Ein strittiges sportpolitisches Thema steht wieder im Fokus des Interesses: Die 50+1-Regelung, seit Jahren ein Streitpunkt innerhalb des deutschen Fußballs, wird wieder heftig diskutiert – auch zwischen den Bundesliga-Vereinen. Am 14. Juli treffen sich die in der DFL organisierten Clubs zur Mitgliederversammlung, dort soll auch über die Vorgehensweise in diesem Thema diskutiert werden. Zuletzt hatte das Kartellamt nach jahrelangen Konsultationen den Verfechtern der Regelung neuen Auftrieb gegeben, eine Einschätzung der Behörde zufolge verstößt 50+1 nicht gegen kartellrechtliche Bestimmungen. Seit geraumer Zeit standen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der DFL-Vorgabe im Raum.
Lange waren die Gegner der 50+1-Regelung überzeugt: Geht der Streit vor Gericht, dann fällt dieser Grundsatz. Durch die Einschätzung des Kartellamtes erhält diese Diskussion jedoch eine neue Stoßrichtung. Der deutsche Profifußball kann offensichtlich an der 50+1-Regelung festhalten, soll dann aber die Ausnahmen im Sinne des fairen Wettbewerbs abschaffen. Eine Debatte mit Sprengwirkung – wäre dies doch das Aus für Werksvereine und Investorenclubs. Doch ist dies in Zeiten wirtschaftlicher Probleme überhaupt gewollt? Oder wird der Erfolg beim Kartellamt für die Befürworter zum Pyrrhussieg? Wir verschaffen Euch einen Überblick über den aktuellen Stand.
Was besagt die 50+1-Regelung überhaupt?
Vereinsfremde Investoren, die die Geschicke des Clubs bestimmen: Das ist in der Bundesliga – anders als anderen Ligen wie der Premier League – im Grunde nicht erlaubt. Damit die Vereine Herr im Hause bleiben und nicht von außen gesteuert werden, gibt es die 50+1-Regelung. Diese findet sich in Paragraph 16c der Satzung des Deutschen Fußball-Bundes unter dem Titel „Mitgliedschaft im Ligaverband“, auch die Deutsche Fußball Liga hat die Passage in Paragraph 8 der Satzung niedergeschrieben. Inhaltlich besagt die Regelung, dass nur Kapitalgesellschaften am Spielbetrieb teilnehmen können, an denen der jeweilige Verein die Mehrheit der Stimmanteile hält. Damit soll gewährleistet werden, dass Vereine die Entscheidungshoheit behalten.
Wörtlich steht in der Regelung, dass ein Verein „50 % der Stimmanteile zuzüglich mindestens eines weiteren Stimmanteils in der Versammlung der Anteilseigner“ verfügen muss. Daher die Formulierung „50+1“. Es gibt aber, zum Beispiel durch verschiedene Urteile des DFB-Schiedsgerichts, diverse Ausnahmeregelungen. So können Vereine von Unternehmen oder Einzelpersonen übernommen werden, sofern diese die Clubs 20 Jahre ununterbrochen unterstützt haben – Beispiele sind der VfL Wolfsburg, Bayer Leverkusen und die TSG Hoffenheim. In Leipzig ist ein Konstrukt gewählt worden, bei dem es nur 19 handverlesene Mitglieder mit Stimmrecht gibt, die dem namensgebenden Unternehmen nahestehen. Und auch in Augsburg haben Einzelpersonen durch ein kompliziertes Konstrukt eine 90-prozentige Mehrheit.
Warum ist die 50+1-Regelung gerade wieder Thema?
In den letzten Jahren war das Thema „50+1″ eines, welches oft knapp unter der Oberfläche loderte und immer wieder Teil des Konfliktes “Fans” versus “Funktionär” beziehungsweise “Fußballestablishment” war. In fast allen Fankurven der Republik wurde auf der einen Seite mit Bannern und Aktionen für den Erhalt von „50+1″ Stimmung gemacht und mit Aktionen die 50+1-Regelung verteidigt. Auf der anderen Seite gab immer wieder Versuche, die Vorgabe der DFL abzuschaffen oder zumindest zu schleifen. Unter anderem Martin Kind, lange Jahre Präsident von Hannover 96 und heute Hauptgesellschafter der Niedersachsen, tat sich hierbei hervor. Hannover 96 erwirkte über das Schiedsgericht vor rund zehn Jahren eine Sonderregelung, die besagt, dass ein Investor mehr als 50 Prozent der Anteile erwerben kann, wenn er den Verein mehr als 20 Jahre signifikant unterstützt.
