Nach der Niederlage gegen Eintracht Frankfurt werden die rot-weißen Götter, die für den 1. FC Köln auflaufen, wohl keine Notenspiegel aufgerufen haben, weil in den Einzelkritiken nicht viel Nettes stand. Nach dem beinahe surrealen 1:0-Sieg gegen Borussia Mönchengladbach sieht die Welt schon ganz anders aus. Da kann man wieder Franz Beckenbauer im Geißbocktrikot heraufbeschwören, Fleißkärtchen an den Fleißkärtchen-Rekordhalter verteilen und einen Sturmtank huldigen, der auf einer Ebene mit den ganz Großen des Geschäfts steht. Unsere Einzelkritik zum Derbysieg!
Timo Horn: Wir schrieben es bereits im Nachspiel, doch wir wiederholen uns gerne noch einmal. Der Keeper bekam in etwa so viel zu tun wie beim Pokalspiel gegen den SV Meppen, was bedeutet, dass er so beschäftigungslos wie noch nie war in dieser Bundesligasaison. Lediglich einmal griff er in der zweiten Hälfte nach einem Freistoß aus dem Halbfeld, den Brouwers so halb verlängerte, zu einer Heldentat. Ansonsten trainierte er das mit dem Herauslaufen und Bälle-aus-der-Luft-pflücken. Dankenswerterweise gab die Borussia dem Torhüter in diesem Bereich, wo er vielleicht noch leichte Defizite hat, kostenlose Trainingseinheiten.
Jonas Hector: Wie die meisten seiner Teamkollegen fand auch der deutsche Nationalspieler (sorry, das klingt immer noch so geil, deswegen schreiben wir es nochmal: deutscher Nationalspieler!) gegen Aufbaugegner Mönchengladbach zurück in die Spur. So war Hector defensiv wie gewohnt aufmerksam und ließ weder Traore noch den später eingewechselten Nico Schulz großartig zur Geltung kommen. Im Offensivspiel leistete aber auch er sich einige Fehler und hatte nicht nur die meisten Ballkontakte, sondern auch die meisten Ballverlust. Darf man von einem deutschen Nationalspieler natürlich mehr verlangen, doch da wird sicher auch wieder mehr kommen vom deutschen Nationalspieler.
Dominique Heintz: Der Pfälzer mit der Eleganz eines Günther Netzer und der Grazie von Wolfgang Overath legte zu Ehren des 70. Geburtstags von Kaiser Franz ein beckenbauereskes Solo auf der linken Seite hin, bei dem er nur durch ein Foul zu stoppen war. So sorgte Heintz für das heimliche Highlight des Spiels, denn eigentlich bewegt sich der Innenverteidiger mit der leicht befremdlichen Lauftechnik lediglich bei Standardsituationen jenseits der Mittellinie. In der eigenen Hälfte dafür zumeist mit Bierruhe. Gewann beinahe alle Duelle in der Luft sowie am Boden und hatte neben Hector die meisten Ballaktionen. Auch wenn zwei, drei kleinere Wackler drin waren, sagen wir: Kaiser Franz wäre stolz!
Frederik Sörensen: Eisschrank, Kleiderschrank, Dolph Lundgren. Hatten wir alles schon an Umschreibung für den Dänen, so dass wir nun auch nicht mehr wissen, mit wem wir den Mann noch vergleichen sollen. Jedenfalls sprechen wir von einem Abwehr-Riesen, der sein Katastrophenspiel gegen Frankfurt nordisch cool komplett abgehakt hatte und wieder die Dinge tat, die Frederik Sörensen für gewöhnlich tut. Heißt: In jede Flanke den großen blonden Kopf reinhalten, in jeden Pass einen Fuß reinspitzeln und mit einer bedrohlichen Bedingungslosigkeit jeden mitleidserweckenden Ball raushauen, der aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften nicht vor dem Innenverteidiger fliehen kann.
