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Jonas Hector: Die unermüdliche Antithese

Jonas Hector bleibt dem 1. FC Köln erhalten: Warum der Nationalspieler ein ganz besonderer Fußballer und Mensch ist, haben wir bereits im vergangenen Sommer versucht zu erklären.

Foto: Nortbert Schmidt /AFP/Getty Images

Jonas Hector bleibt dem 1. FC Köln erhalten: Warum der Nationalspieler ein ganz besonderer Fußballer und Mensch ist, haben wir bereits im vergangenen Sommer versucht zu erklären.

Wir befinden uns im Jahre 2018 nach Christus. Die ganze Fußball-Welt ist von kruden Beratern, profitorientierten Stars und scheinewerfenden Chinesen besetzt. Die ganze Fußballwelt? Nein! In einem von unbeugsamen Karnevalisten besetzten Dorf scheint ein einzelner Spieler wortlosen Widerstand zu leisten gegen die Mühlen des Geschäfts. Es ist Jonas Hector, die Antithese. Ein Nationalspieler, der mit seinem Verein auch in die zweite Liga geht, obwohl es kein Problem gewesen wäre, zu wechseln. Die folgenden Worte stammen aus dem vergangenen Sommer, haben aber nichts an ihrer Gültigkeit verloren. Ganz im Gegenteil: Hectors Status als angehende Vereinslegende hat sich sogar noch einmal rapide verbessert.

Hinweis: Die folgenden Textpassagen wurden in dieser Form in einem Text im Juni 2017 veröffentlicht.

Modeste, Modeste, Anthony Modeste. Im momentan eigentlich so ruhigen Umfeld rund ums ehrwürdige Geißbockheim gab es zuletzt kaum andere Themen als den Vertragspoker des Goalgetters. Im Winter waren es 50 Millionen Euro, die aus China geboten wurden, nun im Sommer sollen es 35 Millionen gewesen sein. Sieht man einmal vom etwas überraschenden Abbruch der Verhandlungen ab, steht die Posse rund um den französischen Angreifer für so vieles, was den Weltfußball im Jahre 2017 charakterisiert.

>>>Jonas Hector bleibt beim 1. FC Köln: Neuer Vertrag bis 2023

Stürmer, Berater und Chinesen: Der ganz normale Wahnsinn

Da wäre zum einen der Stürmerstar, der nach einer torreichen und überaus erfolgreichen Saison Wechselgedanken hegt. Schon tausendmal in anderen Vereinen erlebt. Zum anderen blicken Fans kopfschüttelnd auf die Berater des Stürmerstars, die aberwitzige Beträge für ihr eigenes Konto aufrufen, wobei kein Außenstehender (und wahrscheinlich auch kaum ein Geschäftsführer der Vereine) versteht, worin deren Arbeit überhaupt bestehen soll. Ebenfalls seit Jahren ein ganz selbstverständlicher Teil des Geschäfts.

Foto: Patrick Stollarz /AFP/Getty Images

Und dann wäre da noch der finanzstarke Verein aus China. Ganz egal, wie er nun heißt, er lockt mit Beträgen, die immer surrealer erscheinen. Und das alles für Menschen, die eigentlich doch nur einen Ball ganz gut geradeaus kicken können. Auch das scheint mittlerweile Normalität im globalen Fußball. Dem Fußball, der aus Jungs, die in sterilen Leistungszentren hochgezüchtet wurden, in Windeseile berühmte Popstars macht. Dem Fußball, der in den obersten Etagen regiert wird von machteifernden und nicht selten korrupten Politikern.

Als Fan hat man sich an derartige Vorgänge wie die rund um Anthony Modeste schon längst gewöhnt. In Dortmund sieht die Posse um Pierre-Emerick Aubameyang nicht anders aus. Es ließen sich etliche weitere Vereine und Namen aufzählen, sodass sich der Eindruck auftut, dass man vielmehr stolz sein in Köln, dass es hier mittlerweile überhaupt Spieler gibt, die in solchen Diskussionen auftauchen.

Eiserne Regel: Gute WM sorgt für riesiges Interesse

Es gibt eine weitere Regel im modernen Weltsport Fußball: Spieler, die sich bei einer Europa- oder Weltmeisterschaft halbwegs vernünftig präsentieren, stehen mit einem Bein bereits im Kader eines Weltklubs. Eine Regel, die derzeit nicht so präsent ist, doch finden sich auch hier zahlreiche Beispiele.

Der Kolumbianer James, vor der Weltmeisterschaft 2014 noch ein Geheimtipp, unterschrieb nach einigen guten Auftritten umgehend bei Real Madrid. Dimitri Payet, Frankreichs gefeierter Star bei der EM 2016, wurde bei allen namhaften Vereinen der Welt gehandelt, musste nach langen und heftigen Streitigkeiten aber bei seinem alten Verein West Ham United bleiben. Nicht wenige scheiterten, weil die in sie geschürten Hoffnungen und Erwartungen, die drei oder vier gute WM-Spiele erweckten, vielleicht etwas zu viel waren. James Rodriguez ist das jüngste Beispiel.

Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images

Jonas Hector als Antithese

An dieser Stelle kommt Jonas Hector ins Spiel. Vielmehr huscht er vorbei, ganz unauffällig, stets höflich, wie immer. Er bildet die Antithese zu allen bislang hervorgehobenen Gesetzmäßigkeiten. Eine Antithese, die nicht mit erhobenem Zeigefinger lautstark auf die Missstände hindeutet, sondern in den eigenen Handlungen jegliche Regeln des Geschäfts durcheinanderwirft.

Immerhin war es jener Jonas Hector, der vor gut einem Jahr Gianluigi Buffon mit einem Elfmeter bezwang, Deutschlands Italien-Fluch auflöste und Die Mannschaft™ ins Halbfinale der Europameisterschaft 2016 schickte.

Da war es ganz egal, wie er vorher gespielt hatte, in derartigen Belangen agiert das Geschäft normalerweise nicht rational, solche Spieler werden zumeist mit großen Beträgen nach England, Spanien oder nun eben nach China gelockt. 2015 noch war Augsburgs Abdul Rahman Baba, ebenfalls Linksverteidiger, anders als Hector aber nicht Stammspieler beim amtierenden Weltmeister, für 25 Millionen Euro zum FC Chelsea gewechselt.

Hector ist der Dauerbrenner der deutschen Nationalmannschaft, er ist spielerisch intelligent und polyvalent, er war integraler Bestandteil der Mannschaft, die den 1. FC Köln nach einer halben Ewigkeit wieder gen Europa schoss, er spielt auf einer Position, auf der echte Weltstars und Mitstreiter auf internationalem, erst recht aber auf nationalem Parkett extrem rar sind.

Hectors Dementi im Schatten von Modeste und Cordoba

Eigentlich, so versprechen es die Erfahrungen der letzten Jahre, müssten die Interessenten bei Hector Schlange stehen und der Spieler selbst müsste Ambitionen anmelden, sich über einen Auslandswechsel Gedanken machen, versuchen einen höherdotierten Vertrag beim effzeh auszuhandeln oder Ähnliches.

Nichts dergleichen geschieht. Letztes Jahr soll der FC Barcelona angefragt haben, dieses Jahr der FC Chelsea und Paris Saint Germain. Viel größere Vereine gibt es nicht. Doch meistens kam von Hector schon ein Dementi, bevor das Gerücht überhaupt in der Zeitung stand.

Am gleichen Tag, an dem der effzeh die Modeste-Verhandlungen abbrach und für viel Geld Jhon Cordoba holte, wiegelte der derzeit international mit Abstand erfolgreichste Kölner Profi heimlich, still und leise alle Interessenten ab. Er sucht keine neue sportliche Herausforderung.

Es wirkt beinahe so, als wäre es diesem 27-Jährigen unangenehm, mit solchen Vereinen in Verbindung gebracht zu werden. Als wolle er nicht, dass in Köln irgendein falscher Eindruck aufkäme, dass er nicht wisse, wie viel er dem Verein zu verdanken hat.

Oberliga statt 100-Millionen-Deal

Mit 19 Jahren, einem Alter, in dem Leroy Sane für ungefähr 50 Millionen Euro zu Manchester City wechselte und Kylian Mbappé für mindestens das doppelte von Madrid bis Liverpool gehandelt wird, spielte Hector noch in der Oberliga.

Vielleicht ist das ja einer der Gründe dafür, dass der Student der Betriebswirtschaftslehre den Trends des globalen Fußballs entgegenläuft. Mittlerweile besteht der Großteil der deutschen Nationalmannschaft aus Spielern, die in Nachwuchsleistungszentren ausgebildet wurden, die schon in jüngsten Jahren ununterbrochen auf die Gesetze im Fußball-Business hin ausgebildet wurden. Auf und neben dem Feld.

Doch der unorthodoxe Einstieg ins Profigeschäft ist nicht die einzige Ursache dafür, dass Jonas Hector so etwas wie eine wandelnde Antithese darstellt. Sein zutiefst bodenständiger und bescheidener Charakter machen ihn zu einer Ausnahmeerscheinung in einer Glamour-Welt, die es erst möglich macht, dass sich ein Brüderpaar als Beraterteam aufspielt und dafür angeblich knapp 10 Millionen Euro aufruft.

Unermüdlich im Dienst für Löw

Schließlich handelt Hector noch gegen ein weiteres weit verbreitetes Phänomen. Während Deutschlands Handballer mitten während der Saison Weltmeisterschaften bestreiten müssen, bei denen es auch mal zwei Tage in Folge in höchst intensiven Spielen auf die Knochen gibt, beschweren sich die gut bezahlten Fußballer gerne über die unmenschliche Belastung, die Joachim Löw wohl auch dazu zwang, sein Alternativteam beim Confederations Cup aufzubieten.

Lediglich ein unangefochtener Stammspieler der normalen Nationalmannschaft rennt in Russland unermüdlich die linke Seite auf und ab, ohne einen Ton der Beschwerde. Ohne großes Aufsehen führt er der Fußball-Welt bei einem Event in Russland beinahe täglich vor Augen, dass es heutzutage auch noch anders gehen kann. Jonas Hector weiß, welch Glück und Privileg er als Spieler hat. Er ist sich seiner Wurzeln bewusst.

Solche Typen sind leider immer seltener geworden. Solche Typen werden in ihren Vereinen zu Legenden. Sowas will Hector wohl gar nicht hören, doch es sollte mal gesagt werden, weil eine derartige Haltung mittlerweile alles andere als selbstverständlich ist.

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