International geriet das deutsche Modell „50+1″ nach dem gescheiterten Versuch, eine “Super League” zu gründen, wieder in den Fokus und wurde als potentielles Vorbild auch in England diskutiert. In die nationalen Schlagzeilen und Diskussionen schaffte die 50+1-Regelung vor ein paar Wochen allerdings erst, als das Kartellamt eine Prüfung der Regelung abschloss und die jetzige Form der 50+1-Regelung kritisierte. Die positive Einschätzung des Kartellamts gegenüber der DFL-Vorgabe und die Kritik an den Ausnahmen hat das Thema wieder auf die Tagesordnung gebracht.
In ihrer Grundform erscheint die 50+1-Regel auch geeignet und angemessen. In der Kombination mit der derzeitigen Förderausnahme haben wir daran hingegen Zweifel.
Das sagt das Kartellamt
Das wichtigste Zitat des Bundeskartellamts kommt von dessen Präsident Andreas Mundt. Mit der 50+1-Regel will die DFL für eine Vereinsprägung und eine gewisse Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs sorgen. Diese sportpolitischen Ziele können auch im Rahmen des Kartellrechts anerkannt werden. In ihrer Grundform erscheint die 50+1-Regel auch geeignet und angemessen. In der Kombination mit der derzeitigen Förderausnahme haben wir daran hingegen Zweifel. Ausnahmen von der Grundregel sind grundsätzlich möglich. Solche Ausnahmen müssen eindeutig ausgestaltet sein, und sie dürfen nicht dazu führen, dass die eigenen sportpolitischen Zielsetzungen, die die DFL mit der 50+1-Regel verfolgt, konterkariert werden.
Mit dieser Einschätzung stützt das Bundeskartellamt die 50+1-Regel im Grunde doppelt. Denn einerseits bestätigt das Amt, dass es keine grundsätzlichen kartellrechtlichen Bedenken gegen die Regelung gibt. Das ist insofern wichtig, da hier von interessierter Seite in den vergangenen Jahren immer wieder die Frage aufgemacht wurde, ob das denn überhaupt so sei. Dies ist hiermit eindeutig geklärt. Zudem entfacht das Bundeskartellamt die Diskussion um die Regelung neu – dies jedoch in Richtung einer denkbaren weiteren Verschärfung. Die derzeit praktizierten Ausnahmeregelungen sieht das Amt nämlich zumindest teilweise äußerst kritisch. Wer die komplette Einschätzung des Bundeskartellamts lesen möchte, kann dies hier tun.
Das sagt der 1. FC Köln dazu
“Der 1. FC Köln steht uneingeschränkt zur 50+1-Regel. Die Abschaffung der 50+1-Regel ist keine Option”, betont der Verein in einer gemeinsamen Stellungnahme von Präsidium, Geschäftsführung und Mitgliederrat, die am Montag auf der eigenen Webseite veröffentlicht wurde: “Vielmehr sind die DFL sowie die 35 weiteren in ihr organisierten Clubs aufgefordert, die Chance der Kartellamtseinschätzung zu nutzen und die 50+1-Regel auf eine rechtssichere und zukunftsfähige Basis zu stellen. In diesem Zusammenhang sollten auch Umgehungstatbestände der 50+1-Regel angegangen werden. Alle Bundesliga-Clubs sollten ihrer Mitgliedschaft eine demokratische Mitbestimmung ermöglichen. Wir rufen die übrigen Clubs, deren Mitglieder und Fans auf, uns auf diesem Weg zu unterstützen”, heißt es dort. Die vom Kartellamt aufgezeigte Alternative zur vereinsgeprägten Bundesliga lehnt der FC ab. “Die Entscheidungsgewalt in die Hände von Investoren zu legen, ist für einen Verein wie den 1. FC Köln mit über 111.000 Mitgliedern und seiner starken Verwurzelung in die Region keine Lösung. Auch für die Bundesliga, die Woche für Woche Millionen von Menschen begeistert, darf eine ‘Investorenliga’ kein Zukunftsmodell sein. Die 50+1-Regel ist ein Alleinstellungsmerkmal im europäischen Fußball und stärkt die Verbundenheit der Fans zu ihrem Verein.”
