Es war passiert: Der große Hennes Weisweiler hatte den 1. FC Köln verlassen. Quasi über Nacht war der Rekordtrainer der “Geißböcke” mitten in der Saison 1979/80 zu Cosmos New York geflohen. Lange Zeit hatten die Kölner um den Titel mitgespielt, aber nach Heimniederlagen gegen den HSV und Bayern München war die Luft in der Meisterfrage raus. Dazu kam ein Krach Weisweilers mit FC-Präsident Peter Weiand. Das war in Summe zu viel für den großen Hennes, der seinen Abschied vom Geißbockheim vollzog.
Was nun? Da sich der Abschied des großen Weisweiler andeutete, hatte Manager Karl-Heinz Thielen bereits vorgesorgt und erste Gespräche mit eventuellen Nachfolgern geführt. Zur Überraschung aller präsentierte man in der Folge einen Übungsleiter, den wirklich kaum jemand auf dem Zettel hatte: Karl-Heinz Heddergott. Thielen erzählte Jahre später, dass er sich einiges von dieser Lösung versprochen hatte. Schließlich galt Heddergott als eine absolute Fußball-Koryphäe, welcher bei vielen Landesverbänden große Erfolge erzielte.
Neue Wege gehen: Normalität beim damaligen FC
Vor allem im Jugendbereich hatte der gebürtige Düsseldorfer viele Klassespieler geformt. Legenden wie Wolfgang Overath und viele andere erwähnten immer wieder, wie sehr sie von ihm in ihrer spielerischen Frühentwicklung geformt und gefördert wurden. Unzählige Lehrgänge wurden von Heddergott entworfen und geleitet. Der ehemalige Assistent von Sepp Herberger und später auch Spielebeobachter Helmut Schöns bei der WM von 1974 hatte sich über Jahrzehnte einen herausragenden Ruf als Fußball-Fachmann erworben. Dazu trug auch sein in viele Sprachen übersetztes Lehrbuch „Neue Fußball-Lehre“ bei.
Doch bei allem theoretischen Fachwissen fehlte Heddergott die Erfahrung im professionellen Fußball. Die Bundesliga war ihm als verantwortlicher Trainer unbekannt. Beim 1. FC Köln vertraute man bei der Entscheidung aber auf die große und weithin anerkannte Fachkompetenz des damaligen DFB-Ausbilders. Das war sicher mutig, aber die “Geißböcke” waren seinerzeit generell ein Verein, der bereit war, neue Wege zu gehen und ausgetretene Pfade zu verlassen. Double-Manager Karl- Heinz Thielen selbst war das beste und erfolgreiche Beispiel dafür. Mit ihm – und nicht mit Uli Hoeneß wie oft kolportiert wird – wurde 1973 erstmals ein bekannter Spieler zum Manager eines Vereins gekürt. Management-Aufgaben wurde zuvor zumeist von den Präsidenten der Vereine übernommen. Ein heute kaum mehr denkbares Modell, welches der FC durchbrach.
Doch mit Rolf Herings agierte auch der erste Torwarttrainer Deutschlands am Kölner Grüngürtel und brachte dabei Top-Stars wie Toni Schumacher und Bodo Illgner heraus. Warum also sollte das Wagnis mit Karl-Heinz Heddergott nicht versucht werden? Die Gleichung „Trainer-Fachkompetenz + fußballerische Hochbegabung = Titel“ sollte aufgehen. Die Nachricht von der Verpflichtung Heddergotts wurde medial fast größer aufgenommen als der Abschied Weisweilers. Der 1. FC Köln hatte schließlich zwei Jahre nach dem Double nach wie vor ein absolutes Top-Team am Start. Namen wie Toni Schumacher, Bernd Cullmann, Pierre Littbarski, Harald Konopka, Stephan Engels, Herbert Zimmermann, Bernd Schuster, Herbert Neumann, Dieter Müller, Tony Woodcock und Yasuhiko Okudera zeigen die Stärke des Kaders.
