So trist die Gegenwart beim 1. FC Köln auch sein mag, die Vergangenheit der „Geißböcke“ hat so manches Highlight zu bieten. Ein solches erweckt Frank Steffan mit seinem Buch “Mythos Radrennbahn – Als bei den Heimspielen des 1. FC Köln 1971 bis 1976 der Rasen brannte” wieder zum Leben. Unter dem Motto „Eine geile Zeit verdient ein geiles Buch“ präsentierte der Autor diverser Bücher über die FC-Historie (unter anderem „Das Double“ und “Heinz Flohe – Der mit dem Ball tanzte“) am Donnerstagabend im Bootshaus „Alte Liebe“ in Rodenkirchen sein neuestes Werk über eine besondere Ära eines besonderen Clubs.
„Das ist wahrscheinlich das erste und einzige Mal, dass diese spektakuläre Zeit aus der Geschichte des 1. FC Köln dokumentiert wird. Es geht darum, dass das Buch die damalige Zeit festhält und sie so für die Nachwelt erhalten bleibt. Alle Spiele, die damals dort stattfanden, sollten dokumentiert werden. Das war der wichtigste Aufhänger für dieses Projekt“, schilderte Steffan im Talk mit Ralf Friedrichs die Motivation für das Buch. Gerade die Stimmung in der ungewöhnlichen Heimspielstätte der „Geißböcke“ war ein wichtiger Faktor für diese unvergessliche Epoche, geprägt durch ein spielstarkes Kölner Team: „Wenn das eine fürchterlich schlechte Mannschaft gewesen wäre, hätte auch dieses Stadion nicht geholfen. Das sieht man ja auch heute. Die damalige Mannschaft war eine durch und durch beeindruckende Mannschaft. Die beengte, intime Atmosphäre in der Radrennbahn hat das dann noch hervorgekitzelt“, so Steffan.
Unfassbare Quote: 106 Pflichtspiele, 79 Siege
Doch der Autor stellte die 168 Seiten starke Dokumentation nicht allein vor, seinem Ruf folgten unter anderem Vereinslegenden wie Wolfgang „Bulle“ Weber, Bernd Cullmann, der vor kurzem seinen 70. Geburtstag feierte, oder Karl-Heinz Thielen in den Kölner Süden. Vor ausgewähltem Publikum erzählten die einstigen Hauptdarsteller über die Zeit in der Radrennbahn von 1971 bis 1976. „Das war eine richtige Bretterbude. Keine Cheerleader, keine gepolsterten Sitze oder sowas – einfach Fußball pur“, schilderte Steffan den Charme der Radrennbahn. Als kurzfristiges Provisorium gedacht sollte der FC dort eigentlich nur für höchstens zwei Jahre spielen, während die Hauptkampfbahn des Müngersdorfer Stadions nebenan abgerissen und für die WM 1974 neu erbaut werden würde. Es kam – typisch kölsch – etwas anders, doch die „Geißböcke“ machten das Beste daraus.
Sportlich hieß das: Von 106 Pflichtspielen (Bundesliga, DFB-Pokal, UEFA-Cup) gewann der FC um Weltstar Wolfgang Overath, der im Mittelfeld neben Heinz Flohe die Fäden zog, unfassbare 79 Partien. Dieser permanente Ausnahmezustand bescherte Köln die glanzvollsten Fußballfeste aller Zeiten. Einen großen Beitrag dazu leistete die Stimmung in der Radrennbahn, die sich durch seine Enge zu einem richtigen Hexenkessel entwickelte. „Das Stadion an sich war für uns toll, es war eine unglaubliche Atmosphäre in der Radrennbahn. Wir haben dort Spiele gewonnen, die hätten wir im großen Stadion wohl eher nicht gewonnen“, geriet Bernd Cullmann beispielsweise bei der Erinnerung an die Heimspiele in dem beengten Provisorium ins Schwärmen.
“…dann ging so richtig die Post ab!”
Eine Atmosphäre, die auch Wolfgang Weber nachdrücklich im Gedächtnis geblieben ist. „In guter Erinnerung sind vor allem die Europapokal-Abende. Wenn es unter Flutlicht in diesem Kessel ging, dann ging die Post so richtig ab. Wenn wir von der Umkleidekabine durch diesen Tunnel auf den Platz gegangen sind, war dort selbst bei nur 15.000 bis 20.000 Zuschauern eine sensationelle Stimmung. Die Fans haben uns unglaublich unterstützt“, so der Vize-Weltmeister von 1966. Das war auch nötig, denn die finanziellen Einbußen durch die geringere Zuschauerkapazität taten dem FC enorm weh, wie auch Karl-Heinz Thielen eindrücklich erzählte. Keine leichte Aufgabe, die der einstige Spieler bei seinem Wechsel auf die Funktionärsebene zu bewältigen hatte.
Das betonte auch Bernd Cullmann: „Für Verein und Spieler bedeutete diese Zeit, als wir vom 60.000-Mann-Stadion in die Radrennbahn, wo nur 28.000 Zuschauer hineinpassten, gezogen sind einen großen Einschnitt“, rekapitulierte der Welt- und Europameister: „Das war eine finanzielle Mammutaufgabe für den 1. FC Köln. Wir hatten eine Mannschaft gespickt mit Nationalspielern. Dass es dem Verein gelungen ist, diese Spieler in Köln zu halten, muss man dem Club und vor allem Karl-Heinz Thielen sehr hoch anrechnen“, lobte er seinen einstigen Mitspieler und späteren Vorgesetzten. Nur einer Einschätzung an diesem Abend konnte Cullmann nicht zustimmen. „Dass es die fußballerisch schönste Zeit war, würde ich jetzt so nicht bestätigen. Denn das hängt immer zusammen mit Erfolgen, die der Verein gefeiert hat. Wir haben in dieser Zeit keinen Titel gewonnen und zu viel liegen lassen, das muss man klar so sagen.“
Die Zeit in der Radrennbahn zum Greifen nah
Doch auch ohne eine durchaus mögliche Meisterschaft, das bestätigten an diesem Abend auf der „Alten Liebe“ noch zahlreiche Zeitzeugen wie FC-Stadionsprecher Michael Trippel oder Masseur Carlo Drauth, war die fünfjährige Phase der „Geißböcke“ in der Radrennbahn eine unvergleichliche Epoche in der Historie des 1. FC Köln. Wie das damals denn alles gewesen ist, davon erzählten sich FC-Legenden und –Fans auch nach dem Talk noch in ungezwungener Atmosphäre mit Blick auf den Rhein. Für wenige Stunden wirkte es so, als sei der „Mythos Radrennbahn“ noch einmal zum Greifen nah – und die triste Gegenwart des Traditionsvereins aus der Domstadt unendlich weit weg.