Wenige Sekunden waren seit dem Abpfiff des 92. rheinischen Derbys zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln vergangen, da nahmen die siegreichen „Geißböcke“ noch einmal Revanche: Elvis Rexhbecaj, mit seinen beiden Toren (3., 55.) das Kölner Gesicht des unerwarteten 2:1-Erfolgs beim Erzrivalen, stülpte der Eckfahne vor dem abermals leeren Gästeblock im Borussia-Park sein Trikot über und feierte dann im Stile des Mönchengladbacher Thuram zusammen mit der Mannschaft einen enorm wichtigen Erfolg. „Rache ist süß“, grinste Derbyheld Rexhbecaj nach der Jubelkopie über beide Ohren und schickte einen Gruß in die Domstadt: „Mit Fans wäre das natürlich noch geiler gewesen. So konnten alle zu Hause feiern!“
Enorm wichtig und enorm emotional: Der hart erkämpfte und nicht unverdiente Erfolg beim rheinischen Rivalen war der Schlusspunkt einer aufwühlenden Woche rund um den 1. FC Köln. Im Schnelldurchlauf: Nach dem erlösenden Heimsieg gegen Bielefeld am vergangenen Sonntag blamierten sich die „Geißböcke“ erst neben dem Platz, als sie einen ehemaligen Bild-Journalisten mit fragwürdigen Ansichten ohne angemessenen Backgroundcheck zum Medienchef machen wollten, und dann auf dem Rasen in Regensburg. Peinliches Pokalaus im Elfmeterschießen. Und dann noch das: Bei der Verabschiedung der Mannschaft vor dem Derby beschimpfte Dominick Drexler die anfeuernden Anhänger:innen, das Beweisvideo gelangte nur allzu schnell in die Öffentlichkeit – der nächste Skandal rund um diesen wahnsinnigen Verein war perfekt.
“Köln? Wer ist Köln?” – Rexhbecajs Antwort passt
Auch deshalb rang Trainer Markus Gisdol noch weit nach dem Abpfiff im Interview mit dem Pay-TV-Sender Sky ein wenig um seine Fassung. „Ich bin Trainer mit Leib und Seele. Wenn ein Team so eine Leistung bringt nach so einem verrückten Tag, lässt man seinen Gefühlen freien Lauf. Ich habe das irgendwie genießen wollen“, erklärte der FC-Coach seinen Jubellauf im Anschluss an die Partie und wirkte emotional sichtlich angefasst. Verrückt? Gar kein Ausdruck für die Achterbahnfahrt, die die „Geißböcke“ im Laufe dieses Tages, im Laufe dieser Woche hingelegt hatten. Noch Stunden vor dem Derby war die Stimmung rund um den Club eisig, die Spieler mussten öffentlich zum „Spacken“-Skandal Stellung nehmen, Drexler öffentlich um Entschuldigung bitten. Es brodelte gewaltig beim 1. FC Köln – und dann auch noch das Duell bei Borussia Mönchengladbach vor der Brust, das für die Domstädter selten gut ausgeht.
Der ist für euch! #effzeh pic.twitter.com/uB1JIT6K3E
— 1. FC Köln (@fckoeln) February 6, 2021
Diesem Druck hielte die FC-Mannschaft stand – und setzte ein Statement, das die erhitzten Gemüter kurz vor Karneval besänftigte. Ohne Jonas Hector, Sebastiaan Bornauw und Marius Wolf (allesamt verletzt), aber dafür mit den Startelfrückkehrern Sava Cestic, Kingsley Ehizibue und Salih Özcan lieferten die „Geißböcke“ von Beginn an den angekündigten und erhofften Derbyfight. Und erwischten darüber hinaus einen Start nach Maß: Ondrej Duda setzte Rexhbecaj nach knapp zwei Minuten perfekt in Szene, die Wolfsburger Leihgabe vollendete mit einem wuchtigen Linksschuss von der Strafraumgrenze, der dazu noch von Lainer entscheidend abgefälscht wurde, zur frühen Führung des Außenseites in diesem Duell der rheinischen Rivalen, die an diesem Samstagabend auf Augenhöhe agierten. „Köln? Wer ist Köln?“, fragte eine Zeitung aus dem Gladbacher Umfeld vor der Partie – der FC war wohl gewillt, endlich einmal die richtige Antwort auf solche Geschichten zu geben.
