Es ist wieder soweit, nur noch wenige Stunden trennen uns davon, wieder das europäische Flutlicht über Köln-Müngersdorf wahrzunehmen. Nach gut fünf Jahren und zuvor der ewig langen Wartezeit eines Vierteljahrhunderts ist dieser Zustand ja nun wirklich keine Selbstverständlichkeit. Jedenfalls ist die FC-Fanszene mehr und mehr dem Europa-Virus verfallen, alle wissen: Europäische Spiele schmecken noch einmal ein wenig anders, alles ist intensiver, so riecht auch die Luft und scheint das Flutlicht anders, wenn man abends Richtung Stadion geht. Das war in den glorreichen siebziger und achtziger Jahren so. Das war 2017 so – und auch dieses Mal wird es so sein.
Mit dem Verein Fehérvár FC besucht nun eine ungarische Mannschaft unsere international hergerichtete FC-Kathedrale. Dieser Verein hat es in den achtziger Jahren zu einiger Bekanntheit über die eigenen Landesgrenzen gebracht, als man noch unter dem für nicht ungarische Ohren etwas sperrig klingendem Namen Videoton Székesfehérvár unterwegs war. Das UEFA-Cup-Finale 1985 gegen Real Madrid wurde gar erreicht, wo das Team allerdings in zwei Spielen unterlag. Immerhin gelang den Ungarn dabei sogar ein Sieg im ehrwürdigen Santiago Bernabéu zu Madrid, der aber aufgrund der klaren Hinspielniederlage nicht zum Cup-Ggewinn ausreichte. Ein Jahr später scheiterte dann übrigens unser FC im Finale an den Königlichen. Das jetzt kommende Play-off-Spiel ist also ein Match zweier UEFA-Cup-Finalisten. Lange ist’s her!
Es erwartet uns ein Match von zwei Europapokal-Finalisten
Der 1. FC Köln ist nach dem frühen und schmerzlichen Aus im DFB-Pokal nun ausgesprochen gut in die Bundesliga gestartet und belegt mit vier Punkten einen gewiss bei weitem noch nicht aussagekräftigen dritten Platz in der Ligatabelle. Dennoch nimmt man den Rückenwind der beiden letzten Begegnungen mit in die Partie, für die die “Geißböcke” ohne Frage als Favorit gelten dürfen. Der ungarische Fußball hat zwar aufgeholt, die letzten Auftritte der Nationalmannschaft unter anderem gegen die DFB-Auswahl belegen das. Dennoch gilt die Liga international eher als zweitklassig. Einen Automatismus für ein sicheres Weiterkommen in die dann folgende Gruppenphase daraus abzuleiten wäre aber fatal.
Zumal die FC-Bilanz gegen Teams aus dem Land des deutschen WM-Endspielgegners von 1954 doch ziemlich ausbaufähig ist. Gleich zweimal flogen die Domstädter gegen den Nachbarverein Újpest Dózsa Budapest (Székesfehérvár liegt gerade mal 60 Kilometer entfernt) raus. Zunächst 1966 in der dritten Runde des Messe-Pokals. Ein weiteres Mal dann im November 1983, als der FC in der zweiten Runde im Europapokal der Pokalsieger die kölschen Segel streichen musste. Ein 4:2-Erfolg im heimischen Oval des Müngersdorfer Stadions war aufgrund der 1:3-Hinspielniederlage leider um ein Tor zu dünn ausgefallen.
Gerade dieses Rückspiel löst beim Schreiber dieser Zeilen auch fast 39 Jahre danach wieder leicht nervöse Zuckungen aus, denn dieses Ausscheiden war als Augenzeuge dieser Begegnung einmal mehr wieder so unnötig wie sonst was (wobei, … welches Ausscheiden ist schön nötig?). Der FC hatte das Hinspiel etwas schludrig und ebenso nicht notwendig wie erwähnt mit 1:3 verloren. Macht nichts: Das wird im Rückspiel geregelt, hatten die “Geißböcke” doch in der ersten Runde ebenfalls bei Wacker Innsbruck mit 0.1 verloren, um dann den Österreichern im heimischen Rund mit 7:1 eindeutig die Grenzen aufzuzeigen. Die Kölner Mannschaft galt damals mit Recht als heimstark und war letztlich auch Favorit gegen die Magyaren.
