Dass die Portugiesen sich in Frankreich die Europameisterschaft sichern konnten, ist sicherlich eine der großen Überraschungen dieser Saison. Die wohl noch größere ist allerdings der englische Überraschungsmeister aus Leicester, der in seinem Scouting ebenfalls verstärkt in der zweiten französischen Liga unterwegs war. Riyad Mahrez verließ Le Havre nach drei Jahren in der Ligue 2, schloss sich Leicester an und wurde in diesem Jahr Spieler des Jahres in der Premier League. Auch N’Golo Kanté spielte bis vor zwei Jahren noch im französischen Unterhaus, bevor er im Sommer 2015 nach Leicester wechselte, dort zum Schlüsselspieler wurde und jetzt für schlanke 35 Millionen zu Chelsea wechselt. Obwohl der französische Fußball in Deutschland etwas unterrepräsentiert ist und die zweite Liga hierzulande eigentlich niemanden so richtig interessiert, scheint trotz allem Qualität vorhanden zu sein.
Dementsprechend sind viele Scouts aus den großen europäischen Ligen dort unterwegs, um für vergleichsweise wenig Geld gut ausgebildete Spieler zu rekrutieren. Einen ähnlichen Weg hat nun auch Jörg Schmadtke eingeschlagen: Die Verpflichtung von Sehrou Guirassy hatte vor Bekanntwerden des Interesses ziemlich niemand auf der Rechnung. Es ist allerdings nicht so, dass Schmadtke den jungen Franzosen irgendwo aus dem Nichts ausfindig gemacht hat, schließlich unterschrieb Guirassy seinen ersten großen Vertrag bereits im letzten Jahr in Lille und machte im Mai mit starken Leistungen beim U20-Festival in Toulon auf sich aufmerksam. Seine Leihe nach Auxerre diente dazu, dem jungen Angreifer Spielpraxis zu geben, die ihm LOSC-Trainer Antonetti im Winter nicht garantieren konnte.
Ein geradliniger Weg in den Profibereich
Sehrou Guirassy, geboren im März 1996 im südfranzösischen Arles, schloss sich im Alter von 15 Jahren der Jugendakademie von Stade Lavallois an, deren professionelle Bedingungen ihm dabei halfen, sich als Fußballer zu entwickeln – die Spielzeiten in den höchsten französischen Jugendligen machten aus ihm nur ein halbes Jahr nach seinem Transfer einen U16-Nationalspieler. Noch als 17-Jähriger konnte sich Guirassy in der Saison 2013/2014 seine ersten Sporen im Männerfußball verdienen, es reichte immerhin zu vier Einsätzen. Eine Saison später wuchs Guirassy immer mehr in die Rolle eines Stammspielers hinein, wovon 34 Einsätze in der Profimannschaft zeugen. Der körperlich robuste Angreifer erzielte in dieser Zeit sieben Tore. In der französischen Jugendnationalmannschaft machte Guirassy Anfang des Jahres 2015 auf sich aufmerksam, als er im Qualifikationsturnier für die U19-Europameisterschaft in drei Spielen dreimal traf.
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Guirassy zwischen Lille und Auxerre
Im Juli 2015 setzte der Angreifer seine Unterschrift unter einen Vierjahresvertrag beim OSC Lille, dem französischen Meister von 2011. Dieser hatte mit Hervé Renard gerade einen ambitionierten Trainer für einen notwendigen Umbruch verpflichtet, da einige Schlüsselspieler den Verein verlassen hatten und ein Weg mit jungen, entwicklungsfähigen Spielern eingeschlagen werden sollte. Die Liaison zwischen Renard und Lille verlief allerdings weniger erfolgreich, bereits im November wurde der Coach nach nur zwei Siegen in der Liga und nur sieben Toren entlassen. Dementsprechend war auch die Anfangszeit von Guirassy nicht einfach: der junge Stürmer, gerade aus der zweiten Liga gekommen und naturgemäß noch nicht komplett an die Herausforderungen des Erstligafußballs gewöhnt, kam im ersten Halbjahr in Lille nur zu sieben Einsätzen und einem Tor.
