Und doch, Transfercoup hin, Transferflop her, will man die immer weiter auseinandergehende Schere der Entwicklung beider Vereine wirklich ergründen, heißt es, tiefer zu graben. In einem Interview, dass ich im vergangenen Juli mit Gregor Kapitza, einst hoffnungsvolles Talent in den Reihen des FC und zigfacher Jugendnationalspieler, führte, kamen wir auch auf das Ausbleiben nachhaltigen Erfolgs beim Geißbockclub zu sprechen.
„Dem FC fehlt eine solche nachhaltige Spielphilosophie schon seit vielen Jahren.”
„Alle wirklich erfolgreichen Vereine haben eine überdauernde Spielphilosophie, eine Idee, die sich nicht nur in der Spielweise der jeweils aktuellen Mannschaft wiedererkennen lässt,“ sagte er. „Nehmen Sie den BVB, Mönchengladbach oder auch die Leipziger. Bei denen ist es egal, ob Rangnick, Hasenhüttl oder zukünftig Nagelsmann an der Seitenlinie steht, das schnelle, zielgerichtete Spiel in die Spitze und das extrem hohe Gegenpressing sind Kennzeichen ihres Fußballs, sind Maßstab für die Gestaltung des Kaders.“
Keine nachhaltige Spielidee erkennbar
Gregor Kapitza hielt einen Augenblick inne. „Dem FC fehlt eine solche nachhaltige Spielphilosophie schon seit vielen Jahren. Ein Trainer geht, ein anderer kommt, die Spieler sind aber noch da, einige werden aussortiert, weil sie nicht zur Spielidee des neuen Übungsleiters passen, der holt wiederum andere Spieler zur Umsetzung seiner Vorstellungen, die dann möglicherweise beim nächsten Trainer wieder durch das Sieb fallen. Was entsteht, ist ein Teufelskreis, in dem ungeheuer viel Geld verpulvert wird, ist nichts anderes als Flickschusterei und verhindert eines: nachhaltigen Erfolg.“
“Favre nahm diesen Faden wieder auf”
Der FC und eine Spielphilosophie, die die DNA des Vereins widerspiegelt, von der man sagt, dass so der „FC-Fußball“ aussehe, wie könnte so etwas aussehen? Ist es der bedingungslose Offensivfußball, der in der Radrennbahn-Ära die Zuschauer zu Begeisterungsstürmen hinriss? Ist es das attraktive und schwungvolle Angriffsspiel aus einer stabilen Abwehr heraus, das so typisch für das des Double-Team unter Hennes Weisweiler war? Ist es die kontrolliertere Offensive des Teams unter Christoph Daum Ende der achtziger Jahre?
Die Borussia besitzt eine solche Spielidee, die eng mit dem schnellen Umschaltspiel verbunden ist, mit dem die Niederrheiner unter Hennes Weisweiler Ende der 60er- und Anfang der 70er-Jahre an die Spitze der Bundesligatabelle stürmte, und doch ging sie lange Zeit verschütt. „Erst Lucien Favre nahm diesen Faden wieder auf“, berichtet Heinz-Georg Breuer. „Unter ihm sah man zunächst einen Konterfußball, wie die Borussia ihn zuletzt unter Weisweiler gespielt hatte. Er entwickelte dies weiter, kombinierte längere Ballbesitzphasen mit blitzartigen Vorstößen und erreichte so wieder die lange vermissten europäischen Wettbewerbe.“
Hecking passte nicht zur Philosophie
Dieser Spielphilosophie kann sogar ein bis dato recht erfolgreich arbeitender Trainer zum Opfer fallen. Dieter Hecking hatte die Gladbacher nach der Trennung von André Schubert wieder stabilisiert, passte jedoch mit dem vielen „hinten-rum“-Spielen nicht recht zur Spielphilosophie der Borussia. Und so entschloss sich Max Eberl trotz des über den Sommer 2019 hinaus laufenden Vertrags, dem Trainer mitzuteilen, dass man die Zusammenarbeit zum Ende der Saison 2018/19 beenden werde.
