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Gero hat sich echt bemüht mich kennenzulernen. Am Anfang dachte ich ja, dass das wieder so ein Möchtegern-Fetisch-Heini wäre – aber irgendwie ist der anders. Erst haben wir gemailt, dann telefoniert, schließlich hat er mich in Köln begleitet und zu guter Letzt in Hamburg besucht – und nach alledem soll ich auch noch genau darüber schreiben!
Wenn ich ich sage, dann meine ich mich – Lina. Ich bin zwar eine echte Hamburger Deern, aber ein Teil von mir ist in Kölle. Mein Fussballherz schlägt nämlich in Müngersdorf, für den effzeh. Seit 15 Jahren bin ich regelmäßig im Stadion, auch wenn der Weg doch sehr weit zu sein scheint. “Warum grad der 1. FC Köln und nicht beispielsweise St. Pauli oder HSV”, hatte er mich im ersten Gespräch gefragt, nur um selbst festzustellen, dass das eine doofe Frage wäre.
Schließlich hat er sich seinen effzeh ja auch nicht ausgesucht, oder? Etwas naheliegender war da schon die Frage, warum ich mir zu jedem Heimspiel den weiten Weg von Hamburg nach Köln antue, wenn es doch auch Radio- oder Fernsehübertragungen gibt. “Die Frage war jetzt nicht besser”, antwortete ich, “schließlich bin ich aus denselben Gründen im Stadion wie Du – wegen der unvergleichlichen Atmosphäre!”
Den ersten Dialog, der somit bestenfalls unter “stets bemüht” abzuheften war, beendete ich damit, dass Gero sich doch bitte etwas mehr auf mich einstellen möge. Das nahm er sich zu Herzen und hörte sich unsere vereinseigene Zeitung “Blickpunkt Fussball” an. Zu meiner Überraschung hat er sich zudem eine einstündige Reportage über uns angehört und sich offenkundig über unseren Fanclub informiert.
Ich erinnere mich noch sehr genau, wie mir Gero vor der Osttribüne des Rhein-Energie-Stadions davon berichtete, wie sehr er als Jugendlicher die Bundesliga-Konferenz am Samstagnachmittag im Radio genossen und dabei mitgefiebert hat. “Ja, so ähnlich ist das hier auch für uns”, antwortete ich, “nur ganz anders! Im Radio gibt es Kommentatoren, die auf vorherige Spielsituationen zurückblicken, das bisherige Geschehen zusammenfassen und kurze statistische Zusammenfassungen des bisherigen Spielverlaufs liefern, bevor sie ins nächste Stadion weitergeben. Hier wird nur von einem Spiel berichtet, live, ununterbrochen, immer auf Höhe des aktuellen Geschehens – und zwar von dem Spiel, das direkt vor unseren Augen stattfindet.”
Natürlich war mir klar, dass Gero hierfür die Vorstellungskraft fehlen würde. Im Stadion saß er dann aber direkt hinter mir und hatte ebenso wie ich einen Kopfhörer auf, um dem Live-Kommentar zu lauschen, der wiederum eine Reihe vor mir von einem Reporter ins Mikrofon gesprochen wurde.
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“Ich bin nachhaltig beeindruckt”, sagte Gero bereits in der Halbzeitpause. “Zwischenzeitlich habe ich die Augen geschlossen und war trotzdem überzeugt das Spiel zu sehen – dermaßen gut war die Reportage. Selbst die Transparente aus der Südkurve wurden vorgelesen. Über den Kopfhörer habe ich vernommen, dass sich die Ersatzspieler bereits warm gemacht haben – bevor ich das selbst bemerkt hatte …” – sein Redefluss nahm überhaupt kein Ende.
Als wir uns nach dem Abpfiff unterhielten, ging es nur noch um das Spiel. Um die bessere Taktik in der nächsten Partie, um die ausgelassenen Chancen und um den bevorstehenden Aufstieg. FC-Fans unter sich.
Gero hielt Wort und besuchte mich ein paar Wochen später in Hamburg. Am Eingang des Lokals, in dem ich als Kellnerin arbeite, holte ich ihn ab, um ihn zu dem reservierten Tisch zu führen.
Meine Kollegin hatte ihm die wichtigsten Regeln mit auf den Weg gegeben: keinen Schritt abseits des Weges tun, nicht alleine aufstehen, nichts in den Gang stellen und so weiter. Die Irritation war bei ihm trotzdem genauso hoch wie bei den anderen Gästen.
Zwischen den verschiedenen Mahlzeiten fragte ich ihn, ob alles in Ordnung sei und wie er sich fühle. Gero meinte, dass das alles ungewohnt für ihn sei und dass er inzwischen versuchen würde mit den Ohren zu sehen. Mein Lächeln erreichte ihn nicht.
Nach dem Essen sprach er von einer besonderen Erfahrung und einer Bereicherung der Sinne. Und er dankte mir, dass ich ihn in die Dunkelheit geführt hatte.
“Sehen wir uns wieder?”, fragte er zum Abschied.
Ich meinte: “Ja, klar. Wie wäre es zum Golf?”
Gero fragte erstaunt: “Du spielst Golf?”
“Klar, und ich werde Dich haushoch schlagen.”
“Nie und nimmer! Wann hast Du denn Zeit?”, meinte Gero selbstbewusst.
“Wie wäre es mit morgen Nacht?”
Ende.
Mehr über den Fanclub Sehhunde, den Fußball-Fanclub für Blinde und Sehbehinderte e.V., erfahrt ihr unter Fanclub Sehhunde
Deutschlands erstes Dunkelrestaurant heißt unsicht-Bar. Lokale gibt es bislang in Köln, Berlin und Hamburg: Unsicht-Bar
Die einstündige Reportage über blinde und sehbehinderte Fussballfans, die ich im Text erwähnte, kann hier angehört werden: Drei Punkte für den Fussball