Auch die noch offene Torwartfrage stand kurz vor der Beantwortung. Lange Zeit hatte es nach dem Duo Burdenski und Nigbur ausgesehen, doch der Bremer geriet mit Werder in den Abstiegsstrudel und kassierte in der Bundesliga Tor um Tor. Am Ende stiegen die Hanseaten erstmalig ab und Toni Schumachers FC finalisierte dies sogar durch einen 5:0-Auswärtssieg an der Weser. Burdenski war damit aus dem Rennen, denn schon rein mental konnte Derwall auf ihn nicht mehr setzen. So wurde der Schalker Norbert Nigbur als klare Nummer 1 gesehen, der “Tünn” als die Nummer zwei und als dritten Torwart hatte man die Wahl zwischen den jungen Talenten Eike Immel und Walter Junghans.
Doch Nigbur spielte ein zweites Mal Schicksal für Toni Schumacher. Erstmalig war das bereits 1977 der Fall, denn der damalige Herthaner war bereits fest als die neue Nummer 1 des 1. FC Köln verpflichtet worden. Mit der Hertha verlor der Weltmeister von 1974 (ohne Einsatz) jedoch das DFB-Pokalfinale gegen den FC in zwei dramatischen Endspielen. Noch beim Festbankett teilte der enttäuschte und zornige Nigbur verbal gegen die „Geißböcke“ vom Leder und wurde gegenüber FC-Präsident Peter Weiand sogar ausfällig. Nach den üblen Beleidigungen ließ Weiand den Vertrag durch Manager Karl-Heinz Thielen auflösen. Folge: Toni Schumacher wurde Weisweilers feste Nummer 1 und schaffte prompt in der Folgesaison den Doubletriumph mit dem 1. FC Köln.
Im Sommer 1980 erfolgte der zweite Teil in der Beziehung Schumacher-Nigbur. Was war passiert? Ganz einfach, Pechvogel Norbert Nigbur erlitt diesmal eine schwere Verletzung und fiel für lange Wochen aus. Damit stand fest, Toni Schumacher sollte für die Europameisterschaft mit der Erfahrung drei Länderspielen die feste Nummer 1 im deutschen Tor werden. Dabei hatte der „Tünn“ nicht einmal in der Qualifikation gespielt. Den Zweikampf zwischen Dieter Burdenski und Norbert Nigbur gewann umständehalber also Toni Schumacher. Dass er die Chance nutzte und seinen Stammplatz im deutschen Tor auf Jahre zementierte, ist natürlich längst ein Stück deutsche und kölsche Fußballgeschichte.
Das Turnier beginnt … und enttäuscht
Endlich konnte die Endrunde beginnen. In der deutschen Gruppe hießen die Gegner Tschechoslowakei, Niederlande und Griechenland. Die Gruppe B bestand aus heute sehr großen Namen: England, Spanien, Belgien und Italien. Favorit waren hier aber die Engländer, die nach 10 Jahren endlich bei einem Großturnier wieder dabei waren und auch die Vereinswettbewerbe der vorherigen Jahre dominierten. Mit Schumacher, Zimmermann, Schuster und Cullmann standen vier FC-Spieler im DFB-Kader. Von den 1974er Weltmeistern war neben „Culli“ nur noch Rainer Bonhof mit dabei. Doch der einstige Mönchengladbacher, der nach der EM zum FC wechseln sollte, verletzte sich kurz vor der Abreise und stand somit zwar im Kader, fuhr aber schon gar nicht mehr mit. Klaus Fischer war zuvor ebenso kurzfristig mit einem Beinbruch ausgefallen und so war es Horst Hrubesch, der – nicht ganz unumstritten – nachnominiert wurde. Der Hamburger hatte wie Dieter Müller in der Bundesliga 21 Tore erzielt, aber aufgrund der Form zum Saisonende fiel die Wahl auf das Kopfballungeheuer vom HSV.
