Der 1. FC Köln hat wahrlich bessere Zeiten gesehen. Nach einer phänomenalen Vorsaison läuft es derzeit sportlich so gar nicht, längst spricht nicht nur der Boulevard von einer Krise am Geißbockheim.
Nach der Last-Minute-Niederlage in Stuttgart und damit acht (!) Spieltagen stehen die “Geißböcke” mit einem mageren Punkt und einem miserablen Torverhältnis zu Recht auf dem letzten Tabellenplatz der ersten Bundesliga und leuchten die Tabellenniederungen mit der roten Laterne aus. Von einer ausgewachsenen Krise zu reden, scheint in diesen Tagen angesichts des schlechtesten Saisonstarts in der Geschichte der Bundesliga sehr wohl angebracht.
Wir sprechen mit dem Sportpsychologen Thorsten Loch, der bei weitem nicht alles schwarz malt: Die Jungs hätten das Fußballspielen in der Sommerpause wohl kaum verlernt. Eher plädiert der Experte dafür, die Krise als Chance zu sehen und gestärkt herauszukommen. Dass das beim 1. FC Köln klappen könnte, dafür sieht er viele Anzeichen.
„Das Ding zwischen den Ohren bietet noch großes Potenzial“
Thorsten Loch arbeitet als sportpsychologischer Berater, auch den Nachwuchs des 1. FC Köln kennt er gut. Er ist Teil eines Projektes des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) in Zusammenarbeit mit der Sporthochschule Köln. Insgesamt acht Sportpsychologen betreuen die Nachwuchsmannschaften des Clubs. Sie leiten Workshops mit den Mannschaften, führen aber auch Einzelgespräche und beraten die Trainerteams. Was ihm wichtig dabei ist, die Sportler zu begleiten und „nicht erst dann handeln, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.“ So bieten er und seine Kollegenregelmäßiges mentales Training für den Nachwuchs an. Das Ziel dabei: Den Kopf fit machen. Denn: „Technisch und taktisch sind die Nachwuchsspieler gut ausgebildet, doch das ‚Ding zwischen den Ohren‘ ist noch eine große Ressource, aus der man noch einiges herausholen kann.“
Zurück zu den Profis: effzeh.com-autor Arne Steinberg attestierte der Mannschaft, mental gestärkt aus der Länderspielpause gekommen zu sein. Zumindest habe sie bis zum ersten Gegentreffer in Stuttgart ein ordentliches Spiel abgeliefert. Als seitens der “Geißböcke” wieder klare Torchancen liegen gelassen wurden, drehte sich die Partie, der VfB stellte sich besser auf die Spielweise des effzeh ein und ging in Führung. Nach einem solchen Spielverlauf einem Rückstand hinterherzulaufen, ist sicher alles andere als einfach. Wie kann eine Mannschaft also mental dagegenwirken?
[interaction id=”59e76b35bb74a40001557ad0″]Mit dem Rücken zur Wand – was bedeutet das für einen Sportler?
„Prinzipiell kann man eine solche Situation aus der Ferne schlecht beurteilen. Man muss sich aber erst fragen: Was macht denn diese Krise aus und wo fängt eine Krise an? Bei Bayern München ist eine Krise, wenn sie zwei Spiele hintereinander nicht gewonnen haben.“ Beim effzeh sei es in den ersten Spieltagen nicht optimal gelaufen, jedoch müsse man auch nach der Ursache fragen. „Die Jungs haben in den letzten Wochen ja nicht das Fußballspielen verlernt“, gibt sich Thorsten Loch durchaus optimistisch.
Doch auch der Sportpsychologe mahnt zur „rheinischen Demut“, mit der sich leidgeprüfte Anhänger der “Geißböcke” oft brüsten. „Dass man nicht noch eine Saison wie die vergangene abliefern würde, sollte allen Beteiligten – auch den Fans – klar gewesen sein.“ Auch in Anbetracht der Tatsache, dass mit Anthony Modeste der Topstürmer den Verein im Sommer gen China verlies. „Was die Mannschaft im letzten Jahr ausmachte, war auch die Fähigkeit, das Ruder herumreißen zu können, wenn es mal nicht so gut lief“, stellt Loch fest.
