Man hatte also jetzt Spanien vor der Brust und ein Remis würde zum Einzug ins Halbfinale reichen. Dieses Halbfinale gab es übrigens glücklicherweise nun wieder. Bei der EM 1980 waren beide Gruppensieger aus den beiden Vierer-Gruppen sofort für das Endspiel qualifiziert, was sich als wenig spannungsfördernd erwies und auf Antrag des DFB wieder geändert wurde. Nun sollten also die beiden Gruppenersten der Gruppe 1 und 2 wieder ein echtes Halbfinale der vier besten Teams ausspielen. Die Derwall-Elf ging am 20. Juni 1984 beschwingt in das Spiel gegen die Iberer und niemand hätte sich gewundert, wenn es nach 30 Minuten 3:0 gestanden hätte. Hans-Peter Briegel köpfte gleich zweimal an die Latte und Andy Brehmes Schuss in der 27. Minute klatschte an den Pfosten.
In der 44. Minute dann der große Triumph des Toni Schumacher. Auch in diesem dritten Endrunden-Spiel wurde der Torwart bei jedem Ballkontakt bitterböse ausgepfiffen, so auch diesmal im Pariser Prinzenpark. Als er dann in der 45. Minute einen berechtigten Strafstoß von Carrasco halten konnte, zelebrierte er seinen Erfolg sekundenlang mit erhobener Faust bei klarem Blick nach vorne. Allerdings ohne dabei durch irgendwelche Gesten zu provozieren. Dabei waren nur Sekunden vor der Ausführung nur wenige Meter entfernt zwei Leuchtraketen eingeschlagen. Diese hatten wohl eher den Schützen irritiert. In der zweiten Halbzeit boten sich dann Klaus Allofs mehrere Einschussgelegenheiten, die er allesamt verpasste. Auch dem in der 60. Minute zum zweiten Mal in diesem Turnier eingewechselten Pierre Littbarski wollte kein Treffer gelingen. Das 0:0 war mittlerweile als äußerst glücklich für die Spanier zu bezeichnen, Team „Schwarz-Rot-Gold“ bot in der Tat sein stärkstes Turnierspiel. Bloß, es wollte einfach kein Tor fallen.
Der blonde Spanier kopiert Strack
Im zeitgleich stattfindenden Parallelspiel Portugal gegen Rumänien gingen die Portugiesen in der 81. Minute in Führung, die Spanier, über den Umstand schnell unterrichtet, mussten nun mehr investieren. Die Deutschen hingegen riskierten nun weniger, nachdem ihnen lange Zeit der eigentlich verdiente Führungstreffer nicht gelingen wollte, war nun eher der Sicherheitsgedanke gefragt. Doch in der 90. Minute ließ Bernd Förster Gegenspieler Senor viel zu viel Raum, dieser schlug daraufhin eine hohe Flanke von halbrechts in den Strafraum. Dort tauchte plötzlich der kopfballstarke Maceda auf. Der blonde Libero warf sich mit allem, was er hatte, in diese Vorlage und sein Kopfball-Torpedo ließ selbst dem bärenstarken Schumacher keine Chance. Im Prinzip war das Tor eine fast deckungsgleiche Kopie des Strack-Treffers, der Deutschland erst nach Frankreich brachte.
“Das deutsche Monster hat zu lange überlebt, seit mehreren Spielzeiten, seit mehreren Wettbewerben.”
Schumacher, der noch leicht am Ball war, aber letztlich null Abwehrchance hatte, hing die letzten Spielsekunden gehockt und völlig konsterniert in seinem Tornetz … ein Bild, welches um die Fußball-Welt ging und von den TV-Kamera unendlich lange gezeigt wurde, obwohl seine Mannschaftskameraden in schwarz-weiß noch verzweifelt versuchten, den Ausgleich zu erzielen. Auch als nur wenig danach abgepfiffen wurde und Deutschland in der Vorrunde ausgeschieden war, hatte die Kamera fast nur einen Spieler im Fokus. Den deutschen Torwart, der 1982 durch sein Verhalten Hass gesät hatte und es nun vielfach zurückbekam. Deutschland war damit erstmals in der Vorrunde eines großen Turniers ausgeschieden und das Ausland frohlockte.