Pokalfinale gegen Fortuna Düsseldorf
Mit so einem Team musste man oben nicht nur mitspielen, man hatte Titel zu holen. Dies und nichts anderes wurde schließlich auch vom Top-Theoretiker Heddergott erwartet. Dass sein auch überregional vielbeachtetes Debüt bei der 2:3-Niederlage trotz zweimaliger Führung gegen den MSV Duisburg in die Hose ging, wurde noch den Folgen des plötzlichen Weisweiler-Abgangs zugesprochen. Doch auch die nächsten Wochen wurden nicht besser: Auswärtsniederlagen in Kaiserslautern und Bochum sowie ein schmales 2:2 daheim gegen Eintracht Frankfurt ließen erste Zweifel aufkommen. Durch zwei Siege an den letzten beiden Spieltagen, dabei ein 5:0 bei Werder Bremen, das deren ersten Abstieg besiegelte, wurde die Volksseele besänftigt.
Der Plan schien aufzugehen, die Kölner wähnten sich mit dem Erreichen des fünften Platzes und der damit verbundenen Teilnahme im Europapokal auf einem guten Weg. Schließlich hatten die “Geißböcke” auch noch das mit Hennes Weisweiler erreichte DFB-Pokalfinale vor Augen. Gegner war Titelverteidiger Fortuna Düsseldorf, den rheinischen Rivalen hatte der FC zwei Jahre zuvor noch im Rahmen des Doubles niedergerungen hatte. Das Team aus des Landeshauptstadt, nach der Finalniederlage 1978 im Jahr danach im Endspiel erfolgreich, war in der Liga nur drei Punkte vor einem Abstiegsplatz auf Platz elf eingelaufen, galt aber als amtierender Pokalsieger mit den späteren FC-Spielern Klaus- und Thomas Allofs als gefährlich.
“Man hat es zu wenig gewollt”
Nach ordentlicher erster Halbzeit führte der 1. FC Köln im Finale durch ein Tor von Bernd Cullmann mit 1:0, doch in der zweiten Halbzeit ließ man sich von den Fortunen überrumpeln. Treffer von Rüdiger Wenzel und Thomas Allofs besiegelten im Gelsenkirchener Parkstadion vor 65.000 Zuschauern die Endspielniederlage der “Geißböcke”. Obwohl man Heddergott taktisch nicht viel vorwerfen konnte, so fiel doch auf, dass es innerhalb der Mannschaft einfach nicht stimmte. „Man hat es zu wenig gewollt“ konstatierte Bernd Schuster Jahre später und bedauerte, dass man diesen Titel zu einfach hergegeben hatte.
Das Aufeinanderprallen zweier Welten
Heddergotts Aufgabe war es, für die neue Saison die Kölner Startruppe wieder den Spaß am Fußball und die Lust auf Erfolge zurück zu bringen. Doch die Maßnahmen, die er dafür traf, trafen teilweise auf großes Unverständnis. So ließ er die Spieler nach Trainingsschluss beständig „Hipp, Hipp, Hurra!“ rufen und trat sogar einige Male vor seinen Schützlingen mit Gitarre auf, um zum Mitsingen zu animieren. Sicher alles Dinge, die vor Jugendmannschaften seinerzeit lange funktioniert hatten. In einer Startruppe der immer mehr auch businesstechnisch prosperierenden Bundesliga kam bei den meisten Akteuren in solchen Momenten eher Fremdscham auf. Im Spielerkreis begannen die FC-Stars mehr und mehr, den Trainer nicht mehr ernst zu nehmen.
Es trafen quasi zwei Welten aufeinander. Hier der theoretische Fachmann der Fußball-Lehrgänge, dessen Ferienlager-Gewohnheiten auf Schüler- und Jugendlichen-Niveau eher den Charme der sechziger und frühen siebziger Jahre versprühte. Und da eine Truppe, die längst mit Großverdienern gespickt war und mit der Fußball-Romantik wenig bis nichts mehr am Hut hatte. Die Zeiten hatten sich gewandelt, längst war die Frühphase der Liga mit besseren Feierband-Fußballern vorbei. Die Profis trugen nun Goldkettchen, erste farbige Strähnen im Haar und trugen dazu Dauerwelle. Fußballer wie Hansi Müller waren Mode- und Stilikonen der Jugend der frühen 80er geworden. Mit „Hipp, Hipp Hurra“ hatte diese Generation kaum noch etwas gemein.
