Es war schon längst Freitag, als bei der Mitgliederversammlung des 1. FC Köln die wichtigste Personalie endlich geklärt war: Carsten Wettich wurde von den Mitgliedern der „Geißböcke“ mit deutlicher Mehrheit in den Vereinsvorstand gewählt, der Wirtschaftsjurist erhielt 69,5 Prozent der abgegebenen Stimmen (2.065 Mitglieder stimmten für ihn, 906 gegen ihn – bei 60 Enthaltungen). Wettich hatte den Posten des Vizepräsidenten Ende 2019 interimistisch übernommen, nachdem Jürgen Sieger aus persönlichen Gründen nach nicht einmal 100 Tagen im Amt zurückgetreten war. Nun ergänzt der 41-Jährige für den Rest der aktuellen Amtszeit den Vorstand um Werner Wolf und Eckhard Sauren.
„Ich stehe für einen Weg des Miteinanders. Ich stehe für einen FC, der mutig und laut ist. Ich möchte den FC mit Mut, Leidenschaft und Ehrgeiz voranbringen. Ich stehe für einen selbstbestimmten Verein. Ich will zeigen, dass mit dem FC mehr möglich ist. Reden können andere besser als ich, aber ich kann machen“, hatte Wettich zuvor um das Vertrauen der Mitglieder geworben. Auch seine Vorstandskollegen sowie die Vorsitzenden des Mitgliederrats und des Beirats hatten zuvor intensivst für eine Fortsetzung der Zusammenarbeit geworben. Mit einer überzeugenden Zustimmung von mehr als zwei Drittel aller Stimmen folgten die FC-Mitglieder der Empfehlungen der Vereinsführung.
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In der Spitze bis zu 6.000 Mitglieder anwesend
Noch vor der ersten rein virtuellen Mitgliederversammlung schien das Stimmungsbild gespaltener zu sein, eine Wahl Wettichs galt bei vielen Beobachtern rund um den Club als nicht sicher. Zu später Stunde kurz vor 1.30 Uhr durfte dann in der Kölnarena aber kurz gejubelt werden. Vorangegangen war eine intensive vereinsinterne Debatte, die sich auch bedingt durch das virtuelle Format noch zäher gestaltete als vorangegangen Mitgliederversammlungen. Nach dem erfolgten Klassenerhalt, den jüngsten Diskussionen über Vereinsstrukturen und der anhaltenden Kritik an der FC-Führung hatte sich bei der eigentlich für Herbst 2020 angesetzten Veranstaltung viel Redebedarf angestaut. Bis zu 6.000 der knapp 9.000 angemeldeten Mitgliedern waren in der Spitze anwesend, von der als „Chatfunktion“ angepriesenen Eingabemaske für Fragen, Anmerkungen und Anträge wurde reichlich Gebrauch gemacht.
Gerade deshalb zog sich die Mitgliederversammlung, auf der der FC-Vorstand seine Strategie vorstellte. Unter dem Schlagwort „FC-Matchplan“ präsentierten Werner Wolf, Eckhard Sauren und Carsten Wettich ihre noch nicht vollständig ausformulierte Zukunftsvision. „Wir wollen uns in den Top-10 der Bundesliga etablieren und uns durch eine führende Jugendarbeit auszeichnen. Und wir wollen diese Ziele nachhaltiger erreichen, als es ein Verkauf von Anteilen an Investoren wäre“, umriss FC-Präsident die Ziele des zuvor als Siebenjahresplan in der Öffentlichkeit bekanntgewordenen Konzepts, das der Vorstand in Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung und externen Beratern entwickelt hat. „Der mitgliedergeführte Verein, wie wir ihn leben und noch besser leben können, ist eine große Chance. Wir können der Welt zeigen, dass der Traditionsverein kein Auslaufmodell für Romantiker ist“, formulierte Wettich stellvertretend für die Vereinsführung, die einen intensiven Dialog mit den Mitgliedern über die entscheidenden Themen in Aussicht stellten.
Wettich: „Wir haben euch zum Teil aus den Augen verloren“
Gerade den Kontakt zu den Fans hatte der Vorstand zuvor als großen Kritikpunkt an ihrer Arbeit ausgemacht. „Natürlich haben wir in den vergangenen Monaten Fehler gemacht. Fehler, die ich zutiefst bedaure. Es tut uns leid, dass unsere Kommunikation nicht vernünftig funktioniert und präsidialen Ansprüchen nicht genügt hat. Dafür stehe ich als Präsident in besonderer Verantwortung“, zeigte sich Werner Wolf selbstkritisch. Auch Wettich schlug in seinen Reden in dieselbe Kerbe: „Einige derer, die 2019 den Vorstand unterstützt haben, haben vor allem auf den mangelnden Austausch mit den Mitgliedern hingewiesen. Dieser Punkt ist richtig. Da waren wir nicht gut genug. Wir haben uns teilweise zu sehr in die Sacharbeit gestürzt und Euch zum Teil aus den Augen verloren“, erklärte der FC-Vizepräsident in Richtung der Kritiker, die allerdings bei weitem nicht nur mangelnde Kommunikation ausgemacht hatten.
Dass sich Vorstand allerdings nicht nur verteidigen will, sondern auch in die Offensive gehen kann, machte Werner Wolf in seiner Rede sehr deutlich. „Wir reden nicht, wir machen“, widersprach der FC-Präsident den Anwürfen, die Vereinsführung sei nicht präsent genug, und richtete sich dann an einen ziemlich prominenten Kritiker: „Lieber Herr Struth, wir wissen Ihre Sorge zu schätzen. Aber wir hätten es noch mehr geschätzt, wenn Sie unser Gesprächsangebot angenommen hätten. Ich kann sie beruhigen, wir tanzen nicht im Märchenwald, sondern sind in einer realen Welt zu Hause“, adressierte Wolf den Spielerberater, der nach dem Saisonende in einem Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger gegen die Vereinsführung geschossen hatte. Der Konter endete mit einem Märchen, das die Entwicklung des Hamburger SV in den vergangenen Jahren aufs Korn nahm. Dort hatte Struth gemeinsam mit Reiner Calmund den Mäzen Klaus-Michael Kühne intensiv beraten – das Ergebnis, das aus dieser Liaison resultierte, sollte jedem hinlänglich bekannt sein.
