Während einer Fußball-WM wird viel über den Sport geschrieben und geredet – doch wie beurteilt man das aus sprachwissenschaftlicher Perspektive? Fußballlinguist Simon Meier hat uns dazu ein paar Fragen beantwortet.
Dr. Simon Meier beschäftigt sich wie kein anderer Mensch in Deutschland mit dem Zusammenhang zwischen Fußball und Sprache. Meier ist am Institut für Sprache und Kommunikation der Technischen Universität Berlin tätig, nebenbei betreibt er seit einiger Zeit den Blog fussballlinguistik.de. Zusammen mit seinen Kolleg_innen hat er Textsammlungen geschaffen, in denen verschiedene Texte der Gattungen in der Fußballberichterstattung zusammengefasst wurden. Dazu gehören Liveticker, Spielberichte und Taktikanalysen von Portalen wie dem SID, der Sportschau, dem Kicker oder Spielverlagerung. Die Sammlungen umfassen in etwa 32 Millionen Wörter. Auf Twitter findet man Simon Meier unter @fussballlinguist, die von ihm mit entwickelten und sehr empfehlenswerten Random-Liveticker (über die sprechen wir noch) finden sich unter @randomlivetext und @retrolivetext. Im Zuge der Fußball-WM haben wir Simon ein paar Fragen gestellt.
effzeh.com: Momentan läuft die Fußball-Weltmeisterschaft und dementsprechend werden viele, viele Wörter über diesen Sport produziert, egal ob mündlich oder schriftlich. Ist das eine besonders aufregende Zeit für dich, wenn “die schönste Nebensache der Welt” im Zentrum der Aufmerksamkeit steht?
Simon Meier: Große Turniere sind natürlich aufregend, weil der Fußball insgesamt und deshalb auch die Fußballsprache eine viel größere Aufmerksamkeit kriegen als sonst. Ich werde gerade z.B. vom Berliner Tagesspiegel und sogar von effzeh.com interviewt, was im normalen Ligabetrieb eher nicht vorkommt. In meiner Forschung interessiere ich mich aber vor allem für das Routinehafte in der Fußballsprache, das sich ewig Wiedeholende, und dafür eignet sich der Ligabetrieb fast noch besser.
Für diesen seelischen Müßiggang ist eine WM ganz wunderbar.
effzeh.com: Muss man als Wissenschaftler bei all diesem Irrsinn, der um Fußball herum geschaffen wird, nicht eigentlich mit dem Kopf schütteln? Haben wir nicht aktuell drängendere Probleme im Land?
Simon Meier: Jeder Mensch (und auch ein Wissenschaftler fällt hierunter) braucht Auszeiten. Das Gefühl, Dinge zu tun, die nicht wichtig sind oder zumindest als unwichtig gelten und die man trotzdem tut. Für diesen seelischen Müßiggang ist eine WM ganz wunderbar. Andererseits brechen die von dir genannten drängenderen Probleme auch in den Fußballdiskurs ein.
Simon Meier über die Özil-Gündogan-Debatte: “Rassistische Denkmuster”
Diese unsägliche Özil-Gündogan-Debatte, die zeigt, wie tief verankert rassistische Denkmuster leider immer noch sind, die aber zum Glück auch einen offenen Diskurs über eben diesen Rassismus anregt, berührt ja ein wirklich drängendes Problem. Hoffen wir, dass es mehr nützt als schadet.
effzeh.com: Worin liegt für dich das Faszinierende, wenn man sich mit Sprache und Fußball gleichermaßen so intensiv auseinandersetzt?
Simon Meier: Mich interessiert vor allem, dass die Fußballsprache einerseits so stereotyp und vorhersehbar ist, andererseits aber auch wieder sehr kreativ und abwechslungsreich. Für mich als Linguisten ist das ein dankbarer Gegenstand, weil wir uns sowieso oft für kommunikative Routinen interessieren und dafür, welche Funktionen gerade das Stereotype für eine Sprachgemeinschaft, in unserem Fall also die Fußballcommunity haben kann.
Fußballer-Sprache: Unzählige Synonyme für das Verb “schießen”
effzeh.com: Du hast herausgefunden, dass es 185 Synonyme für das Verb “schießen” gibt – von “schmirgeln” und “fußspitzeln” über “schlenzen” bis zu “baggern”. Warum ist die Sprache, die man mit Fußball assoziiert, so vielfältig?
Simon Meier: Auf den ersten Blick könnte man meinen: So vielfältig die Schusstechniken, so vielfältig auch die Sprache, um diese Techniken zu beschreiben. Aber ich glaube, dass das zu kurz greift. Verben wie “dreschen”, “hämmern” oder “nageln” bezeichnen wohl kaum unterschiedliche Weisen des Schießens. Dafür sind die Verben besonders ausdrucksstark, und darauf kommt es vor allem an. Das Spiel selbst mag eintönig sein, im Drüberreden können die Journalist_innen dramatisieren und aufhübschen.
“Ich habe ja selbst Freude an den Floskeln”
effzeh.com: Fußball-Journalisten versuchen genau wie ihre Kollegen aus anderen Ressorts, die Realität zu beschreiben und einzuordnen. Dabei versteckt man sich jedoch meistens auch hinter Floskeln und Worthülsen. Vor nicht allzu langer Zeit gab es deswegen einen Zwist zwischen Journalisten älterer Generation und bspw. den Machern von Spielverlagerung.de, die meistens sehr akademisch und kompliziert schreiben. Wo würdest du deinen eigenen Anspruch an Fußballsprache verorten?
Simon Meier: Ich selbst habe ja Freude an den Floskeln. Allein schon, um meine Analysen bestätigt zu sehen (mehr dazu hier). Aber ich glaube auch, dass gerade das Floskelhafte auch seinen Sinn hat. Wenn schon die Spiele selbst unvorhersehbar und von tausend Zufälligkeiten abhängig sind, dann kann man sich durch Floskeln ein bisschen Sicherheit schaffen. Und: Im Herzen sind viele Fußballfans ewig Gestrige, die vor allem ihren Erinnerungen nachhängen. Floskeln, die immer ‘re-produziert’ sind, passen da gut dazu.