Fußball nutzen, um Rassismus, Diskriminierung oder Sexismus zu thematisieren und so gesellschaftspolitisch relevante Themen ins Spiel zu bringen und in den Fokus von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu rücken – das gehört zu den zentralen Aufgaben der Arbeit von Fanprojekten überall in Deutschland. Davon gibt es inzwischen immer mehr, untereinander sind sie gut vernetzt.
Doch Fanprojekt ist nicht gleich Fanprojekt. In Köln gibt es mit dem Fanprojekt 1. FC Köln, das sich in Fans1991 umbenannt hat, und dem sozialpädagogischen Fanprojekt, auch Kölner Fanprojekt genannt, gleich zwei Einrichtungen, die zwar ähnlich heißen, aber inhaltlich so gar nichts miteinander zu tun haben. „Fans1991 ist ein eingetragener Fanclub und kann eine gewisse Vereinsnähe nicht von der Hand weisen“, erklären sie effzeh.com. Sie organisieren außerdem das Ticketing für Auswärtsspiele des 1. FC Köln.
„Wir sind eine vereinsunabhängige Jugendhilfe“
Das Kölner Fanprojekt hingegen wird finanziert von der Deutschen Fußball-Liga (DFL), dem Land NRW und der Stadt Köln, vom Verein sind sie unabhängig. „Wir sind in einer distanzierten Rolle und in dieser seit 20 Jahren in Köln tätig“, erklärt Ulf Martin. Sein Kollege, Carsten Blecher, ist Diplom- Sozialpädagoge, hat einen Master in Sozialwissenschaften und ist seit elf Jahren beim Kölner Fanprojekt. 1998 wurde das sozialpädagogische Fanprojekt als eingetragener Verein gegründet, 2003 wechselte die Einrichtung dann zur Jugendzentren Köln gGmbH.
Was sie von Fans1991 unterscheidet: „Wir sind sozialpädagogisch ausgerichtet.“ Carsten Blecher ergänzt: „Der Begriff Fanprojekt ist halt kein geschützter, pädagogischer Begriff. Es gibt bundesweit 60 sozialpädagogische Fanprojekte, die alle bestens miteinander vernetzt sind. An vielen Standorten gibt es dann vereinsnahe Fanprojekte wie hier in Köln oder auch in Mönchengladbach. Wir aber sind eine vereinsunabhängige Jugendhilfeeinrichtung“, stellt er klar.
Beide sagen von sich, dass sie ihr Hobby zum Beruf gemacht haben. „Bei allen Dingen, die uns manchmal nerven, ist uns letztens im Gespräch nochmal klar geworden, dass wenn uns als 16-Jährige auf dem Schulhof jemand gesagt hätte, dass wir diesen Job mal haben werden wir das sofort freudestrahlend unterschrieben hätten“, sagt Ulf und Carsten pflichtet bei.
An Spieltagen sind die Sozialpädagogen wichtige Anlaufstelle für junge Fans
Ulf Martin studierte in Gießen Erziehungswissenschaften, bevor es ihn nach Köln verschlug. Der Mitarbeiter des Kölner Fanprojektes ist selbst Fußball-Fan und interessierte sich schon in der Jugend für Ultrà- und Fankultur, heute arbeitet er selbst mit jungen Fans: „Unsere Klientel sind hauptsächlich Fußballfans des 1. FC Köln, unser Bezugsverein. Die Fans, auf die unsere Angebote abzielen, sind zwischen 14 und 27 Jahre alt und zum größten Teil aus der aktiven Fanszene. Wichtig ist aber, dass die Angebote grundsätzlich allen offen stehen.“
Eine der Hauptaufgaben der Pädagogen ist die Spieltagsbegleitung. „Bei Heimspielen findet man uns jetzt wieder vor der Südkurve,“, erklärt Ulf. Doch das war in der Vergangenheit nicht immer so. Acht Jahre gehörten die Sozialpädagogen mit ihrem gelben Bus zum vertrauten Stadionbild, das viele Fans kennen. Mit gestiegener Anzahl an Risikospielen wurde entschieden, den Vorplatz dauerhaft an Spieltagen für sämtliche Buden zu sperren. So musste sich auch das sozialpädagogische Fanprojekt einen neuen Platz an den Spieltagen in Müngersdorf suchen. Das fanden sie dann am Guts-Muts-Weg zwischen Stadion und Club Astoria, direkt am Adenauer Weiher gelegen.