“Dieses Eröffnungsspiel war eines der unerträglichsten und zähesten aller Spiele dieser Art, von denen man seit fast zwanzig Jahren weiß, dass sie todlangweilig sind.”
Am Tag des Eröffnungsspiels am 11. Juni gegen die Tschechoslowakei klemmte sich schließlich auch noch Herbert Zimmermann den Ischiasnerv ein. Der eigentlich gesetzte Kölner Außenverteidiger konnte zur Enttäuschung der FC-Anhänger während des Turniers nicht mehr eingesetzt werden. Das Spiel selbst wurde im Nachhinein als große Enttäuschung gewertet. Viele hatten noch das großartige und hochdramatische Finale von 1976 im Kopf und die Erwartungshaltung ging natürlich in die Richtung, dass beide Nationen hier wieder ansetzen könnten. Doch das Match litt unter der Sorge, das erste Spiel zu verlieren und so hieß das Motto eher safety first. Glücklicherweise gelang dem Stuttgarter Hansi Müller in der 55. Minute dennoch eine genaue Vorlage auf den Kopf von Karl-Heinz Rummenigge, der vor nur rund 10.500 Zuschauern das Tor zum 1:0-Sieg erzielen konnte. Das Spiel war zwar gewonnen, aber keinem konnte das gefallen, was man gesehen hatte. Frankreichs Sportblatt L’Equipe brachte es auf den Punkt: “Dieses Eröffnungsspiel war eines der unerträglichsten und zähesten aller Spiele dieser Art, von denen man seit fast zwanzig Jahren weiß, dass sie todlangweilig sind.”
Eine vermeintliche Revanche als Stimmungsaufheller
Dass das Abendspiel zwischen der Niederlande und den Griechen fast noch ein wenig langweiliger war und nur durch einen geschenkten Elfmeter für Oranje entschieden wurde, machte die Anti-Stimmung im vom Wettskandal frustrierten Fußballland Italien nicht besser. Sogar das Italien-Spiel gegen Spanien am Folgetag, ein todlangweiliges 0:0, war bei weitem nicht ausverkauft. Das andere Spiel zwischen Favorit England und Außenseiter Belgien endete ebenfalls remis. Auch hier waren die Leistungen dürftig. Hoffnung auf bessere Leistungen machte das bevorstehende Duell des DFB-Teams gegen die Niederlande. Endlich bot sich für die Holländer in einem Pflichtspiel die Chance zur lange erwarteten Revanche. Das WM-Endspiel von 1974 war schließlich noch in allen Köpfen und einige wenige Spieler waren gar noch dabei. Vor allem bei den Holländern, die 1976 das EM-Endspiel gegen die Deutschen noch dramatisch verpasst hatten. Jetzt hatten sie die Gelegenheit, einiges geradezurücken.
Beim deutschen Team war allerdings nach Bonhofs Rückzug nur noch Bernd Cullmann aus dem WM-Kader von 1974 einsatzfähig, dieser war jedoch nach schwachem Start in den Fokus des Boulevards geraten und bekam neben anderen ordentlich Kritik ab. Tatsächlich war der Culli ausgerechnet zum Turnierstart gegen die Tschechoslowakei in ein kleines Leistungsloch gefallen, folgerichtig wurde der Routinier geopfert. Stattdessen lief das von vielen geforderte FC-Talent Bernd Schuster gegen den Rivalen aus dem Nachbarland auf. Das Spiel konnte den Erwartungen standhalten, die DFB-Elf spielte von Beginn an gut und zeigte sich offensiv in guter Verfassung. Belohnt wurde die deutsche Überlegenheit nach 20 Minuten: Der beeindruckend aufspielende Bernd Schuster traf den Pfosten, Allofs verwertete den Abpraller und es stand 1:0. Danach waren die Niederländer präsenter, hatten eine zehnminütige starke Phase, die aber ohne Torerfolg für den Nachbarn blieb.