Der Sportdirektor hatte einen Kandidaten an der Angel, der perfekt zur Spielidee der Mannen vom Niederrhein passte: den Erfolgstrainer von RB Salzburg, Marco Rose. Dazu holte Eberl Spieler, mit denen die Philosophie des aggressiven, hohen Anlaufen des Gegners und der Kombination von Ballbesitzphasen und überfallartigen Angriffen weiter perfektioniert werden konnte: Thuram, Embolo, Lainer und Bensebaini. Der Erfolg scheint Eberl Recht zu geben, Spielweise und Leistungen stimmen.
Dazu trägt allerdings auch bei, dass Leistungsorientierung bei der Borussia großgeschrieben wird, und da spielt das Geld keine unwesentliche Rolle. So gab Eberl in der Doppelpass-Runde am 24. November 2019 die Verteilung von garantierten und leistungsabhängigen Anteilen der Spielergehälter bei den Gladbachern mit 40 zu 60 an. Der 1. FC Köln ist in die laufende Bundesligasaison mit einem Personaletat von deutlich über 50 Millionen Euro gegangen. Damit belegt er einen guten Mittelfeldplatz in der Etat-Tabelle der 1. Bundesliga, sportlich steht er auf Platz 15, Investition und Rendite stehen in keinem guten Verhältnis zueinander.
Leistungsorientierung und finanzielle Anreize
Es kann natürlich sein, dass der Kader besser ist als der Tabellenplatz – und dies auch unter Trainer Gisdol unter Beweis stellen kann. Andererseits scheint man jedoch beim FC auch dann recht gutes Geld verdienen zu können, wenn Siege nicht gerade in Serie eingefahren werden. Gewiss, eine kleine Erfolgsserie gab es in den letzten drei Spielen vor der Winterpause, und das ließ das Herz jedes FC-Fans höher hüpfen.
Trotzdem sollte man an die mahnenden Worte von Markus Gisdol denken, der daran erinnerte, dass man sich nach wie vor im Kampf um den Klassenerhalt befinde und sich dies mit großer Wahrscheinlichkeit auch bis zum Saisonende nicht ändern werde. Man schaue sich nur die ersten fünf Spieltage nach der Winterpause an, in denen es für den FC gegen Teams geht, die in der Tabelle die Plätze zwei, drei, vier, acht und neun belegen!
Abstiegskampf ist angesagt
Abstiegskampf ist angesagt, Bangen und Zittern – keine rosigen Aussichten für die Fans. Was bleibt ihnen? Ein altes irisches Sprichwort mag als Antwort dienen: “Je dunkler die Wirklichkeit, desto heller der Traum”. Träumen also, von einer besseren Zukunft, von einem erfolgreichen FC, vielleicht mit einem Blick gen Niederrhein, zu Verantwortlichen, die an einem Strang ziehen, in eine Richtung und nicht in zwei oder drei. Zu einem Sportdirektor, der weiß, was er tut, und dem man gerne zuhört, weil das meiste, was er sagt, Hand und Fuß hat, und zu einem Geschäftsführer Finanzen, der sich dem ihm zugedachten Aufgabenbereich widmet, und zwar mit voller und ungeteilter Aufmerksamkeit und dabei exzellente Arbeit leistet.
Träumen dürfen die Fans. Die Verantwortlichen dürfen das nicht. Sie sollten vielmehr alles daran setzen, die Wirklichkeit den Träumen anzugleichen. Sich bei dieser Arbeit an guten, an sehr guten Beispielen zu orientieren, wäre gewiss kein schlechter Schachzug. Von den Besten lernen – vieles, was die Borussia tut, ist nachahmenswert. Der FC sollte lieber heute als morgen damit beginnen, für eine nachhaltige Idee vom Fußball, für ein Ende der Flickschusterei, für eine bessere Zukunft.