Auswege aus der Krise: An welchen Schrauben kann der Spieler individuell sportpsychologisch drehen?
Wenn die Niederlagen aber überhand nehmen, geht das wohl auf kurz oder lang jedem an die Nieren. „Das größte Problem ist, dass jede Niederlage einen Angriff auf unser Selbstwertgefühl bedeutet. Die Tatsache, dass wir die Leistungen im Sport an den Ergebnissen bemessen, verführt uns dahingehend zu glauben, den Resultaten mehr Beachtung zu geben und irgendwann überbewerten“, stellt Loch in einem Artikel fest. Das kann er beim effzeh jedoch nicht erkennen: „Wenn man sich die Leistungen der letzten Wochen anschaut, ob nun gegen Belgrad in der Europa League oder in der Liga gegen Leipzig, muss man erkennen, dass das so schlecht gar nicht war.“
Lediglich das letzte Quäntchen Glück, die nötige Konzentration oder die Portion Selbstsicherheit habe gefehlt. „Ist diese aber vorhanden, dann geht der Ball nicht mehr an die Latte und dann hoch, sondern unter die Latte und dann ins Tor.“
Der Schlüsselfaktor ist laut Loch in einer solchen Situation immer das Selbstvertrauen. „Vertrauen in die eigene Stärke und Handlungsfähigkeit können einen aus einer solchen Situation herausholen.“ Daran könne der Spieler individuell arbeiten. Ein Sportpsychologe setzt dann bei der Körpersprache, der Körperspannung oder aber auch dem inneren Selbstgespräch des Spielers an. Wichtigste Frage: „Wie geht es dir in dem Moment?“ Da kommt es auch immer darauf an, welcher Typ der Spieler ist und wie er oder sie mit der Stresssituation umgeht. Empfindet er sie als Herausforderung oder als Bedrohung? „Spezielle Trainingstechniken, wie etwa Visualisierung oder Aktivationsregulierung, können dann zusammen eingeübt werden.“
Diese Techniken könne der Spieler dann, sofern benötigt, abrufen. Zur Veranschaulichung: „Das klassische Beispiel ist das Elfmeterschießen. Wir haben eine Handlung mit einem Ergebnis und einer Folge. Die Handlung ist der Strafstoß, das Ergebnis bedeutet Tor oder kein Tor und die Folge ist, dass das Team gewinnt oder verliert. Dabei merkt man häufig, dass sich der Spieler viel mehr mit der möglichen Konsequenz beschäftigt, wobei doch eigentlich die Handlung kognitiv zeitlich vorangeschaltet ist. Das bedeutet: Der Spieler ist geistig nicht im hier und jetzt und beschäftigt sich stattdessen mit Dingen in der Zukunft. Daran kann der Spieler individuell arbeiten.“
Krise abwenden: Diese Rolle spielt die Ansprache des Trainers
Ebenfalls eine Schlüsselrolle spielt dabei der Trainer:„Über mehr Gespräche, eine gute Ansprache kann der Trainer Emotionen wecken“, so Loch. Das Entscheidende ist die Ansprache des Trainers: Wie spreche ich die Spieler in den Minuten vor dem Anpfiff an, wie spreche ich sie während des Spiels an und wie coache ich. „Und das macht Peter Stöger ziemlich gut. Auch dass der Verein den Trainer nicht öffentlich anzählt, gehört dazu. Ich bin der festen Überzeugung, dass wenn im Training weiter gut gearbeitet wird und die Mannschaft gute Spiele abliefert, kein Grund zur Schwarzmalerei besteht“, beruhigt Loch.