Frédéric Antonetti, der im November für Renard übernahm, suchte in der winterlichen Transferperiode nach einem gestandenen Mittelstürmer, den er dann mit dem Portugiesen Eder auch fand. Für Guirassy stand allerdings schon fest, dass er nach dem unbefriedigendem ersten Halbjahr in Lille die für einen jungen Spieler so wichtige Spielzeit in der zweiten Liga suchen würde. In Auxerre fand er dort die perfekte Möglichkeit, der ambitionierte und gut geführte Zweitligist bot ihm passende Rahmenbedingungen. Der Leihspieler erzielte acht Tore in 16 Spielen und hatte somit sein Ziel erreicht, als gestandener und besserer Fußballer nach Lille zurückzukehren. Der Neustart in der nordfranzösischen Metropole war für den talentierten Stürmer anvisiert, mit dem Wechsel nach Köln wagt er jetzt jedoch den Schritt in ein anderes Land und eine andere Liga.
Was für einen Spieler bekommt der 1.FC Köln?
Schenkt man den Gerüchten Glauben, waren einige englische Vereine (darunter auch Arsenal) am französischen Jugendnationalspieler interessiert, der durch die guten Leistungen in Auxerre und beim U20-Festival in Toulon (drei Tore in zwei Spielen) auf sich aufmerksam machte. Dass der effzeh ihn jetzt verpflichtete, kam allerdings schon recht überraschend. Es wird abzuwarten bleiben, wie der 20-Jährige seine Stärken in Köln wird einbringen können. Dazu gehören neben seiner Physis auch der Zug zum Tor und überdurchschnittliche Qualitäten im Torabschluss. Offen ist auch, ob Peter Stöger ihn als Back-Up für Anthony Modeste einplant oder eher als torgefährliche Option über den Flügel. In jedem Fall kann Modeste bei der Integration des jungen Landsmanns helfen.
Vierter Neuzugang fix: @Guirassy_19 wechselt nun doch zum #effzeh! https://t.co/rgFzRY1RDW #guirassy pic.twitter.com/9jnBjMmBut
— effzeh.com (@effzeh_com) July 20, 2016
Die französische Seite footmercato.net attestiert dem Youngster, in den letzten Monaten einen großen Entwicklungsschritt gemacht zu haben und mittlerweile besser im Passspiel und präziser vor dem Tor geworden zu sein. Jean-Michel Vandamme, Geschäftsführer Sport beim OSC Lille, sprach bei der Vorstellung des Spielers im Gespräch mit dem vereinseigenen TV-Kanal von einem sehr interessanten Stürmer mit einem außergewöhnlichen Profil: Guirassy sei sehr anpassungsfähig, ein schneller Lerner und darüber hinaus noch sehr mobil und technisch gut. Seine Stärken liegen noch nicht unbedingt im Abschluss, sondern eher im Passspiel und im Vorbereiten von Aktionen, obwohl er auch über eine gute Torquote verfügt. Besonders in der Luft sei der junge Franzose bereits sehr beeindruckend.
Diese Entwicklungen blieben den europäischen Scouts natürlich nicht verborgen und es ist fraglich, welche Rolle Guirassys Ex-Verein aus Lille in seiner bewegten Transferhistorie gespielt haben könnte. Dass der französische Verein auf dem Weg in die finanzielle Gesundung auf Transfererlöse angewiesen ist, scheint keine Überraschung. Frédéric Antonetti scheint im Sturm nach wie vor auf den Portugiesen Eder zu setzen, dessen Leistungsfähigkeit er für den Moment noch höher einschätzt als die des jungen Franzosen. Dass Guirassy wenig Lust auf einen Bankplatz zu haben scheint, machte er im Interview mit footmercato.net ebenfalls deutlich: „In Lille war es eine sehr enttäuschende Situation. Als junger Spieler willst du ein Spiel nach dem anderen machen. Wenn das nicht der Fall ist, bist du frustriert”, erklärte Guirassy zu Beginn seiner Auxerre-Leihe. Einen weiteren frustrierenden Anlauf in Lille wird es nun nicht mehr geben.