Doch seit Beginn der neuen Saison stehen sie wieder am gewohntem Fleck direkt vor der Südkurve. „Es geht darum, dass wir gesehen werden und eine Anlaufstelle sein können,“ erklärt Carsten Blecher. Bei Risikospielen wie gegen Gladbach sind die Sozis, wie sie in der Kurve auch genannt werden, nun zu Fuß unterwegs und sind bei Problemen ansprechbar. Ulf: „An Spieltagen arbeiten wir üblicherweise eng mit den Fanhilfen wie dem Kölschen Klüngel zusammen. Beispielsweise beim Auswärtsspiel in Wolfsburg, wo wir davon ausgehen mussten, dass die Polizei wieder starke Kontrollen durchführen wird, positionieren wir uns dann etwa im Eingangsbereich und sind einfach ansprechbar für unsere Fans.“
Reisen, die Fußball mit politischer Bildung verbinden
An den Spieltagen steht für die Pädagogen also Gewaltprävention an oberster Stelle, doch in den Länderspielpausen oder der spielfreien Zeit bieten sie Fahrten oder Freizeiten für junge Fans an. Diese Fahrten werden in der Regel finanziell subventioniert und sind also für die jungen Mitfahrer deutlich günstiger. So fuhren die Pädagogen beispielsweise mit einer Gruppe junger Fußballfans nach München, besuchten dort ein Spiel von 1860 München und besuchten am nächsten Tag die Gedenkstätte Dachau. 2017 boten sie eine mehrtätige Reise nach Israel an, Anfang des Jahres fuhren sie mit Fans nach Amsterdam, wo sie das Anne-Frank-Haus besuchten und das Wochenende mit einem Spielbesuch bei Ajax Amsterdam abrundeten. Fokusthemen, um die sich ihre Projekte im Kölner Fanprojekt immer wieder drehen sind Antirassismus und Antidiskriminierung.
Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit ist das Thema Flucht. „Wir haben eine Broschüre und eine Wander-Ausstellung zum Thema Flucht, Migration und Fußball erarbeitet. Die kann man ausleihen und ausstellen.“ Dort erzählen geflüchtete Fußballprofis wie etwa Bakery Jatta ihre ganz persönliche (Flucht)-Geschichte; rassistische Gewalt sowie das Engagement von Ultràszenen für Geflüchtete wird thematisiert. Ebenfalls ein Bestandteil der Ausstellung sind Faninitiativen wie der FC Lampedusa aus Babelsberg. Gerade ist die Wanderausstellung auch wieder unterwegs und wird in einem Fanprojekt im Ruhrpott ausgestellt. „Die Vernetzung mit den anderen Fanprojekten läuft gut und eng. Der Austausch ist da. Auf Länderebene gibt es in NRW die Landesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte, die dann beispielsweise die Fußballkulturtage veranstaltet. In diesem Rahmen bieten wir auch eine Führung durch das Jüdische Köln an.“
FC-Stadionakademie zusammen mit dem 1. FC Köln
Und wie sieht die Zusammenarbeit mit anderen, wichtigen Akteuren aus, etwa dem 1. FC Köln? „Es gibt verschiedene Arbeitsrunden, in denen ein Austausch mit dem FC stattfindet. Zum Beispiel mit den Verantwortlichen des Kids Club oder mit den Fanbeauftragten.“ In diesem Rahmen werden dann gemeinsame Aktionen wie U16-Fahrten geplant.
Wo die Zusammenarbeit mit dem Verein auch gut klappt: die FC-Stadionakademie. Der Gedanke dahinter: politische Bildung über den Fußball in Schulen zu bringen. Heute wird das Projekt größtenteils von der FC-Stiftung finanziert und vom Kölner Fanprojekt eigenständig durchgeführt. Das Angebot richtet sich an Schulklassen ab der Jahrgangsstufe 8 sowie Jugendgruppen aus außerschulischen Jugendeinrichtungen und kann bis zu mehreren Projekttagen direkt im Stadion – in der Ehrenloge – abgehalten werden.