Der FC gegen ungarische Teams – Keine Bilanz zum Angeben
Der ungarische Fußball hatte seinerzeit allerdings eine durchaus stärkere Phase, Spieler wie András Törőcsik und Tibor Nyilasi hatten bereits 1978 bei der WM in Argentinien auf sich aufmerksam gemacht. Nach guten Vorleistungen konnten sie ihren Status als Geheimfavorit jedoch nicht bestätigen. Auch 1982 war die Nationalmannschaft gut in Schuss und belegte dies mit einem 10:1 Rekordsieg über El Salvador. Eine WM-Bestmarke, die bis heute Bestand hat. Dennoch schied man etwas unglücklich mit der heute ebenfalls noch besten Punkte und Torbilanz eines Gruppendritten in der Vorrunde aus. Insofern war der FC nicht nur durch das Hinspiel gewarnt, bereits da zeigten im europäischen Fußball damals durchaus bekannte Namen wie Sándor Kiss, László Fekete, József Tóth oder der bereits angesprochene András Törőcsik ihre internationale Klasse.
Aber man war sich sicher: “Das biegen wir noch!“ Kein Wunder, denn der Pokalsieger von 1983 hatte eine Top-Truppe am Start. Mit den Stars Toni Schumacher, Pierre Litttbarski, Klaus Allofs, Klaus Fischer, dazu den Abwehrrecken Paul Steiner oder Gerd Strack mussten sich die “Geißböcke” vor keinem Gegner verstecken. Auch Spieler wie Stephan Engels, Dieter Prestin, Frank Hartmann und Matthias Hönerbach hatten bereits auf sich aufmerksam gemacht und waren teils international schon erfahren. Aus der Startelf war lediglich der junge Uwe Haas ein etwas wenig bekannterer Name. Trainer war seinerzeit Hannes Löhr, der den Pokalsieger-Trainer Rinus Michels abgelöst hatte.
Rückschau: FC versus Budapest 1983 – Vom Favoriten zum Geschlagenen
Das Team war gewillt mit allem, was man hatte, den Rückstand aufzuholen, so beherzt gingen die Geißböcke direkt nach Anpfiff zur Sache. Doch bereits nach acht Minuten der Schock! Fekete hatte sich über links durchgesetzt und nach innen geflankt. Ein eher harmloser Versuch, den Gerd Strack mit dem Knie abwehren wollte. Doch „der Lange“ traf den Ball recht unglücklich und ohne jede Kontrollmöglichkeit, worauf sich das Spielgerät wie in Zeitlupe über Toni Schumacher hinweg an die Unterkante der Latte senkte und von da hinter die Linie prallte. Eine Szene, die sich bei mir eingebrannt hat, so langsam und dennoch unaufhaltsam lief sie ab. Das war ganz dumm gelaufen!
Die Kölner wollten das logischerweise nicht wahrhaben und antworteten mit wütenden Angriffen, wobei sie das eine oder andere Mal die Abwehr zu sehr entblößten und Schumacher bei seinen Rettungstaten Kopf und Kragen riskieren musste. Erfreulich: Unglückrabe Strack köpfte bald danach den Ausgleich, das FC-Spiel wurde stringenter und Littbarski vollendete kurz vor der Halbzeit zur ersten Führung. Gleich zwei Minuten nach dem Seitenwechsel netzte schließlich der extrem starke Klaus Allofs zum 3:1 ein. Als zusätzlich noch ein Ungar vom Platz flog, war die Laune im Stadion bestens, das Weiterkommen eigentlich Formsache. Eigentlich…
Aber eigentlich sollte man auch nie „eigentlich“ sagen. Aus dem Nichts segelte eine ungarische Flanke auf Höhe des Fünfmeterraums und da sprang wieder dieser Fekete per Flugeinlage in den Ball und versenkte ihn unten rechts. Die 45.000 Fans im weiten Rund, die zuvor frenetisch den FC angetrieben hatten, verstummten auf der Stelle. Die Kölner brauchten nun wieder zwei Tore. War das Löhr-Team zuvor noch mit dem Spirit der siebziger Jahre unterwegs gewesen – einer Zeit, in der der FC viele Rückstände in Rückspielen furios gedreht hatte -, war schlagartig eine unsichtbare Blockade spürbar. Es wollte zunächst einfach nichts mehr gelingen und als Allofs erst in der 88. Minute doch ein weiteres Mal traf, war der Zeitpunkt schlicht zu spät.