Pawel Olkowski: Nach den Leistungen, die wir vom Polen in den ersten Saisonspielen gesehen haben, wo er beispielsweise selbst gegen den SV Meppen große Probleme hatte, denken wir ab sofort nur noch in kleinen Schritten. Das mit den kleinen Schritten ist zwar eigentlich nicht so das Ding eines Kölners, doch wer selbiges Konzept hinsichtlich U-Bahn-Bau und Oberbürgermeisterwahl verfolgt, der darf dieses auch mal auf einen Rechtsverteidiger anwenden, der in der letzten Saison noch die Fans verzückte und Idol Miso Brecko verdrängte. Denn genau jenen kleinen Schritt hin zur Normalform machte Olkowski gegen Mönchengladbach. Zwar forderte ihn Gegenspieler Torgan Hazard nicht ganz so sehr, wie das vielleicht dessen Bruder vom FC Chelsea getan hätte, und vielleicht wäre es auch schön gewesen, wenn wenigstens eine der fünf Flanken in irgendeiner Form angekommen wären, aber ansonsten war das die wohl beste Leistung Olkowskis in dieser Saison. Da ist zwar noch Luft nach oben, aber die gibt es ja bei anderen Projekten in Köln auch.
Matthias Lehmann: Den Routinier wollten nach dem Frankfurt-Spiel ja schon einige (Voll-, Halb-, Kaum- und Absolut-gar-nicht-)Experten aus dem Team haben. Zu behäbig, zu langsam im Kopf, zu fehleranfällig. Peter Stöger stärkte seinem Capitano aber von Beginn an den Rücken und ließ ihn wieder auflaufen. Immerhin lief es wieder etwas besser als am Main, wobei es schlechter als im letzten Spiel auch nicht mehr laufen kann. Zwar brachte der zentrale Mann 81,6 Prozent seiner Pässe an den Mann, doch einige Zuspiele wirkten wiederum völlig widersinnig. Zwar gewann Lehmann 85,7 Prozent seiner Zweikämpfe, allerdings führte auch lediglich Timo Horn weniger Duelle. Präsent war der Kapitän nicht, sollte er aber eigentlich sein. Sein Pass auf Bittencourt in der 19. Minute war allerdings Zucker!
Kevin Vogt: Der Blondschopf hat auch 45 Minuten lang mitgespielt. Irgendwie. So richtig auffällig war er nicht. Dabei offenbarte Vogt ein Problem aus der letzten Saison, was nun, da der effzeh wieder etwas tiefer stand, noch einmal aufbrach. Im Umschaltspiel ist der Mittelfeldspieler manchmal einen Schritt zu langsam und ein bisschen zu wenig risikofreudig. Zwar leistete sich Vogt keine haarsträubenden Fehler und brachte 90 Prozent seiner Pässe an den Mann, doch er hätte sich ruhig mehr zutrauen können gegen verunsicherte Gladbacher. Immerhin wollen wir ja noch in die Champions League.
Milos Jojic: Der Serbe kam bereits zur Halbzeit für Vogt und sollte die Offensive ankurbeln. In den ersten zehn Minuten der zweiten Hälfte machte er erst einmal alles falsch, was man falsch machen konnte. Jojic konnte keinen Ball stoppen, geschweige denn zu einem Mitspieler bringen. Phlegmatisch und langsam. Doch das Publikum unterstützte den Neuzugang weiterhin frenetisch (Achtung! Ironie!) und tatsächlich fand Jojic immer besser ins Spiel, weswegen er zunehmend die Kontrolle im Mittelfeld übernahm, einige Angriffe ankurbelte und starke Standards trat (Achtung! Keine Ironie!) Wenn Jojic diese 30 Minuten übertragen kann, ist auch mal ein Stammplatz in Sichtweite, wobei es manchmal nicht so wirkt, als hätte er Luft für mehr als 45 Minuten.
Marcel Risse: Und das Fleißkärtchen des Tages geht an den All-Time-Fleißkärtchen-Rekordhalter Marcel Risse, der im heimischen Höhenhaus wohl eine ganze Kollektion von Alben voller Fleißkärtchen stehen hat. Wie immer war der Außenspieler extrem engagiert, wie so oft war er ein Aktivposten, wie so oft gelangen ihm zu viele Dinge zu wenig. Bezeichnend für die vielen Ungenauigkeiten in Risses Spiel war der sinnfreie Torschuss in der fünften Minute. Auch die Flanken flogen mal wieder überall hin außer in den Strafraum. Dafür hatte er aber hinten wieder einige starke Aktionen und sorgte am Ende mit einigen Tacklings für wichtige Signale. Ach Marcel, du bist ja stets bemüht.
