Was hatten Ricardo Zamora, Fritz Herkenrath und Lew Jaschin gemeinsam? Gewiss, jeder Einzelne von ihnen war ein erstklassiger Torhüter, ein wahrer Meister seines Faches. Aber sie verband noch etwas Anderes: Alle drei übten zunächst eine andere Sportart aus, bevor sie sich dem runden Leder widmeten und ihren Platz zwischen den Pfosten einnahmen. Ricardo Zamora, den nicht nur die aficionados des spanischen Fußball als den besten Keeper aller Zeiten feierten, spielte bis zu seinem 14. Lebensjahr ausschließlich Pelota, ein baskisches Rückschlagspiel, und schulte dort seine Reaktionsschnelligkeit, die ihn später im Tor des FC Barcelona und von Real Madrid so berühmt werden ließ.
Fritz Herkenrath, 1951 eine Saison lang in Diensten des 1. FC Köln und später langjähriger Nationaltorwart, verdiente sich seine ersten Sporen als rechter Außenspieler im Feldhandball. Und schließlich wäre da noch Lew Jaschin, die “schwarze Spinne”, Europas Fußballer des Jahres 1963, der sich in früher Jugend im Tennis, Fechten und Basketball übte und davon träumte, Großmeister im Schach zu werden. Im Jahr 1953 gewann er den russischen Pokal – im Eishockey.
Lew Jaschin im WM-Halbfinale 1966 mit Lothar Emmerich (IMAGO/Pressefoto Baumann)
Auch Marvin Schwäbe, Neuzugang auf der Torhüterposition beim 1. FC Köln, suchte das Sportlerglück zunächst nicht nur auf dem grünen Rasen, sondern mehr noch auf der Ringermatte und eiferte dort bis zum 14. Lebensjahr seinem älteren Bruder Kevin nach, der 2011 nationaler Halbschwergewichtsmeister im freien Stil wurde. Danach erst konzentrierte er sich auf den Fußball, zog endgültig die Torhüterhandschuhe über und stellte fortan zwischen den Pfosten sein durchaus beachtliches Talent unter Beweis. Verantwortliche wie Fangemeinde der Kölner hätten ganz gewiss nichts dagegen, wenn auch Schwäbe sich im Tor des 1. FC Köln als ein Meister seines Faches erweisen würde.
Anfänge in Frankfurt und Hoffenheim
In den Nachwuchsteams der Frankfurter Eintracht entwickelte sich der gebürtige Dieburger so gut, dass er vom DFB zunächst in die U17-Auswahl berufen wurde und schließlich auch zu Einsätzen in der DFB-U18- und U19-Nationalelf kam. 2013 wechselte Schwäbe dann zur TSG Hoffenheim, mit deren U19 er 2014 die deutsche A-Juniorenmeisterschaft gewann. Vor der Saison 2014/15 bekam er dort seinen ersten Profivertrag, wurde jedoch ausschließlich in der Zweitvertretung eingesetzt.
Marvin Schwäbe bei der U20-Weltmeisterschaft 2015 (IMAGO/Schwörer Pressefoto)
In der nächsten Saison wurde er zum VfL Osnabrück ausgeliehen, wo er sich sofort einen Stammplatz ergatterte und 2016 als Niedersachsens Fußballer des Jahres ausgezeichnet wurde. Es folgte eine Leihe zu Dynamo Dresden, wo er in den nächsten zwei Jahren in 58 Zweitligapartien das Tor hütete. Trainer Alexander Zorniger holte Schwäbe dann zur Saison 2018/19 zum Brøndby IF, dem zu der Zeit amtierenden dänischen Pokalsieger, mit dem der Keeper 2021 auch dänischer Meister wurde.
Schwäbes Stärken: Technik, Stellungsspiel und Freilaufverhalten
Stale Solbakken, der den FC Kopenhagen, Brøndbys Lokalrivalen, bis zum Oktober 2020 trainierte, charakterisierte Schwäbes Torwartspiel im Express so: “Marvin ist technisch sehr gut, hat ein hervorragendes Fußball-Verständnis und starke Reaktionen auf der Linie. Seine Strafraumbeherrschung bei Flanken und Standards ist allerdings ausbaufähig”, so der ehemalige Kölner Coach.
Deutlich differenzierter fiel die Analyse durch den Fußball-Taktikblog spielverlagerung.de im Jahr 2017 aus. Sie attestierte dem damals 22-jährigen Hoffenheimer ebenfalls Reaktionsstärke und ein ausgezeichnetes Spielverständnis, erläuterte dabei jedoch letzteren Aspekt genauer: “Er verlässt sein Tor bei eigenem Ballbesitz häufig weit und hilft der Mannschaft dadurch als zusätzlicher Feldspieler. […] Nicht selten agiert er dafür jenseits des Strafraums und positioniert sich situativ gar etwas höher als seine Mitspieler.”
Erwähnung findet in der Analyse von spielverlagerung.de auch sein fußballtechnisches Können: “[…] sich bietende Räume kann der ehemalige Junioren-Nationaltorhüter aber auch mit hohen Bällen bedienen, die er durchweg technisch mindestens solide, häufig genug auch hervorragend ausführt.” Man wird an Marc-André Ter Stegen erinnert, wenn man weiterliest: “Charakteristisch sind dabei Pässe, die ähnlich wie ein Chip, eher weich geschlagen sind und zudem in hohem Bogen fliegen, ehe sie einige Meter vor dem Empfänger zum steilen Sinkflug ansetzen.”
Abschlag Schwäbe (IMAGO/Karina Hessland)
Auch auf Schwäbes Erfahrungen als junger Ringer nimmt die Analyse Bezug, wenn sie seine Reaktionsschnelligkeit beschreibt: “Aus kürzester Distanz wehrt er in Manier eines Handballtorwarts noch Kopfbälle oder Volleys ab […]. Vielleicht hilft bei derlei Bewegungen, sowie bei allem, was einem Nahkampf gleichkommt, ja die frühe Erfahrung als Ringer zu Kinderzeiten.” Bei Schüssen aus größerer Distanz komme eine weitere Stärke des ehemaligen Dresdeners zum Tragen – sein Stellungsspiel: “Dabei hält Schwäbe sich zumeist zwischen den Verteidigern in der Lücke, durch welche der Ball am ehesten den Weg in Richtung Tor nehmen wird. Die Folge: Aus derlei Positionen rollen die Schüsse immer wieder direkt auf ihn zu.”
Schwäbes Schwächen und seine zukünftige Rolle beim 1. FC Köln