Das sagen Fanorganisationen
Schon zuvor hatte der “Südkurve 1. FC Köln e. V.” den 1. FC Köln dazu aufgefordert, “sich klar für den Erhalt der 50+1-Regelung zu positionieren”. Schon 2018 hatten viele Kölner Fangruppen und Interessensgemeinschaften (darunter auch effzeh.com) eine Erklärung unterzeichnet, die sich für den Erhalt der 50+1-Regelung und die Umsetzung ohne Ausnahmen aussprach. Dies zeige, dass ” der Erhalt von 50+1 innerhalb der Kölner Fangemeinschaft nicht diskutiert werden muss”. Die Aktion “50plus1bleibt” begrüßt die Einlassungen des Kartellamts und fordert nun Taten: “Seit Jahren kämpfen wir Fans nicht nur für den Erhalt der 50+1-Regel, sondern auch gegen die Ausnahmeregelungen und Umgehungstatbestände. Wir freuen uns, dass das Bundeskartellamt uns mit seiner Einschätzung darin bestätigt. […] Der deutsche Profifußball befindet sich in einer tiefen Krise und benötigt dringend grundlegende Reformen. Die Einschätzung des Kartellamts ist ein weiterer Anstoß diese endlich einzuleiten. Die DFL und ihre Mitglieder sind jetzt aufgefordert, demokratische Mitbestimmung in allen Vereinen zu ermöglichen und Finanzdoping zu beenden. Wir fordern ein Ende der Ausnahmen und zusätzliche Vorgaben, die in allen Vereinen Strukturen im Geiste von 50+1 sicherstellen.”
Nächste Woche treffen sich die 36 Vereine der @DFL_Official, um über die Zukunft der #50plus1-Regel zu sprechen.
Unsere Position für einen nachhaltigeren Profifußball ist eindeutig:
50+1 erhalten, Mitbestimmung ermöglichen, Finanzdoping beenden! #50plus1bleibt pic.twitter.com/AgBdSDAKlN— 50+1 bleibt! (@50plus1bleibt) July 8, 2021
Das sagen Investoren
“Als jemand, der aus der Wirtschaft kommt, kann ich diese Regel gar nicht als etwas total Positives sehen, denn selbstverständlich ist es grundsätzlich für einen Kaufmann, für einen Unternehmer etwas Problematisches, wenn es Beschränkungen gibt, dass man Geld investiert in Unternehmen und auf der anderen Seite aber letztendlich – zumindest was die rechtliche Konstellation angeht – nichts oder sehr wenig zu sagen hat“, sagt bemerkenswert offen Hertha-Großinvestor Lars Windhorst in einem ARD-Interview. Die Uni Leipzig hat zudem eine Umfrage unter aktuellen Investoren durchgeführt. Ergebnis: 60 % der aktuell in Deutschland tätige Investoren befürworten ein Ende der 50+1-Regel.
Das sind die Alternativen
Grundsätzlich könnte man fraglos die 50+1-Regelung in Gänze abschaffen und die Liga für Investoren öffnen. Doch dagegen gibt es erheblichen Widerstand und auch derzeit keine Mehrheit in den Profivereinen. Neben dem 1. FC Köln stellt sich auch Schwergewicht Borussia Dortmund klar hinter die 50+1-Regelung. Eine andere Möglichkeit wäre, die Ausnahmen der 50+1 Regel abzuschaffen. Doch diese Ausnahmen sind die Grundlage und Daseinsberechtigung von Hoffenheim, Leverkusen und Wolfsburg. Eine Abschaffung der Ausnahmen käme vermutlich einem Rauswurf gleich. Äußerst unrealistisch, dass dies bald geschieht, nötig wäre dafür eine Zweidrittel-Mehrheit der Vereine. Eine “saubere” Lösung wird es also nicht geben.
