Von Arne Steinberg und David Schmitz
Der Mitgliederrat des 1. FC Köln hat Carsten Wettich für die im Herbst anstehende Mitgliederversammlung des Vereins vorgeschlagen. Dort wird sich der Anwalt, der nach dem Ausscheiden des 2019 gewählten Jürgen Sieger kommissarisch das Amt des Vizepräsidenten ausübte, dem Votum der FC-Mitglieder stellen. Bis dato war Wettich als Entsandter des Mitgliederrats im Vorstand des Vereins, nachdem sein Vorgänger Sieger im vergangenen Dezember zurückgetreten war. Bis zum 15. August hatte der Mitgliederrat der Wahlkommission einen Vorschlag machen müssen – nun soll Wettich sein Amt weiterführen. Der 40-Jährige gehört seit 2013 dem Mitgliederrat des 1. FC Köln an.
„Der Klub befindet sich in einer sehr schwierigen Phase. Im Moment wäre es nach meiner Wahrnehmung nicht richtig, von Bord zu gehen”, sagte Wettich am vergangenen Mittwoch im Rahmen des Mitgliederstammtisches. Und tatsächlich: Das Jahr 2020 entwickelt sich zu einer sehr großen Herausforderung für den Bundesligisten. Aus sportlicher Sicht müssen Horst Heldt und Markus Gisdol gemeinsam mit der Mannschaft die schwierige Aufgabe erfüllen, den Klassenerhalt zu schaffen. Die finanzielle Situation, nach der Misswirtschaft in der Vergangenheit ohnehin schon angespannt, hat sich durch die Einnahmeausfälle durch die Corona-Pandemie verschärft. „Wir befinden uns in der wahrscheinlich schwierigsten wirtschaftlichen Situation der Klubgeschichte”, erklärte Finanz-Geschäftsführer Alexander Wehrle den Mitgliedern vor einigen Tagen.
Es werden alte Vorwürfe aus der Schublade geholt
Das Vorstandstrio soll nun bis zur nächsten Wahl im Jahr 2022 durch Carsten Wettich komplettiert werden. Analog zur Mitgliederversammlung im letzten Jahr hätte es auch dieses Mal zu einer Kampfkandidatur kommen können, wenn ein*e Bewerber*in drei Prozent der Mitgliederzahl hinter sich hätte vereinen können. Eine solche Gegenkandidatur kam allerdings erneut nicht zustande. Vor der Wahl von Werner Wolf, Eckhard Sauren und Jürgen Sieger waren im Kölner Umfeld Diskussionen zu vernehmen, in denen es darum ging, dass die Satzung des 1. FC Köln “undemokratisch” sei und eine “echte Wahl” verhindere. Auch Monate später, wo sich in einzelnen Medien erneut ähnliche Debatten entspinnen, sollte man nicht müde werden zu betonen, dass diese Behauptungen keine Grundlage haben, auch wenn die üblichen Verdächtigen munter weiter raunen.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesliga-Vereinen verfügt der 1. FC Köln über eine demokratische Satzung. Diese ist nicht irgendwann vom Himmel gefallen, sondern sie war das Ergebnis eines langwierigen Aushandlungsprozesses nach den Verfehlungen in der Overath-Ära. Das höchste Organ des Vereins ist die Mitgliederversammlung, der Mitgliederrat “überwacht die Geschäftsführung des Vorstands und berät den Vorstand in wichtigen Angelegenheiten”. Der Mitgliederrat darf ein Vorstandsteam vorschlagen, über dessen Eignung die Mitglieder per Wahl entscheiden dürfen. Grundsätzlich steht es jedem FC-Mitglied offen, sich für den Mitgliederrat zu bewerben, die Hürde ist die Unterstützung von 100 Mitgliedern.
Soviel zu den Fakten.
Ganz besonders interessant vor jeder anstehenden Wahl beim 1. FC Köln: Mithilfe medialer Kampagnen suchen ehemalige Spieler oder frühere Amtsinhaber die Gelegenheit, den Mitgliederrat und/oder dessen Vertreter*innen zu diskreditieren. Dieser Vorgang ließ sich natürlich auch wieder im Vorfeld der Nominierung von Carsten Wettich als Vizepräsident beobachten.
Stephan Engels spricht von Täuschung und Lügen – auf welcher Grundlage?