Interne Querelen, mediales Desaster
Hinter vorgehaltener Hand wurde schon nach kurzer Zeit bereits über Heddergott gelacht. Als dieser mitbekam, wie ihm das Team mehr und mehr entglitt, soll er auch cholerische Züge gezeigt haben. Die Spieler verloren den Glauben, dass sie mit diesem Trainertypus Erfolg haben konnten. Längst lagen einige, wie zum Beispiel Bernd Schuster und Herbert Neumann, im offenen Clinch mit dem Coach, auch andere Führungsspieler hatten ihre Differenzen mit dem Übungsleiter. Seit geraumer Zeit hatten die Medien mitbekommen, was da beim 1. FC Köln im Argen lag, und sie stürzten sich darauf. Auch ein Umstand, den die Verantwortlichen am Geißbockheim nicht bedacht hatte, denn Heddergott konnte mit der medialen Wucht, die ihn traf, einfach nicht umgehen.
Ein Beleg dafür ist sicher der in den letzten Jahren bekannt gewordene Ausschnitt von der Pressekonferenz nach einem Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg (2:2), als sich nach einigen Niederlagen bereits die Gerüchte um die baldige Ablösung des Trainers mehrten. Zwar war es entgegen den heutigen Gewohnheiten seinerzeit tatsächlich unüblich, diese via TV-Kameras aufzuzeichnen. Dennoch zeigte sich Heddergott in dieser Situation nicht souverän und verbot dem Reporter der Tagesthemen und dessen Kamerateam, den weiteren Verlauf der PK zu filmen. Die ARD sah sich im Nachgang zu einem Statement gegen diese Auswüchse gezwungen. Das mediale Desaster sorgte für weitere Diskussionen um den Übungsleiter und seinen Methoden.
Das große Experiment krachend gescheitert
Zuvor war bereits mit Bernd Schuster der kommende Superstar des deutschen und europäischen Fußballs von der Fahne gegangen. Er kam als spezieller und freigeistiger Typus am wenigsten mit den aus seiner Sicht altertümlichen Methoden Heddergotts zurecht. Es wäre jedoch falsch und ungerecht, dies Heddergott alleine anzulasten, denn Schuster hatte bereits vor dessen Antritt mehrfach Abwanderungsgedanken offen ausgesprochen. Ein Angebot von Bayern München, dorthin wollte Schuster unbedingt, schmetterte der 1. FC Köln bereits zuvor ab. Nun jedoch ließen die “Geißböcke” Schuster nach Barcelona ziehen. Die bereits erwähnte Pressekonferenz sowie die zuvor gezeigten Leistungen, der Schuster-Abgang sowie die Kommunikation mit den Profis und den Medien allgemein hatten längst bewiesen, dass hier prinzipiell ein sehr großes Missverständnis vorgelegen hatte.
Anfang Oktober 1980 zog der FC die Reißleine und trennte sich von Heddergott, der durch den Niederländer Rinus Michels ersetzt wurde. Die bereits genannte Gleichung ging einfach nicht auf, weil Sender und Empfänger keine Verbindung zueinander hatten und diese auch nicht bilden konnte. Das große Experiment mit dem DFB-Ausbilder war krachend gescheitert. Der 1. FC Köln wurde diesmal für seinen mutigen Schritt nicht belohnt, nicht immer gehen eben solche Risiken, die mit neu eingeschlagenen Wegen nun einmal eingegangen werden, gut aus. Dennoch war der Grundgedanke sicher nicht völlig falsch, es musste wohl einfach einmal versucht werden. Rund um die “Geißböcke” hat Karl-Heinz Heddergott trotz dieser Kurzzeitbeschäftigung einen gewissen Kultstatus erreicht, bei den Fans bleibt er sicherlich unvergessen.
Lebensvita ist und bleibt beeindruckend
Was aber nie vergessen werden darf: Trotz des Scheiterns in der Bundesliga war Karl-Heinz Heddergott weiß Gott kein schlechter Trainer. Er war sogar ein nachgewiesen sehr guter Coach. Seine Lebensvita ist und bleibt beeindruckend, sein Ruf bleibt enorm und die Beliebtheit und die Bewunderung ist ihm bei denjenigen sicher, die ihn in seinen prägenden Rollen im deutschen Fußball erlebt haben. Das können ein paar wenige Monate nicht verändern, als er mutig eine Rolle übernahm, die schlicht nicht passte.
Karl-Heinz Heddergott, Trainer des 1. FC Köln vom 16. April bis zum 13. Oktober 1980, ist am 27. Mai 2021 im Alter von 94 Jahren verstorben. Ruhe in Frieden!