche Tor verpuffte, dann beendete Clattenburgs Pfiff die Partie. Deutschland war Weltmeister!
Spieler, Trainer, Offizielle und Betreuer wurden von ihren Glücksgefühlen schier übermannt, sie umarmten sich, hüpften, lachten und vergossen Freudentränen. Der Pokal gehörte ihnen, sie hatten sich durchgesetzt gegen vermeintlich übermächtige Gegner mit ungleich größerer Erfahrung im Kleinfeldfußball als ihre deutschen Kontrahenten, hatten dies geschafft mit ihrem Teamgeist, ihrer Freude am Spiel und einem unbändigen Siegeswillen. Wenig später war alles angerichtet für die Siegerehrung. Ein goldener Lametta-Regen ging auf das Team nieder, als Mannschaftskapitän Tigin Yaglioglu die Trophäe hochstemmte und seine Freude in den Nachthimmel über Lissabon schrie. Unverzüglich taten es ihm seine elf Mannschaftskollegen nach. Yaglioglu reichte den Pokal an den Spieler mit der Rückennummer 5 weiter, der durch sein Tor in der letzten Sekunde des Achtelfinales gegen Slowenien den Weg ins Finale geebnet hat.
Kleinfeldfußball, der Sport ohne Geld und ohne Prämien, der Kick beim Kicken, das Spiel aus Spaß an der Freude mit Mannschaftskollegen, die zu Freunden geworden waren.
Jerome Assauer war glücklich, auch wenn er nach jedem Spiel hier die unvermeidlichen Schmerzen mit Tabletten bekämpfen musste. Er dachte daran, wie alles angefangen hatte. Wie viel Spaß hatte er gehabt auf den Bolzplätzen seiner Kindheit, als er dem runden Leder aus purer Freude am Spiel hinterhergejagt war, als das Leben einfach und nichts wichtiger war als der Ball, der Bolzplatz und die Freunde. Dieses Gefühl hatte ihm der Kleinfeldfußball wiedergegeben, das rasante, intensive Spiel mit fünf Feldspielern und einem Torwart pro Team auf einem Spielfeld, das 45 mal 25 Meter misst. Den Fußball ohne Geld und ohne Prämien, den Kick beim Kicken, das Spiel aus Spaß an der Freude mit Mannschaftskollegen, die zu Freunden geworden waren. Ein ohrenbetäubender Knall bereitete seinen Gedanken ein abruptes Ende. Jerome Assauer schaute nach oben und sah, wie die ersten Raketen eines Feuerwerks farbenfrohe Muster in den Lissaboner Nachthimmel zeichneten.
Auch auf der Aussichtsplattform des Elevador de Santa Justa war das bunte Spektakel zu sehen. Das junge Touristenpaar war nicht mehr allein, rund ein Dutzend Schaulustige hatte sich zu ihnen gesellt. Sie fragten sich, was der Anlass für die bunten Raketen war, die im prächtigen Funkenregen am Himmel zerplatzen, und wussten nicht, dass dies das Feuerwerk war zu Ehren des neuen Weltmeisters im Kleinfeldfußball, für das zwölfköpfige Team um Tigin Yaglioglu, Dominic Reinold, Niklas Kühle, den Siegtorschützen, und Jerome Assauer.
Auf Torejagd in der Jugend der Gladbacher Borussia und des 1. FC Köln