Da war der 59-jährige Stephan Engels, der in den 1980er Jahren fast 300 Spiele für den 1. FC Köln bestritt und später als Trainer, Jugendkoordinator und Scout für den FC arbeitete, der nun ebenfalls für das Amt des Vizepräsidenten kandidieren wollte. Dies hielt der Kölner Stadt-Anzeiger vor einigen Tagen fest. Engels, der sich in der Vergangenheit häufiger gegen das Team von Wolf und Sauren positioniert hatte, kritisierte vor allem den Mitgliederrats-Vorsitzenden Stefan Müller-Römer. „Mir geht es einzig um die Zukunft des FC. Es geht nicht um mich, ich bin völlig unabhängig. Doch ich mache mir große Sorgen um den FC. Dort sind einige Personen am Ruder, denen persönliche Interessen vor denen des Vereins gehen”, sagte Engels. Weiterhin sprach er von “Lügen” und einem “abgekarteten Spiel”, weil ihm nie eine faire Chance eingeräumt worden sein soll. In der Bild-Zeitung und im kicker legte Engels nun noch einmal nach. „Die Mitglieder werden bewusst getäuscht und belogen”, polterte der Ex-Spieler los. „Die Art und Weise, wie der neue Vorstand installiert und andere Bewerber ausgebootet wurden, war schon dreist.” Die Attacken gelten erneut Müller-Römer, aber auch Präsident Werner Wolf und Vize-Präsident Eckhard Sauren.
Müller-Römer bestritt die Vorwürfe schon in der Vorwoche und verwies gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger auf eine Einladung zu einer Sitzung des Mitgliederrats, die Engels allerdings nicht angenommen habe. Den “Alt-Internationalen” hält das jedoch nicht davon ab, weiter im Boulevard zu poltern. Der eigentliche Vorwurf ist dabei relativ profan. effzeh.com-Informationen zufolge hatte sich der amtierende Vorstand um Wolf und Sauren für einen Verbleib von Carsten Wettich im Vorstand ausgesprochen. Warum hätte der Mitgliederrat also ausgerechnet einen Kandidaten vorschlagen sollen, der in jüngerer Vergangenheit vor allem mit Kritik an der Wahl seiner potentiellen Vorstandskollegen und Unterstützung für Ex-Vize Toni Schumacher aufgefallen ist? Aus Sicht des Gremiums hätte es kaum Sinn ergeben, ein funktionierendes Trio ausgerechnet mit Stephan Engels zu verändern. Dennoch stand Engels jederzeit der Weg zur Kandidatur via Unterschriften offen, doch der 59-Jährige wollte offensichtlich vom Mitgliederrat ins Rennen geschickt werden und hatte offenbar die Hoffnung, das – wie in der Vergangenheit so oft – ein großer Name ausreicht, um als qualifiziert zu gelten.
Eine weitere Personalie wurde im Nachgang ebenfalls diskutiert: Jörg Jakobs, aktuell sportlicher Berater des Vorstands, soll ebenfalls Interesse am Vize-Amt bekundet haben. Der Sportwissenschaftler war im Mai 2019 bei der Vorstellung des neuen Vorstandtrios als entscheidende Figur genannt worden, weil er das Kompetenzteam Sport leiten sollte – kein weiteres Gremium, aber immerhin ein Team mit Beratungsfunktion. Auch hier wurde die frühe Festlegung auf Wettich als “Beleg für mangelnde Transparenz” ausgelegt, schreibt der Kölner Stadt-Anzeiger. Beim Mitgliederrat vorstellig wurde Jakobs nicht.
Die Diskussionen um den Mitgliederrat flammen erneut auf
Unabhängig von der Eignung der beiden genannten Kandidaten: Warum muss sich der Mitgliederrat, der aus elf gewählten Vertreter*innen besteht, immer wieder damit auseinandersetzen, dass er in den Augen der medialen Öffentlichkeit scheinbar nicht gut, transparent, demokratisch oder professionell genug arbeite? Der Nominierungsprozess für die dritte Stelle im Vorstand ist klaren Regeln unterworfen, die aus der Satzung des 1. FC Köln hervorgehen. Der Entscheidungsprozess hatte offensichtlich als Ergebnis, dass die bisherige Arbeit von Wettich, die gute Zusammenarbeit mit seinen Vorstandskollegen und seine grundsätzliche Eignung die beste Grundlage dafür bieten, ab dem Zeitpunkt der Mitgliederversammlung ein festes drittes Mitglied im Vorstand zu haben.