Frankreichs „Le Soir“ : “Das deutsche Monster hat zu lange überlebt, seit mehreren Spielzeiten, seit mehreren Wettbewerben. Die Deutschen hatten schon die peinliche Einbildung, dass die Geschichte nach ihrem Sinn laufen wird, dass es ein Schicksal gibt, dass es immer gut ausgeht für den deutschen Fußball.” Solche Reaktionen waren nach 1982 zu erwarten. Natürlich war auch in Deutschland das Presse-Echo mörderisch, die “Bild”-Zeitung startete eine brachiale Kampagne gegen Jupp Derwall und setzte sich für „ihren Mann“ ein: Franz Beckenbauer! So dauerte es auch nicht mehr lange und Derwall war beim DFB Geschichte. Mit „Kaiser Franz“ als sogenannter Teamchef begann eine neue Zeitrechnung.
Platini überragt, Frankreich holt den Titel
Spanien sollte es noch bis ins Finale schaffen, die Männer um Torhüter Arconada, Camacho, Gallego, Gordillo und Santillana konnten im Halbfinale die Überraschungsmannschaft des Turniers aber nur im Elfmeterschießen schlagen. Dänemark hatte mit seinem neuen „Danish Dynamite“ Offensiv-Stil unter dem deutschen Trainer Sepp Piontek längst die Herzen der neutralen Zuschauer erobert. Die Dänen hatten FC-Bezug, Morten Olsen und Preben Elkjaer Larsen spielten sich neben Laudrup und Lerby in den internationalen Fokus. Preben Elkjaer Larsen, mit dem FC 1978 Doublegewinner, war es schließlich, der Spanien durch seinen verschossenen Elfmeter das Finale gegen die Franzosen unter Superstar Michel Platini ermöglichte.
Jener Platini war zu dieser Zeit sicher einer der wunderbarsten Mittelfeldspieler, die es gab und man kann sich schon manchmal fragen, wie aus einem so tollen Spieler später ein solcher Funktionär wurde. Nachdem der Gastgeber in seinem Halbfinale die zweite Überraschungsmannschaft Portugal mit 3:2 nach Verlängerung niedergerungen hatte, gingen sie gegen Spanien als Favorit ins Spiel und wurden dieser Stellung gerecht. Mit 2:0 gewann Frankreich und Platini schoss dabei sein neuntes Tor! Der neue Europameister hieß verdientermaßen Frankreich, was die deutschen Spieler nur am TV-Gerät verfolgen konnten.
Nie wieder so einen Hass
Aus FC-Sicht war das Tor von Gerd Strack ganz sicher das Highlight, auch wenn es „nur“ in der Qualifikation fiel. Die Szene des FC-Liberos hat deutschlandweit überdauert und dem leider kürzlich verstorbenen Kölner Libero und Mannschaftskapitän einen unvergänglichen Bekanntheitsgrad gesichert. Das Turnier selbst war die für die Feldspieler Allofs und Littbarski genauso ernüchternd wie für alle anderen Akteure. Auch wenn gegen Spanien viel Pech dabei war, in der Summe war das Ausscheiden verdient. Sportlich am wenigsten verantwortlich für das frühe Ausscheiden war Toni Schumacher, der rein auf das fußballerische bezogen ein sehr starkes Turnier bot und sich auch ansonsten den Tiraden gegen seine Person ohne Murren stellte. Neben den vielen abfälligen Kommentaren würdigten einige wenige ausländische Beobachter immerhin genau diese beiden Punkte. Natürlich war er damit kein Gewinner der EM, aber er machte es auch nicht schlimmer, als es eh schon war.
Es ist aus heutiger Sicht in einer Gegenwart mit extrem hohen moralischen Anforderungen kaum vorstellbar, wie sehr ein einzelner Spieler quasi weltweit verachtet werden kann und dies sogar medial befeuert wurde. Nicht wenige TV-Sender und Print-Medien waren damals daran beteiligt und haben Öl ins Feuer gegossen, so dass die vielen Galgen mit Schumacher-Puppen im Publikum und unzählige Nazi-Beschuldigungen gegenüber dem Torwart durch massenhafte Plakate erst möglich wurden. Klar ist: Schumacher war kein Opfer! Er selbst hat diese Geister durch sein unentschuldbares Verhalten im Sommer 1982 herbei gerufen! Aber dennoch erschrickt man in der Rückbetrachtung vor dem vielfach gesteigerten und bewusst gehypten Echo, welches sicher nicht so viel besser war, als die „Tat“ selbst. Gut, dass die Zeiten sich geändert haben.