Wirkliche Größe von Menschen zeigt sich vor allem dann, wenn sie willens und in der Lage sind ebenso starke Persönlichkeiten neben sich nicht nur zu dulden, sondern deren Nähe zu suchen. Im Falle von Weisweiler sollte das ein besonders delikater Fall werden. Thielen, damals nicht mal 40 Jahre alt, bekam es mit einem dominanten Welttrainer zu tun, der es gewohnt war, dass jeder nach seiner Pfeife tanzte. Da sich zudem alsbald herausstellte, dass Weisweiler an seinem Stuhl sägte, galt es für klare Verhältnisse zu sorgen. Thielen schaffte dieses Kunststück in der für ihn typischen Art. Sehr souverän, unaufgeregt, mit klaren Worten, stellte er den großen Meister zur Rede und machte ihm klar, dass es nur einen Weg gibt: sich zu arrangieren.
Doublegewinn 1978: Der 1. FC Köln auf dem Zenit seiner Bedeutung
Weisweiler wusste fortan woran er ist, mit wem er es zu tun hat und lenkte ein, was ebenso als Zeichen von Größe gewertet werden kann. Das Ergebnis ist bekannt: 1977 holte der FC den DFB-Pokal und 1978 wurde das glorreiche Double gewonnen. Der FC stand auf dem Zenit seiner Bedeutung. Es hätte durchaus noch weitergehen können, zum Beispiel indem man 1979 den Europapokal gewonnen hätte, aber das sollte nicht sein. Thielen hatte unter anderem durch seine Transfers Maßstäbe gesetzt, nicht nur durch blanke Zahlen. Zwar knackte er als erster die Millionengrenze mit der Verpflichtung des Belgiers Roger van Gool, doch seine „kleinen“ Transfers bewirkten noch wesentlich mehr. Angefangen bei Dieter Müller 1973 bis hin zu Pierre Littbarski und Bernd Schuster, die für minimale Beträge nach Köln wechselten und zu Weltstars wurden.
1981 entschied sich Thielen seine Managertätigkeit beim FC zu beenden. Er konzentrierte sich fortan darauf seine Tätigkeit als Bezirksleiter bei Nordwestlotto auszufüllen. Das Fußballbusiness erschien ihm auf Dauer zu vage, zumal man seine finanziellen Vorstellungen nicht hinreichend erfüllen konnte/wollte. Er blieb dennoch im Vorstand des 1. FC Köln, wurde Vizepräsident und Schatzmeister. In dieser Funktion erlebte er den letzten Titelgewinn 1983, als der DFB-Pokal zum vierten Mal in den Trophäenschrank des Vereinsheims gestellt wurde.
Wie unglaublich schnell gewonnene Substanz wieder verschleudert werden kann, erlebte der FC spätestens Anfang der 90er Jahre, als das Abstiegsgespenst zum ständigen Gast am Geißbockheim wurde. In höchster Not ließ sich Thielen 1992 noch einmal breitschlagen, machte den Krisenmanager und holte Morten Olsen als Trainer. Wieder bewies der Mann seine Kompetenz und wieder agierte er mit Fortune. Der FC vermied 1993 den Abstieg und Thielen stellte zum letzten Mal die Weichen auf Erfolg. Alleine seine Verpflichtung des Ausnahmestürmers Toni Polster verschob den ersten Abstieg des einstmals ruhmreichen 1. FC Köln um glatte fünf Jahre. Ohne die Tore des österreichischen Publikumslieblings wären die “Geißböcke” bereits 1994 unweigerlich in der 2. Bundesliga gelandet.
Auf einer Stufe mit Kremer und Weisweiler
Dies alles und noch einiges mehr dokumentiert die Wirkkraft des Karl-Heinz Thielen für den 1. FC Köln. Es ist die große Breite seines Wirkens, die ihn so bedeutsam, vielleicht sogar einzigartig macht und somit auf eine Stufe mit Franz Kremer und Hennes Weisweiler stellt. Nun wird er also 80 Jahre alt und wirkt wie ein 60 Jahre alter Staatsmann. Er hat sich trotz des Alters eine gewisse Jugendlichkeit erhalten können, sein Geist ist hellwach, seine Urteilsfähigkeit ungebrochen. Thielen war stets seine eigene Marke, an deren Design er konsequent gearbeitet hat: unverwechselbar, eigensinnig und mit einem verschmitzten Humor. Er ist ein Ausnahmefall, keine Frage.
Ich hatte das Vergnügen mit ihm 2018 mehrere Tage ununterbrochen zusammen zu sein. Wir fuhren nach Berlin zum 11mm-Filmfestival, wo der Film „Das Double – Eine Zeitreise mit dem 1. FC Köln“ erstmals vorgeführt wurde. Man hat sich während dieser Tage über Fußball unterhalten, ja natürlich, aber mindestens genau so viel Raum nahmen ganz andere Themen ein. Mit Karl-Heinz Thielen kann man sich tagelang über alles Mögliche fundiert unterhalten, ohne jemals den Eindruck zu bekommen, dass hier jemand nur oberflächlich informiert ist, seine Bandbreite ist nicht nur für jemanden aus dem Fußballbereich ausgesprochen bemerkenswert.
Es hat sich bei uns so ergeben, dass er mich duzt und ich ihn sieze. Ich möchte ihn auch weiterhin siezen, weil er für mich als Jugendlicher der „große Karl-Heinz Thielen“ war, der den FC einzigartig managte. Dass ich zu dieser Respektsperson überhaupt diese Nähe erreichen konnte, ehrt mich und deshalb ist das „Sie“ für mich selbstverständlich und sein „Du“ mir gegenüber eine Ehre. Und auch ich habe ihm Erfolg zu verdanken. Seine wunderbare Art über die größte Zeit des 1. FC Köln auch vor großem Publikum erzählen zu können, hat entscheidend mitbewirkt, dass das „Double“ in Berlin zur „besten internationalen Produktion“ gewählt wurde. Danke, auch auf diesem Weg noch einmal! Bis zum nächsten runden Geburtstag!
Über den Autor: Der Kölner Autor, Verleger und Filmemacher Frank Steffan gilt als einer der intimsten Kenner der ruhmreichen Geschichte des 1. FC Köln. Zuletzt veröffentlichte er in seinem Verlag “Edition Steffan” das äußerst lesenswerte Buch “Mythos Radrennbahn”, das die beeindruckende Zeit der “Geißböcke” in der provisorischen Heimat in den 70er Jahren rekapituliert. Zuvor sorgte Steffan mit seinen Dokumentationen über den Doublegewinn des 1. FC Köln 1978 sowie über das Leben der viel zu früh verstorbenen FC-Legende Heinz Flohe für Furore.