Stattdessen wird man versuchen, über Dialog und Kompromisse zu einer Lösung zu kommen. Eintracht Frankfurt schlägt beispielsweise vor, eine mehrjährige Übergangszeit zu schaffen, damit Hoffenheim, Leverkusen und Wolfsburg ihre Rechtsform 50+1-konform anzupassen. Der Rechtsweg zur Abschaffung von 50+1 steht nach dem Spruch des Kartellamts den Gegnern der Regelung weiterhin offen, auch wenn die Erfolgsaussichten geschrumpft sind. Dennoch ist es möglich, dass ein Verein oder gar mehrere Clubs über den Rechtsweg versuchen, Klarheit in der seit Jahren schwelenden Diskussionen zu erlangen. Spätestens dann, wenn sich dann doch eine Zweidrittel-Mehrheit für die Abschaffung der Ausnahmen findet, wird „50+1″ vor Gericht gehen.
Darum dürfte (erst einmal) nichts passieren
An einer gerichtlichen Eskalation hat kaum ein Verein Interesse, denn ein Rechtsstreit könnte sich Jahre ziehen und würde im Ergebnis den deutschen Fußball so oder so in seinen Grundfesten erschüttern und verändern. Bis zum Urteil gäbe es überdies massive Unsicherheiten, an denen eigentlich kein Verein ein Interesse haben kann. Bei der heutigen Sitzung der DFL stand deswegen auch in erster Linie der Dialog und Versuch der Kompromissfindung im Raum. Wahr ist allerdings auch: Im Vorfeld der Sitzung hatten sich mehrere kleine Klubs zu einem Antrag entschlossen, der vorsah die Ausnahmen abzuschaffen. Diese wurden jedoch von Traditionsvereinen gebremst und zogen ihren Antrag zurück.
Auf der Sitzung wurde entsprechend kein Beschluss gefasst, allerdings ließ man in einer Aussendung verlauten, man würde dem Kartellamt eine schriftliche Stellungnahme überreichen und sich dabei an einem Beschluss aus 2018 orientieren, als die Clubs sich für die Beibehaltung der 50+1 Regel aussprachen, jedoch einen “Prozess zur Verbesserung der Rechtssicherheit” anstoßen wollten. Das Ziel sei, “kartellrechtskonforme Lösungsansätze zu entwickeln, die im Interesse aller 36 Clubs der Bundesliga und 2. Bundesliga sind.”
Warum das Thema dennoch weiter heiß diskutiert werden wird
Die 50+1-Regelung und seine Ausnahmen werden im Fußball seit Jahren kontrovers diskutiert, es ist unmöglich interessierte Investoren und aktive sowie organisierte Fußballfans in dieser Frage zu einem Kompromiss zu bringen. Die Einschätzung des Kartellamts hat kürzlich alle Beteiligte aufgeschreckt und zu einer Positionierung gezwungen. Denn der Ist-Zustand, mit dem sich alle Beteiligten in den letzten Jahren arrangiert hatten, ist nicht haltbar, so viel steht fest. Eine Lösung ist bislang nicht in Sicht und die Versuchung, die Ausnahmen abzuschaffen, ist vereinzelt gegeben, auch wenn die Folgen vermutlich durch eine Klage unabsehbar wären. Fest steht allerdings: Es muss eine Lösung geben, die Einschätzung des Kartellamts ist erst einmal nicht anzuzweifeln. Der Vorstandssprecher von Eintracht Frankfurt, Axel Hellmann, rief deswegen auch zur nötigen Beweglichkeit auf allen Seiten auf. Doch deutlich ist in der Coronakrise vor allem eins geworden: Der Kapitalbedarf der Profivereine ist im Zweifel größer als die Nähe zu den organisierten Fans. Die Investorendebatte – sie wird den deutschen Fußball noch länger beschäftigen.