In den Workshops der Stadionakademie behandeln die Pädagogen dann Themen wie Diskriminierung oder Gewalt. Das Müngersdorfer Stadion ist für sie dabei genau der richtige Platz: „An keinem anderen Ort finden sich so viele Jugendliche und junge Erwachsene ein, wie im Fußballstadion“, heißt es auf der Homepage der Pädagogen. Da der Fußball immer wieder von einigen Menschen missbraucht werde – indem sie ihre politische Gesinnung verbreiten, Personengruppen diskriminieren und offen oder verdeckt rassistisch in Erscheinung treten – sei es notwendig, mit Jugendlichen frühzeitig gezielt diese Themen zu sprechen. An Spieltagen lassen sich diese Einheiten nicht nur mit einer, sondern auch mit einem Spielbesuch gut verbinden. Die FC-Stiftung stellt auch einen Paten für die Akademie ab, zur Zeit ist das Simon Terodde.
Fanprojekt ist Anlaufstelle für Fanszene und junge Fans
Auch wenn der Verein hauptamtliche Fanbeauftragte hat, so herrscht zwischen ihnen und der Fanszene seit einiger nur eingeschränkter Kontakt. Mit dem Sozialpädagogischen Fanprojekt ist der Austausch aber nicht abgerissen. Woran liegt das? „Wir arbeiten nach kritischer Parteilichkeit, wir sind für die Leute da und setzen uns für die Fans ein“, erklärt Ulf. „Wir müssen keine Stadionverbote erlassen oder umsetzen. Wir können uns darauf konzentrieren, wie wir den Fanszenen helfen können. Das machen wir durch unsere Angebote wie subventionierte Fahrten oder durch Unterstützung des Klüngels an Spieltagen.“
Ihre Räumlichkeiten im Gereonswall stellen sie den Gruppen oder Initiativen zur Verfügung und geben ihnen so die Möglichkeit, sich zu treffen oder dort Veranstaltungen anzubieten. In krassem Kontrast steht das Fanprojekt aber zum Verein, wenn es um Repressionen geht. „Wir können für die Fans da sein, ohne Maßnahmen zu treffen, wie es der Verein machen muss. Das wollten wir nie machen.“
Es gehe dabei nicht darum, alles, was die Fanszene macht, unkritisch gut zu heißen, erklärt Carsten. Es sei aber auch wichtig, den Fans zu zeigen, dass man sich für die Fans interessiere und sich ihre Sicht der Dinge anhöre. Das, so Carsten, sei ein wichtiger Unterschied: Geht man auf die Gruppen zu und redet über Probleme oder Vorfälle, die nicht gut waren oder geht man hin und verbietet direkt die ganze Gruppe. „Aus seiner Perspektive muss der Verein aber genau das manchmal einfach tun, ebenso die Polizei, die hat auch einen anderen Auftrag als wir.“
Positive Fankultur sollte es auch mal in die Schlagzeilen schaffen
Dass das besonders in den Boulevard-Medien gezeichnete Bild von Ultras fast ausschließlich negativ ist, findet Ulf Martin schade. „Es gibt so viele tolle Aktionen und soziale Projekte, die unter gehen, wenn man nur über körperliche Auseinandersetzungen schreibt. Das betrifft nicht nur uns, sondern auch Gruppen wie die Wilde Horde mit ‚Horde Karikativ‘“. Einmal im Jahr sammelt die Wilde Horde, traditionell in der Vorweihnachtszeit, Sachspenden für den Kalker Mittagstisch, den es seit 2009 gibt. Dort bekommen sozial benachteiligte Kinder in Kalk und Umgebung nach der Schule ein kostenloses Mittagessen. „Man könnte da auch mal eine positive Fankultur in die Schlagzeilen bringen und darüber berichten“, meint Martin.
Wer sich für die Arbeit des sozialpädagogischen Fanprojekts interessiert, kann hier nach Veranstaltungen Ausschau halten oder sich am 14. Oktober der Stadtführung durch das Jüdische Köln anschließen. Treffpunkt ist: Bahnhofsvorplatz, vor dem Deichmann-Haus, 3. Lichtsäule, los geht es um 19 Uhr. Der Eintritt ist frei, um Anmeldung unter info@fanprojekt.jugz.de wird gebeten.