Wenn Derby ist, merkt man das als Fan und Stadiongänger bereits beim Klingeln des Weckers. Man wacht auf und der erste Gedanke gilt dem geliebtem Fußballclub, gefolgt von der Vorfreude auf ein lautes Stadion, positive Energie, eine gute Portion Abneigung auf den prall gefüllten und lauten Fanblock auf der anderen Seite des Stadions sowie die Hoffnung auf 90 Minuten, an die man sich noch lange erinnern wird. Kurzum: Ein Derby ist eigentlich immer etwas besonderes.
Vielen Fans des 1. FC Köln wird es am Sonntag jedoch anders gehen: Es steht zwar das Spiel gegen Fortuna Düsseldorf auf dem Spielplan, doch dank Corona ist es nach dem Spiel in Mönchengladbach Anfang März das zweite Geisterderby für die “Geißböcke”. Die globale Pandemie bestimmt weiterhin das gesellschaftliche Leben und so sind auch am Sonntag keine Fans im Stadion erlaubt. Statt Choreo gibt es wieder nur eine leere Südkurve, statt 90 Minuten Vollgas von den Rängen und lautstarke Unterstützung wieder nur im regelmäßigen Abstand das Rasseln der Werbebande vor der Osttribüne beim Umschlag.
Noch kein Sektchen, aber wieder mit Iso
Auch wenn die Vereinsverantwortlichen sich Mühe gaben und im Vorfeld anboten, Glücksbringer der Fans im Stadion anzubringen und mit Trikots ein „FC“ auf die Tribüne fabrizierten, war die Kulisse gegen Mainz unterm Strich trostlos. Und gerade wenn Düsseldorf in Müngersdorf zu Gast ist, wird das allen noch einmal schmerzhaft bewusst werden. Auch FC-Sportchef Horst Heldt weiß das und sprach von einer „flöten gegangenen“ Unterstützung für die Heimteams in der heutigen Zeit.
Aber die Realität ist nun einmal, wie sie ist, und Trainerstab sowie Mannschaft müssen sich mit den Gegebenheiten anfreunden und das Beste aus der Situation machen. Der Klassenerhalt scheint glücklicherweise greifbar nahe, mit einem Sieg gegen Düsseldorf hätte man 13 Punkte Vorsprung bei noch sieben ausstehenden Spielen. „Wir wollen Düsseldorf schlagen und das wäre ein großer Schritt“ erklärte entsprechend auch Heldt.
Den Klassenerhaltssekt wolle er allerdings auf keinen Fall schon kaltstellen, wie er auf der Pressekonferenz betonte, den zugeschalteten Journalisten allerdings in Aussicht stellte: „Ein Sektchen können wir trinken, wenn wir unsere Ziele erreicht haben. Ich lade Sie gerne […] ein, wenn wir ein Sektchen trinken können. Den können wir aber noch nicht trinken und den wollen wir auch noch nicht trinken.“
Weniger den kaltgestellten Klassenerhaltssekt im Blick hatte Heldts Nebenmann auf der Pressekonferenz, doch auch FC-Coach Markus Gisdol gab sich auf der Pressekonferenz vor dem Spiel locker und betonte angesprochen auf das Training unter der Woche, man hätte „keine verrückten Sachen“ trainieren lassen. Mannschaftstaktische Inhalte standen im Fokus, die man im Spiel trotz der bekannten widrigen Umstände 90 Minuten lang durchziehen wolle.
Ein wichtiger Baustein für den Erfolg war vor der Coronabedingten Zwangspause eindeutig Shootingstar Ismail „Iso“ Jakobs, der sich nach zweiwöchiger Quarantäne infolge eines positiven Coronatests seit Anfang der Woche wieder im Mannschaftstraining befindet, einen guten Eindruck hinterlassen hat und wieder im Kader stehen wird. Auch Jhon Cordoba, der unter der Woche kürzer treten musste, ist einsatzbereit. Nur Marcel Risse wird dem FC im Geisterderby wegen Knieproblemen fehlen.