Leonardo Bittencourt: Was der Deutsch-Brasilianer in den ersten Spielen gezeigt hatte, war ja irgendwie vielversprechend, aber irgendwie auch frustrierend. So langsam dämmerte es, warum die Anhänger in Hannover nicht reihenweise in Tränen ausbrachen, als der effzeh den Transfer-Coup bekanntgab. Schnell machte es die Runde, dass der kleine Flügelspieler an seiner Effektivität arbeiten muss. So wirkte es auch in Köln, so wirkte es auch beim Derby, als wieder einmal gute Ideen zu sehen waren, aber wenig Ertrag dabei herauskam. Bis, ja bis dann die maßgeschneiderte Flanke auf dem Kopf von Anthony Modeste landete. Ein wundervoller Ball. Es sagt wohl alles, dass die Mitspieler sich nach dem Treffer vor allem mit Bittencourt freuten, der ein Erfolgserlebnis wohl wesentlich dringender nötig hatte als Kollege Modeste, der schon so viele Scorerpunkte auf seinem Konto hat wie der Tausenfüßler Füße hat. Vielleicht ist der Knoten ja jetzt geplatzt.
Yannick Gerhardt: Der vielleicht heimliche Gewinner des Spiels ist ein polyvalenter 21-Jähriger, der nach seiner Einwechslung Signale ins Spiel brachte, die doch tatsächlich nach Derby schrien. Gerhardt kam in der 77. Minute für Bittencourt und warf sich fortan nicht nur mit Inbrunst erfolgreich in jeden Zweikampf, sondern riss auch gleich das Spiel in der Offensive an sich. Mit einem wundervollen Lauf an der rechten Seitenlinie ließ er gleich drei Gladbacher stehen. Mit anderen Worten: Gerhardt brannte wie Feuer. 13 Minuten waren vielleicht etwas zu kurz für ein nachhaltiges Bewerbungsschreiben, aber irgendwie schnüffelt das Talent ja schon lange am Stammplatz.
Yuya Osako: Der Japaner verkörperte eher das Gegenteil von Gerhardt und das zu Sturmkollege Modeste. So war Osako zwar wieder überall zu finden und ließ sich teilweise weit zurückfallen, um die Bälle abzuholen, doch insgesamt agierte er sehr unglücklich und konnte seine Chance in keinster Weise nutzen. Dabei rutschte der Japaner gleich zweimal in vielversprechender Position im Angriff aus und gewann nur 35 Prozent seiner Zweikämpfe (Tiefstwert beim effzeh). Körpersprache? Kaum vorhanden. Zweikampfverhalten? Kaum vorhanden. Vielleicht war er einfach nicht der richtige Mann für so ein Spiel.
Simon Zoller: Durfte die letzten zwei Minuten ran und war einfach sensationell. Hunderte gewonnene Zweikämpfe, tausende perfekte Pässe und unfassbar auffällig. Achso, das geht natürlich nicht in so kurzer Zeit. Aber hätte er länger gespielt, wäre ja vielleicht all das möglich gewesen.
Anthony Modeste: Warum sollten wir noch viele Worte verlieren, wenn doch schon in den letzten Nachspielen und Einzelkritiken alles gesagt wurde? Zu der fulminanten Weiterverarbeitung, dem grandiosen Kopfballverhalten, dem unglaublich dummen SAP-Verein, der diese Sturmperle, welche die Mitspieler so gekonnt in Szene setzt und selbst vor dem Tor höchst effektiv ist, einfach abgab. Modeste war wieder einmal Matchwinner. Am Ende nur eines: Die Top-4 der Scorerwertung in der Bundesliga: Pierre-Emerick Aubameyang, Thomas Müller, Douglas Costa, Anthony Modeste. Noch Fragen?