“Lieber Herr Struth, wir wissen Ihre Sorge zu schätzen. Aber wir hätten es noch mehr geschätzt, wenn Sie unser Gesprächsangebot angenommen hätten. Ich kann sie beruhigen, wir tanzen nicht im Märchenwald, sondern sind in einer realen Welt zu Hause.”
Vielleicht auch deshalb ging der Vereinsvorstand als einer der Gewinner aus dieser viel zu langen Sitzung hervor. Nach über achteinhalb Stunden hatten die Mitglieder nicht nur Carsten Wettich als Vizepräsident mit klarer Mehrheit bestätigt, sondern auch ebenso deutlich die Vereinsführung für das Geschäftsjahr 2019/20 entlastet (Vorstand: 66,07 Prozent, Mitgliederrat: 74,25 Prozent, Gemeinsamer Ausschuss: 79,86 Prozent) und waren zudem der Empfehlung des Präsidiums bezüglich der Wahlkommission gefolgt. Das vom Vorstand vorgeschlagene Trio Christina Strauß, Christina Trebing und Dorothea Zechmann bildet zukünftig das Gremium – Michael Tuchscherer, der sich zusätzlich beworben und dafür satzungsgemäß die notwendigen Unterschriften eingesammelt hatte, ging leer aus. Alle übrigen Satzungsänderungsanträge, ob von Vorstand oder Mitgliedern eingebracht, wurden nach eindeutigem Votum der Mitgliederversammlung vertagt.
Technik lässt den 1. FC Köln nicht im Stich
Eine verständliche Entscheidung, hatte sich ob der fortgeschrittenen Dauer der Veranstaltung doch zum einen eine gewisse Redundanz in den Wortbeiträgen ergeben als auch ein gewaltiger Teilnehmerschwund bemerkbar gemacht. Von den ursprünglich fast 6.000 Mitgliedern waren schon bei der Wahl Carsten Wettichs zu vorgerückter Stunde nur noch knapp die Hälfte übrig geblieben, eine vernünftige Debatte über die teils wichtigen Anträgen wäre auch durch das nur bedingt geeignete Ausspracheformat vermutlich nicht mehr möglich gewesen. Die Befürchtungen, die Technik könnte dem 1. FC Köln ein Strich durch die Rechnung machen, erwiesen sich derweil als unbegründet – ein Abbruch der virtuellen Mitgliederversammlung aufgrund technischer Probleme wie beim FC Schalke 04 und Dynamo Dresden zuletzt stand dank stabilem, wenngleich nicht fehlerfreiem System zu keiner Zeit zur Debatte.
So blieb der einzig größere Aufreger an diesem Abend ein Thema, das die „Geißböcke“ seit Jahren umtreibt. Angesprochen auf eine etwaige Rückkehr von Lukas Podolski zum 1. FC Köln hatte Werner Wolf gesagt, der Verein sei mit ihm in Kontakt, als Spieler werde der einstige Nationalspieler jedoch im Sommer nicht zu seinem Heimatverein wechseln. Eine Bemerkung, die die kölsche Fußballlegende offenkundig in den falschen Hals bekam und zu einem Tweet provozierte: „Während der Mitgliederversammlung des FC wurde erklärt, dass ich a.) in der kommenden Saison nicht zum FC zurückkehren werde, aber man b.) mit mir in einem guten Dialog sei. a.) kann ich bestätigen, b.) nicht. Der Vorstand des 1. FC Köln steht und stand mit mir nicht in Kontakt“, teilte Podolski via Twitter mit. Im späteren Verlauf der Mitgliederversammlung konkretisierte und korrigierte Wolf: FC-Geschäftsführer Alexander Wehrle stehe in engerem Kontakt mit dem Weltmeister von 2014, angedachte Projekte seien in der Entwicklung.
Der Verein lebt – und zwar von seinem Souverän
„Demokratie ist anstrengend, aber sie lohnt sich“ – mit diesem Bonmot nahm FC-Präsident Werner Wolf sein Fazit bereits nach zwei Stunden Diskussion vorweg. Ob das um 2.38 Uhr, als die erste virtuelle Mitgliederversammlung ein Ende gefunden hatte, alle verbliebenen Teilnehmer noch unterschrieben hätten, scheint zwar fraglich, aber die intensive Debatte über fast neun Stunden hat gezeigt: Der 1. FC Köln lebt – und zwar von seinem Souverän, den über 114.000 Mitgliedern. „Der FC ist weit mehr als ein normaler Verein, der FC ist Emotion, Leidenschaft und Lebensgefühl pur“, formulierte es Alexander Wehrle, der einmal mehr seinen Verbleib bei den „Geißböcken“ bekräftigte. Wie schwierig es um den Verein allerdings finanziell steht, das ist auch deutlich geworden. „Priorität hat in den nächsten beiden Jahren der Klassenerhalt“, so der FC-Finanzgeschäftsführer. Diese Zielsetzung dürfe auf Dauer allerdings nicht der Anspruch sein. Dass dieser in Zukunft erfüllt wird, daran müssen sich seit den frühen Stunden des Freitags der Vorstand um Carsten Wettich und der gesamte Verein messen lassen.
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