Vor der Partie gegen Arsenal schauen wir über den Ärmelkanal: Wie die Kommerzialisierung Fankultur und Stimmung aus den Premiere-League-Stadien treibt – ein Kommentar aus England.
Text: Eirik Bar
Über die Rückkehr des effzeh in die Europa League beim Hinspiel gegen Arsenal in London wurde viel geschrieben, dabei zeichnete sich vor allem bei der bedachten Berichterstattung ab, dass die paar unschönen Szenen und Einlassverspätung größtenteils auf einer falschen Erwartung und schlechten Vorbereitung der englischen Organisatoren und Polizei beruhten. Natürlich ist damit das Fehlverhalten von ein paar Chaoten in keiner Weise zu entschuldigen, jedoch war diese Situation auch eine symptomatische Offenbarung für die grundlegenden Probleme der Premier League.
Arsenal-Normalität: Heimspiele ohne zwölften Mann
Durch Jahrzehnte der privatisierten Kommerzialisierung der Liga sind zwar die Umsätze in Rekordhöhen gestiegen, aber auch das Herz des Sports, nämlich Stimmung und Fankultur, ist im Wesentlichen aus den Stadien getrieben worden. Und dies droht nun, so scheint es zumindest, auch der Bundesliga, sollte die 50+1 Regel endgültig gekippt und privaten Investoren die Stadiontüren geöffnet werden. Kein Wunder also, dass die Verantwortlichen in England nicht auf Fans vorbereitet waren, die Ihren Verein mit Herzblut feiern und ihr letztes Hemd für ein Europa-League-Spiel geben würden. Das kennt man in England kaum noch.
Der Unterschied zwischen Premier-League- und Bundesliga-Fankultur war selten so prägnant und greifbar, wie bei der dauerhaft lautstarken Unterstützung der knapp zehntausend effzeh-Fans beim EL-Auftakt im Emirates. In der Bundesliga typisch, in der Premier League ein absoluter Ausnahmefall. So viel Stimmung in “Highbury the Library“, wie an diesem Abend, gab es seit Jahrzehnten nicht mehr. Über diesen Normalzustand, Heimspiele ohne „zwölften Mann“, haben sich schon Spieler in den erfolgreicheren Gunner-Jahren beschwert.
“Wir sind so reich, es ist unglaublich!”
Diese Leblosigkeit zieht sich fast durch alle Spielstätten der Liga und ist besonders bei den führenden Klubs zu bemerken. Also genau bei denen mit den großen, privaten Geldgebern. Es geht bei den Unsummen mittlerweile mehr um das „Produkt“ Fußball, den Fan als Kunden und nicht mehr um den Sport und die Vereinsidentifikation. Das Kapitalismus-Karussell mit übertriebenen Gehältern und Fernsehgeldern, teuren Tickets, Bordsteinschwalben-Marketing, Spielzeiten für Einschaltquoten und dem Trend zu einem US-Franchise-System mit Satelliten-Klubs hat seinen Ausgangspunkt in der Privatisierung der Klubs. Natürlich sind die 50+1-Regel und vernünftige Vereinsstrukturen auch kein Allheilmittel und werden Klubs nicht notwendigerweise vor dem Untergang bewahren. Der Liga und dem Sport an sich schaden sie aber keinesfalls.
„Es ist fast so als hätte man bei Spielen im eigenen Stadion keinen Heimvorteil. Viele der Spieler, die Anführer, die noch im alten Highbury Stadion gespielt haben, beschwerten sich oft über die schlechte Atmosphäre auf den Rängen.“
– Andrey Arshavin
So stellten auch die Finanzanalysten von Vysyble diesen Juli in ihrem Bericht „Wir sind so reich, es ist unglaublich! – Die Illusion von Reichtum im Fußball“ die Nachhaltigkeit der Premier League deutlich in Frage. Demnach würden die Klubs durch die massive finanzielle Verausgabung auf die Insolvenz zu rasen. Eine Folge davon könnte, so suggeriert der Bericht, das Wegbrechen von den erfolgreichsten Klubs in eine neue Europäische Super Liga sein, um weiteren weltweiten finanziellen Wachstum zu erzwingen. Es könnte der Todesstoß für die heimische Liga sein.
Die Aktion von Vincent Tan, dem Besitzers von Cardiff, der 2012 die traditionelle blaue Vereinsfarbe mit Rot ersetzte, sowie das Wappen von einem Vogel in einen Drachen verwandelte – einfach nur, weil es besser in seinen kulturellen Horizont passte und sich der Klub somit auch womöglich besser in Asien vermarkten ließe – zeigte bereits früh, wie einfach und schnell eigentlich unantastbar gedachte Werte für den schnöden Mammon vom Platz fliegen. Beispiele gibt es hierfür genug in England: Egal ob in Wimbledon und Milton Keynes oder in Hull – finden kann man sie mittlerweile fast überall. Bis jetzt aber eben nur in einzelnen und mittelmäßigen Klubs.
Fansein hat nichts mit Geld zu tun
Es geht bei der Problematik übrigens um ganz grundlegende Werte und Motivationen. Fragt man sich, warum wir überhaupt Fußball spielen und so viel Zeit unseres Lebens für die Spiele eines Vereins opfern, dann wird schnell klar, dass all das nichts mit Geld zu tun hat. Dieser Verständniswandel zeigt sich mittlerweile übrigens auch in England: Seit Jahren verzeichnen die unterklassigen Ligen einen langsamen, aber stetigen Zuschauerzuwachs. Und dabei bekommen die Vereine in der League One oder Two nahezu nichts aus den vollen Kassen der Football Association. Ganz im Gegenteil, die FA drohte sogar mit dem Entzug von Geldern, als sie genau hierfür vom Präsidenten von Accrington Stanley kritisiert wurde. Ein Verhalten, das mehr mit Plutokratien als Verbandsführung gemein hat.
Doch so ist es eben. Und so es macht den Anschein, als würde die Bundesliga der Premier League und ihren kolossalen Geldbergen hinterherlaufen. Bringen wird das aber nur einen kurzfristigen Aufschwung, teure Spieler und die willkürlichen Machenschaften von privaten Investoren. Ob es das wert ist?
“Guck’ es halt bei YouTube nach”
Aber wenigstens gibt es dann noch etwas, das wir unseren Kindern und Enkeln erzählen dürfen, was sie aber vermutlich trotzdem nie wirklich verstehen werden können: „Früher, gab’s noch richtigen Fußball! Damals, als wir noch keine Smartphones hatten, Politiker noch nicht komplett wahnsinnig sein mussten und wir noch nichts von den ganzen Mikroplastikpartikeln in unserem Bier wussten. Was haben wir im Stadium gesungen, getanzt und geweint… und wenn du mir nicht glaubst, guck es halt bei YouTube nach!“