Für Gegner Düsseldorf geht es um mehr als drei Punkte
Fortuna Düsseldorf hatte den “Geißböcken” im Hinspiel die Hörner gehörig gestutzt und einen umjubelten 2:0-Heimsieg gefeiert. Der damalige Fortuna-Coach Friedhelm Funkel gewährte am Donnerstag im Interview mit dem Express einen Einblick in die Gefühlslage der Mannschaft vor dem Hinspiel und sagte, dass seine Mannschaft damals die größere Gier hatte, weil dieses und nicht das Derby gegen Gladbach das größte Spiel der Saison sei.
Der jetzige Trainer Uwe Rösler wird trotz der Kulisse versuchen, den gleichen Spirit wieder zu wecken. „Für mich ist das zu 100 Prozent ein Derby“ ließ er sich zitieren, seine Mannschaft braucht die Punkte im Kampf gegen den Abstieg allerdings auch dringend. Sein Gegenüber hingegen sieht wenige Paralellen zum Hinspiel, wo die Domstädter körperlich unterlegen schienen. “Das ist jetzt unsere Stärke, wir haben gelernt, sehr körperbetont und zweikampfstark zu spielen. Im Hinspiel war alles anders. Aber wenn die Spieler daraus Extramotivation ziehen können, werde ich das immer unterstützen.”
„Da spielt Kölsch gegen Alt. Und Alt schmeckt mir besser, muss ich ehrlich sagen.“
Am Geißbockgrün schätzt man den Gegner allerdings auch abgesehen von den kämpferischen Qualitäten sehr hoch ein. Mit den Attributen stabil, taktisch diszipliniert, mit hohem Aufwand spielend und zweikampfstark beschrieb Gisdol die Fortuna und erwähnte „soft skills“ wie die Emotionen, die sie in ein Derby bringen, damit nicht. Vielleicht nicht zu Unrecht, erwachen die Emotionen in Nachbarschaftsduellen doch oft erst im Zusammenspiel mit den eigenen Fans, auch wenn Rösler dies anders sehen mag. Die Fans fehlen allerdings bekanntermaßen, es wird schwer Derbyatmosphäre kommen zu lassen.
Im Falle eines Sieges: Europa als neues Saisonziel?
Auf die leichte Schulter nimmt in Köln das Spiel am Sonntagabend allerdings keiner. Mit einem Sieg im Derby gegen Düsseldorf wäre die Saison auch nicht vorbei, selbst wenn der Klassenerhalt damit vermutlich so gut wie in sicheren Tüchern wäre. Doch sollten Leverkusen oder Bayern den Pokal holen, würde sogar Platz sieben für die Qualifikationsrunde zur Europa League reichen. Der FC hatte vor dem Spieltag vier Punkte Rückstand auf diesen Platz, die Ergebnisse am Samstagnachmittag spielten den Kölnern in die Karten.
Rechnen können auch Spieler, und so sagte Leistungsträger Sebastiaan Bornauw vor dem Spiel gegen Mainz im Interview mit der belgischen Zeitung Eleven Sports BE, dass die Mannschaft alles für das Erreichen der Europapokalplätze tun würde. Der Verein selber fing die Diskussion und die latente Angst um die Erwartungshaltung in der Stadt nach dem 2:2 schnell wieder ein. Zum einen mit einem Zitat von Trainer Gisdol, der Demut einforderte und an die Situation im November erinnerte.
Zum anderen in dem man unter der Woche Timo Horn vorschickte, der die nötige Bescheidenheit predigte. Eine gute Leistung und drei Punkte gegen Düsseldorf sind aber auch das Ziel von Gisdol und Horn. Und dann wird der ein oder andere Spieler und Fan vielleicht doch wieder nach oben blinzeln. Auch in den düsteren und oft spaßbefreiten Zeiten von Geisterspielen und Pandemie muss das Träumen auf die Vorfreude beim Aufwachen am Europacupspieltag ja erlaubt sein.