Bernd Schuster dreht groß auf
Aus dem 74er Finale waren übrigens auf niederländischer Seite noch Ruud Krol, Arie Haan, Johnny Rep und René van de Kerkhof dabei. FC-Fans wissen sicher, das auch Michel van de Korput mit von der Partie war und sich sogar zwischenzeitlich mit Toni Schumacher anlegte. Ein Griff unterhalb der Gürtellinie hatte den Tünn so erzürnt, dass er dem späteren FC-Mitspieler fast an die Gurgel ging. Noch ein heute alter Bekannter war mit an Bord: Huub Stevens, der einmal FC-Aufstiegstrainer werden sollte, stand im Juni 1980 ebenfalls im holländischen Team und spielte eine überzeugende Partie. Zurück zum Spiel, denn das war hochklassig, vor allen Dingen von deutscher Seite.
Die Derwall-Elf suchte nach dem 1:0 zur Halbzeit nach dem Wiederanpfiff die Vorentscheidung. Nach gut einer Stunde Spielzeit schien diese gefallen zu sein, denn nach einem Rückpass von Hansi Müller schlug der Düsseldorfer Klaus Allofs ein zweites Mal zu. Und nur sechs Minuten später schien das Match endgültig entschieden, nach meisterlicher Vorbereitung des Spielgestalters Bernd Schuster war erneut Allofs erfolgreich. Für die Niederlande zeichnete sich ein Debakel ab. Dass es dazu nicht kam, es im Gegenteil noch einmal spannend wurde, lag an einem jungen Debütanten. Im Hochgefühl des sich abzeichnenden Sieges wechselte Derwall den 19-jährigen Lothar Matthäus für Kapitän Bernard Dietz ein und verhalf dem Mönchengladbacher so zu seinem Länderspiel-Debüt. Doch zehn Minuten vor dem Abpfiff zog Johnny Rep unwiderstehlich Richtung Strafraum, Matthäus folgte ihm, grätschte und traf den Angreifer der Niederlande am Fuß.
Klares Foul, allerdings außerhalb des Strafraums – ein Umstand, den Schiedsrichter Robert Wurtz übersah und auf Elfmeter entschied. Der Gefoulte trat selbst an und obwohl Schumacher die Ecke ahnte, konnte er den Anschlusstreffer nicht verhindern. Nun machte sich Nervosität in der unerfahrenen Derwall-Elf breit. Kein Wunder, gleich sieben Akteure auf dem Platz spielten schließlich ihr erstes Turnier. Als dann Willy van de Kerkhof in der 86. Minute gar noch das 3:2 gelang, musste man sich erst recht Sorgen machen. Doch der niederländische Endspurt kam zu spät und somit war der zweite Sieg im zweiten Spiel im Sack.
Das Tor zum Finale steht sperrangelweit offen
Die Experten waren sich einig: Das war das bisher beste Spiel des Turniers – und es hatte einen großen Gewinner namens Bernd Schuster. Der junge FC-Star galt als wohl größtes Mittelfeld-Talent Europas und eigentlich gab es Grund genug für die FC-Fans stolz zu sein. Doch der bereits als eigenwillig aufgefallene Schuster trug sich mit bereits öffentlich geäußerten Wechselgedanken und seine Zeit beim 1. FC Köln schien bald zu enden. Für den Moment war dies jedoch hintangestellt, nicht nur in der Domstadt genossen die Fans die Leistung des Jungstars, aber auch die des Torwarts Toni Schumacher, der eine gewisse Selbstverständlichkeit im Kasten ausstrahlte. Der „Tünn“ hatte bis dato gut gehalten und wirkte erfreulich souverän. Das Tor zum Finale stand nun für alle deutschen Spieler sperrangelweit offen, denn der letzte Gegner hieß Griechenland, die beide Spiele verloren hatten und dabei auch nicht sonderlich gefährlich wirkten.
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