Eigentlich Formsache. Wirklich?
Heute haben die Kontrahenten zumeist mindestens eine Nachholspielzeit von drei-vier Minuten zur Verfügung, in internationalen Spielen meist mehr. Damals aber wusste man zunächst nicht einmal, wie lange und ob überhaupt nachgespielt werden würde, weiterhin konnte der Schiri jede Sekunde abpfeifen. Nicht wenige Spielleiter pfiffen das Spiel tatsächlich nach 90 Minuten direkt ab oder ließen nur 30 bis 60 Sekunden nachspielen. Wie auch immer: Es reichte gerade noch für eine allerletzte Chance für Klaus Fischer, der den Ball aber gut einen halben Meter aus achtzehn Metern über das Tor schoss. Noch heute bin sicher, der FC hätte das Ding noch gedreht, wenn es eine Nachspielzeit von drei bis vier Minuten gegeben hätte. Aber „Hätte, hätte“…
Warum dieser Exkurs in die fußballerische Steinzeit? Nun ja, einerseits, weil der Fehérvár FC erst das dritte ungarische Team überhaupt ist, auf das der FC trifft und die “Geißböcke” eben zweimal bereits den Kürzeren zogen. Andererseits auch ob der Ausgangslage als leichter Favorit. Solche Spiele sollte die Mannen von Trainer Steffen Baumgart keineswegs auf die leichte Schulter nehmen, was sicher die Verantwortlichen und Spieler des 1. FC Köln nun auch nicht tun werden. Dennoch hört man im FC-Umfeld zum Teil forsche Töne aus Fanszene und Medien. Demnach scheint das Weiterkommen bei nicht wenigen Formsache zu sein. Auch hier eine leichte Parallele zu 1983.
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— Südkurve 1. FC Köln e.V. (@SuedkurveKoeln) August 17, 2022
Nein, ich will hier keineswegs unken und solche Vergleiche zwischen vollkommen verschiedenen Teams aus komplett dahingegangenen Zeitebenen sind schlicht nicht statthaft. Dennoch sollte man den Gegner ernst nehmen und ob sich die Spieler aus Fehérvár wirklich vor unseren wahrscheinlich komplett in rot gekleideten Fans „einpissen“ werden (O-Ton der aktiven Fanszene), da bin ich mir nicht so sicher. Mannschaften können sich auch an diesem Szenario aufrichten und die Energie, die sich von einem vollen Stadion gegen sie richtet auch positiv verarbeiten. Das hat unser Team auch schon ein paar Mal geschafft, zum Beispiel in Dortmund.
Freude auf die Rückkehr und Siegeshoffnungen: Die Europa-Bühne ruft
Aber nun genug der Warnungen, jetzt auch etwas in Sachen Zuversicht. Spielt unser Team das, was es kann, und setzt das auch in Tore um, dann sollte der Donnerstagabend ein Feiertag für uns werden. Wer in der vergangenen Saison sich von Mannschaften aus Mönchengladbach und Leverkusen nicht schlagen lässt und dabei drei aus vier Spielen gewinnt, wer beim grotesk stark besetzten Pokalsieger aus Leipzig einen Punkt mitnimmt und dabei souverän auf Augenhöhe auftritt, der hat auch gute Chancen, sein Heimspiel gegen Fehérvár positiv zu gestalten. Jedenfalls freue ich mich auf die Rückkehr auf die europäische Ebene und lasse mir auch nicht von kleingeistigen und neidischen Fans unserer Nachbarregionen die Conference League schlecht reden. Ein Teil dieser Fans wäre froh, wenn sie dieses Jahr europäisch spielen könnten. Wir tun es, denn Europapokal ist Europapokal!
Das gute Omen dann zum Schluss: Meine persönliche Siegquote als Stadionbesucher liegt in diesem Jahrtausend im internationalen Wettbewerb bei 100 Prozent (für das Spiel gegen Roter Stern Belgrad bekam ich keine Karte). Jetzt bin ich wieder in unserem Prachtbau und darf mein Team nun auch auf europäischer Ebene mit anfeuern. Wen das nicht freut, dem ist nicht mehr zu helfen. Dass wir unseren formbedingten Rückenwind nutzen werden, dieses Spiel gewinnen und eine gute Ausgangslage für das Rückspiel erzielen, da bin ich mir letztlich dann doch recht sicher. Also eigentlich…