Die Abstimmung innerhalb des elfköpfigen Gremiums hatte zur Folge, dass der Mitgliederrat Wettichs Namen als Kandidat an die Wahlkommission übermittelte – ein gar nicht mal so komplexer Vorgang. Daher ist es schon überraschend, dass sich das Gremium, das aus Vertreter*innen der Mitgliedschaft besteht, regelmäßig mit Kritik aus bestimmten Medienerzeugnissen auseinandersetzen muss. Die Vorwürfe gehen immer in dieselbe Richtung: “Klüngelei” und “Anti-Demokratie” gelten als zentrale Argumentationslinien. Einen Beleg für diese Thesen sind die Kritiker bisher schuldig geblieben – sieht man von den Vorwürfen von Stephan Engels ab, die Müller-Römer abstritt. Aussage gegen Aussage. Aber es wird erneut diskutiert.
Wettichs Nominierung ergibt Sinn
Dass Engels sich im Interview mit Bild nun aber auch Argumentationslinien bedient, die man sonst vor allem von Trollen in den sozialen Netzwerken zu hören bekommt, lässt die Kritiker nicht seriöser erscheinen. „An den Müller-Römer-Methoden geht unser Klub kaputt und sein von nur fünf Prozent aller Mitglieder gewähltes Gremium übernimmt den FC” raunt Engels und spielt damit darauf an, dass der Mitgliederrat, wie alle anderen Gremien im Club auch, auf der Mitgliederversammlung von den anwesenden Mitgliedern gewählt wird. Ein Umstand, der Engels und andere Kritiker bei der erfolgreichen Wahl seines Weggefährten Toni Schumacher als Vize-Präsident noch nicht gestört hat.
Die Zusammenstellung des Vorstandsteams mit Werner Wolf und Eckhard Sauren war, trotz der zwischenzeitlich doch arg zurückhaltenden Arbeitsweise der beiden, bewusst gewählt – gerade weil mit Jürgen Sieger ein Jurist ausschieden war, erscheint es durchaus sinnvoll, mit Wettich einen Kollegen aus selbigem Berufsstand einzusetzen. Der Themenschwerpunkt “Sport” obliegt den jüngsten Eindrucken zufolge ohnehin Sauren. Die ewige Diskussion, dass ein Vorstand auch sportliche Kompetenz brauche, trat bereits im vergangenen Herbst zutage. Von daher war es durchaus sinnvoll, dieses Thema in ein externes Beratungsteam auszulagern.
Was passiert bei weiteren Veränderungen?
Vor dem Hintergrund der anstehenden Herausforderungen beim Verein und in der KGaA scheinen Umstrukturierungen derzeit unausweichlich – sowohl personell als auch in der Organisationsstruktur. Zuletzt mussten mit Klaus Maierstein und Tobias Kaufmann zwei ehemalige langjährige Mitarbeiter bereits das Geißbockheim verlassen, weitere Trennungen und Veränderungen sind offenbar nicht ausgeschlossen. Die Nominierung von Wettich und die Trennung von Kommunikationschef Kaufmann bieten dabei einen Vorgeschmack für Präsident Wolf, welch Getöse die nötigen Veränderungen noch auslösen könnten.
Und das nicht nur von außen, sondern auch im Innern: Alexander Wehrle brauchte jedenfalls nicht lange, um öffentlich zu erklären, dass die Entlassung Tobias Kaufmanns eine Entscheidung des Vorstands und nicht der Geschäftsführung war – das Medium der Wahl war auch hier die Bild-Zeitung. Auf große Gegenliebe ist der FC-Geschäftsführer beim Vorstand mit diesem Manöver effzeh.com-Informationen zufolge nicht gestoßen. Einfach dürften weitere Kurskorrekturen für den Vorstand also nicht werden. Dass Wolf und Sauren dabei ebenso wie der Mitgliederrat auf Wettich als Vize-Präsidenten zählen, ist daher nachvollziehbar. Der 1. FC Köln muss gesund und nachhaltig wirtschaften, um die aktuelle Krise zu überstehen – von daher braucht es auch Kontinuität und vor allem Kompetenz im Vorstand.