Das FC-Motto war: “Raus aus dem Druck”
Doch auch die Gastgeber hatten zwischenzeitlich den Derbymodus angeworfen, waren insbesondere in den Zweikämpfen mit der nötigen Härte und auch weit darüber hinaus unterwegs. Dass die „Fohlenelf“ dazu ebenso ganz gut kicken kann, wurde dann nach etwas weniger als einer Viertelstunde klar: Stindl spielte am Kölner Strafraum Neuhaus frei, dessen Schuss erst von Özcan und dann vom ansonsten herausragend agierenden Jorge Mere abgefälscht wurde. Keine Abwehrchance für Timo Horn: 1:1 Mönchengladbach! Ansonsten ließ der FC jedoch wenig zu, zog durch eine kämpferisch beeindruckende Leistung den Derbyrivalen auf sein Niveau herunter und schaffte es dazu, sich immer wieder dem Pressing der Gladbacher zu entziehen. „Für uns ist es sehr, sehr wichtig gewesen, ein dominantes Zweikampfverhalten an den Tag zu legen. Das Motto war: ‘Raus aus dem Druck’, um in Umschaltsituationen zu kommen“, skizzierte Kölns Coach Gisdol die taktische Herangehensweise seines Teams im Anschluss an die Partie.
Raus aus dem Druck: Das galt auch für die allgemeine Situation rund um den 1. FC Köln – auf und neben dem Platz. Wie schön, dass die „Geißböcke“ einen Elvis Rexhbecaj in ihren Reihen wissen. Lainer spielte am eigenen Strafraum dem lauernden FC-Mann den Ball in die Füße, der 23-Jährige ließ sich nicht zweimal bitten und tunnelte Gladbachs Schlussmann Yann Sommer eiskalt zur erneuten Kölner Führung. Rexhbecajs erster Doppelpack in der Bundesliga – und dann direkt in einem für den FC so unendlich wichtigen Derby. „Wir haben uns alle nach dem Pokalspiel nochmal zusammengesetzt. Wir wussten, dass wir heute im Derby vieles wieder geraderücken können und in der Liga den Vorsprung zur Abstiegszone ausbauen können. Das haben wir getan“, erklärte der Kölner Derbyheld, der bei den FC-Fans nun vermutlich in einer Reihe mit Milivoje Novakovic (Siegtorschütze 2008) und Marcel Risse (Siegtorschütze 2016) stehen dürfen.
Horn: “Der Derbysieg tut ganz Köln unheimlich gut”
Denn: Bis zum Schlusspfiff änderte sich am Ergebnis nichts mehr. Borussia Mönchengladbach erhöhte zwar noch einmal den Druck, doch der FC verteidigte die knappe Führung geschickt. Insbesondere die Dreierkette um den bärenstarken Meré verrichtete Schwerstarbeit, hielt die „Fohlen“-Offensive aber in Kombination mit einem extrem hart dagegenhaltende Defensivverbund von gefährlicheren Abschlüssen fern. Die beste Gelegenheit für den rheinischen Rivalen vergab wohl Lars Stindl, dessen Schuss aber zum Glück für die „Geißböcke“ komplett misslang (78.). Auf der Gegenseite hatte der auffällige Duda die Entscheidung auf dem Fuß gehabt, scheiterte aber bei einem Konter am stark reagierenden Sommer (61.). Mit viel Leidenschaft und hohem Einsatzwillen brachte das Gisdol-Team den unerwarteten Erfolg über die Runden – der FC hat nun vier Punkte Vorsprung auf den Relegationsrang und sogar den Kontakt zum unteren Tabellenmittelfeld hergestellt.
“Köln hat gekämpft und gespielt, wie man ein Derby spielen muss.”
Viel wichtiger aber: Die Mannschaft hat es geschafft, die in der vergangenen Woche entstandenen Wunden mit einem ganz besonderen Pflaster zu verarzten. Derbysieger 1. FC Köln – drei Punkte vom rheinischen Rivalen mit einer couragierten Vorstellung nach Hause entführt. „Der Derbysieg tut ganz Köln, den Fans, uns als Verein und als Mannschaft unheimlich gut“, unterstrich Timo Horn die Bedeutung dieses Erfolgs. “Wir zeigen immer die richtige Reaktion in solchen Spielen, tun uns gegen größere Mannschaften ein Stück weit leichter. Heute war auch ein bisschen Glück dabei beim 2:1. Aber die kämpferische Leistung war als Antwort auf all das, was im Vorfeld passiert ist, aller Ehren wert“, so der FC-Keeper. Worte, die auch vom unterlegenen Gegner kamen. „Köln hat gekämpft und gespielt, wie man ein Derby spielen muss“, erklärte Borussias Coach Marco Rose. „Es tut natürlich weh, wenn die Kölner in unserem Stadion mit der Eckfahne jubeln“, ergänzte Christoph Kramer. Schöneres gibt es für einen FC-Fan wohl nicht zu lesen.