Leev Lück,
da die Saison im deutschen Profifußball ja seit Dienstagabend endgültig Geschichte ist, kann ich es Euch endlich sagen. Ich habe nahezu Unaussprechliches getan. Ich habe etwas getan, wofür ich mich eigentlich schämen sollte. Und in früheren Zeiten bestimmt auch geschämt hätte. Ich habe für ein anderes Team als den 1. FC Köln gejubelt. So richtig mit Freude, Emotionen und allem Drum und Dran. Und zwar nicht, weil es für meinen FC gut gewesen wäre oder es deswegen einem noch mehr verhassten Gegner schlecht erging. Ich habe mich einfach von Herzen gefreut. Für Union Berlin, das den Aufstieg in der Relegation gegen den VfB Stuttgart perfekt gemacht hatte.
Wer die Bilder aus der Alten Försterei gesehen hat, der wird verstehen, was ich meine. Mir ging das Herz auf, als ich die jubelnden, weinenden Massen auf dem Köpenicker Rasen bewunderte. Diese grenzenlose Freude, diese überschäumenden Emotionen, diese Gänsehaut-Atmosphäre. Vor allem gegen Ende des Relegationsrückspiels fieberte ich regelrecht mit dem Underdog mit, zitterte bei jeder Flanke und jedem Schuss, feierte jede gelungene Abwehraktion und jeden Entlastungsangriff. Ich mag mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie es den Union-Fans (und auch dem VfB-Anhang) in diesen Situationen zumute war. Nerven zum Zerreißen gespannt, den Auf- oder den Abstieg direkt vor Augen. Vermutlich wäre ich angesichts dieser Voraussetzungen an einem Herzinfarkt noch vor dem Anpfiff niedergestreckt worden.
Freude über Union Berlin – ein Aufstieg ist nicht selbstverständlich
In diese Gefahr kam ich beim FC in dieser Saison glücklicherweise nicht. Relativ unemotional verfolgte ich die Spiele – irgendwie immer im Hinterkopf, dass es schon mit dem Teufel zugehen müsste, wenn diese Mannschaft in dieser in der Spitze doch sehr schwachen 2. Bundesliga nicht aufsteigen würde. Es waren packende Partien dabei, schöne Schützenfeste und die obligatorischen Grottenkicks, aber so richtig eingenommen hat mich das FC-Jahr nicht. Umso schöner, wenn man sieht, wie sich andere über den Aufstieg in die Bundesliga freuen können. Es zeigt, dass auch das für uns Kölner nichts Selbstverständliches sein sollte, auch wenn es in diesem Jahr so wirkte. Und ja: Ich habe mich für die „Eisernen“ gefreut, obwohl Teile ihrer Ultras mit unserem Rivalen aus der niederrheinischen Steppe befreundet sind. Und auch, obwohl mir der mitunter doch kritiklose Hype rund um den Kultverein mächtig auf die Nüsse geht. Es ist einfach herrlich anzuschauen, wie sich dieser nicht normale Verein endlich in die Bundesliga gearbeitet hat.
Ganz und gar nicht herrlich war das Bild derweil, was der kontinentale Fußball am Mittwoch bot. Das Europa-League-Finale zwischen dem Chelsea FC und dem Arsenal FC war auf dem Papier zwar eine rein Londoner Angelegenheit, doch schlug die Partie schon im Vorfeld hohe Wellen. Zum einen war da der Austragungsort im aserbaidschanischen Baku, der vielen Kritikern sauer aufstieß. Die Menschenrechtssituation im autokratisch regierten Kaukasus-Staat ist gelinde gesagt eine Katastrophe. Dazu war die Anreise nicht nur ob der Entfernung eine gewaltige Herausforderung für die Fanlager der Premier-League-Clubs, die darüber hinaus lediglich einen kleinen Teil der Karten zur Verfügung gestellt bekamen. Der Rest ging an Sponsoren und sollte in Baku selbst an den Mann oder die Frau gebracht werden. Die Folge: Eine trostlose Kulisse, die eines Europapokal-Endspiels nicht würdig war.
Die Austragung in Baku war der UEFA unwürdig
Aber das war noch nicht einmal der größte Skandal. Aufseiten der „Gunners“ fehlte nämlich ein Leistungsträger, der das Finale sicherlich gerne absolviert hätte: Henrikh Mkhitaryan musste das Endspiel von der Couch verfolgen – aber nicht, weil er verletzt oder gesperrt gefehlt hat. Der Einsatz des armenischen Mittelfeldstrategen fiel einem politischen Konflikt zum Opfer, der bereits seit längerem schwelt. Armenien und Aserbaidschan befinden sich in einem länger andauernden Streit um die Region Bergkarabach, der die Beziehung beider Länder zueinander nachhaltig ge- beziehungsweise zerstört hat. Zwar hält der Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien, doch eine Einreise des prominenten armenischen Sportlers wäre sicherlich nicht ohne Folgen abgelaufen.
Weil für Mkhitaryans Sicherheit nicht garantiert werden konnte, verzichtete Arsenal auf einen Einsatz seines Leistungsträgers. Eine politische Posse, ein Skandal sondergleichen – aber es wird keine Folgen haben. Ich meine: Klar haben wir auch von der #roadtobaku gesprochen, aber das weit entfernte Ziel galt eher als Chiffre für unseren Traum vom Europapokal. Dass dagegen die UEFA diesen Weg mit breiter Brust beschreitet, ist peinlich und eines Verbandes, der sich „Equal Game“ auf die Fahnen schreibt, unwürdig. Es kommt einem sofort Brecht in den Kopf – erstickt an euren Zusatzmillionen, werte Fußballfunktionäre.
Jetzt die Gefühle für die Konkurrenz wieder loswerden
Um ein Haar hätte es sogar Eintracht Frankfurt dorthin geschafft – ein Verein, dessen Weg mich in dieser Spielzeit tatsächlich ebenfalls emotional berührt hat. Ich habe bei Rodes Tor im Viertelfinale mit einem Jubelschrei die eigene Familie und die gesamte Nachbarschaft verschreckt (sorry nochmals!), bei Trapps Parade im Elfmeterschießen beim FC Chelsea bin ich fast von der Couch gefallen. Und „Eintracht vom Main“ ist ein heimlicher Ohrwurm bei mir geworden. Dass sie im Elfmeterschießen an den „Blues“ scheiterten, brach mir fast das Herz. Aber wenn ich sehe, wie das Endspiel in Aserbaidschan letztlich ablief, blutete es etwas weniger. Und in der Sommerpause arbeitete ich hart daran, meine unerwarteten Gefühle für die Konkurrenz loszuwerden. Ich sage ganz klar: Bis zum Saisonstart in der Bundesliga habe ich mir meine Zuneigung zu unseren Gegnern ganz sicher wieder abtrainiert. Versprochen!
Euer Jeff Jas
Einmal im Monat schreibt Jeff Jas an dieser Stelle über die groben Fouls und versteckten Nickligkeiten im Fußball, die Diskussionen auf dem Platz, an der Seitenlinie, in der Kabine, auf der Tribüne und an der Theke. Er fühlt sich überall zuhause, wo der Ball rollt: Vom Aschenplatz auf der Schäl Sick über das Müngersdorfer Stadion im Kölner Westen bis zu den Hochglanzarenen dieser Welt.