Im „Kölner-Stadt-Anzeiger“ sagte Peter Stöger: „Es ist nicht leicht, da unten rauszukommen, und es wird auch nicht von heute auf morgen gehen. Aber jeder im Klub muss von der Spitze bis zu den Jungs auf dem Platz wissen, dass man das Profil noch einmal stärken kann, wenn man so etwas schafft.“ Auch der Trainer sieht also in der Krise eine Chance, Dinge zu verändern und sich davon beflügeln zu lassen.
Doppelbelastung als Auslöser?
Ausreden wie etwa die Doppelbelastung durch die Europa League will Thorsten Loch nicht gelten lassen: „Beim Fußball – und das ist wirklich ein Phänomen – gibt es ziemlich viele Fan-Trainer. Die sehen oft nur die Spiele am Wochenende und klammern aus, was unter der Woche in Training passiert.“ Bevor man aber die Schuld bei sich selbst suche, versucht man sie selbstzweckdienlich woanders hinzuschieben. „Bevor ich sage: ‚Wir, der 1. FC Köln sind schlecht‘, suche ich mir einen externen Faktor, auf den ich die Schuld schieben kann. Vor einigen Wochen war das die Schiedsrichterentscheidung oder der Videobeweis, jetzt ist es die Doppelbelastung.“
Wie ist also ein Ausweg aus dem tristen Alltag am Tabellen-Ende möglich? Eine herausragende schwäche der Mannschaft war in den letzten Jahren der Teamzusammenhalt, auch neue Spieler wurden schnell integriert, die Jungs verstehen sich auch außerhalb des Platzes blendend. „Dass das Team zusammenhält, ist im Mannschaftssport immer wichtig. Damit steht und fällt alles“, meint Loch. Und eben diese Gruppendynamik mutet bei den effzeh-Profis noch immer sehr intakt an: „Dort ziehen alle an einem Strang, was den Einzelnen auch dazu anspornen kann, sich noch mehr für das Team zu zerreißen.“
Ein Oldie wie Pizarro kann dabei nur ein weiteres Zubrot für die positive Stimmung innerhalb der Mannschaft sein – und das tue ihr in jedem Fall gut. Loch sieht den Schlüssel auch in diesem Faktor außerhalb des Platzes: „Warum spielen die denn alle Fußball? Weil die Spaß daran haben. Und wann spielen sie am besten? Wenn sie Spaß haben.“ Es gehe darum, genau diese Freude wieder zu vermitteln, dann ließen sich auch Spiele drehen und Momente zugunsten des effzehs verschieben.
Dass sich junge Spieler, wie etwa Leonardo Bittencourt, in den letzten Wochen durchaus als Führungsspieler empfohlen haben, stärke die Mannschaft als Ganzes. „Das spricht doch total für die Mannschaft. Er traut sich die Führungsrolle anzunehmen und voranzugehen.“ Typische Platzhirsche der Vergangenheit wie etwa Stefan Effenberg oder Mark van Bommel, die niemand neben sich geduldet haben, seien heute nicht mehr gefragt.
Zur Not bleibt noch die Flucht in den Galgenhumor
Und schließlich bleibt den effzeh-Anhängern ja noch die Flucht in den Humor, die ihnen schon so manche dunklen Stunden erträglicher gemacht hat. Und nein, damit sind nicht die Stimmen gemeint, die sich schon jetzt auf den vorzüglichen Nudeltopf in Aue freuen. Auch nicht die Fantasten, die ernsthaft auf einen in die Jahre gekommenen Oldie wie Nova als Universallösung für alle Baustellen auf dem Platz hoffen. Von unschätzbarem Wert sind die Fans, der 12. Mann.
Die treuesten der Treuen, die den effzeh tapfer und unerschrocken durch die Lande begleiten. So war aus eben diesen Kehlen nach dem strapaziösen Stuttgart-Spiel ein durchaus positiver Gesang zu vernehmen. So sangen sie auf dem Weg zur S-Bahn auf die aus Pipi Langstrumpf bekannte Melodie: „Wer wird deutscher Meister, wenn man die Tabelle dreht? Wer wird deutscher Meister? Der 1. FC Köln – SUFF“ Prost dann, darauf trinken wir einen”